Baustelle City

App in die City

In Ahaus wird die lebendige Innenstadt vorprogrammiert: Tobit.Labs und Stadt zeigen gemeinsam, wie Digitalisierung die Aufenthaltsqualität steigern kann. (Von Dominik Dopheide)

Einen Hot-Spot haben die Stadt mit ihrer Marketing GmbH und Tobit direkt am Wasser gebaut, um eine alte Tradition wieder aufleben zu lassen: die Ruderpartie auf der Gräfte ums Schloss. Das hatte es in Ahaus nicht mehr gegeben, seitdem der Bootsverleih vor vielen Jahren mangels Nachfolge geschlossen werden musste. „Den ganzen Tag in einer Hütte zu stehen und Kleingeld zu zählen, für so einen Job ist hier niemand mehr zu finden“, berichtet Dieter van Acken, PR-Manager der Tobit Laboratories AG, die ihren Sitz in Ahaus hat. Er sieht in der Digitalisierung die beste Antwort auf den Personalmangel – eine der größten Herausforderungen der Innenstadtentwicklung. Handy hoch, QR-Code scannen, hinein ins Vergnügen: Der Ahauser Weg ins schöne Stadtleben kommt ohne Kleingeld und Kassenhäuschen aus, bezahlt wird bargeldlos. Die Idee zieht sich durch die City, entsprechend hat sich der Personalbedarf reduziert.

Die Stadt als Reallabor

Der digitale Supermarkt TKWY 24, laut van Acken der Supermarkt der Zukunft, gibt ein Beispiel. Kunden scannen zunächst draußen einen QR-Code, damit sich die Ladentür automatisch öffnet. Drinnen wird weitergescannt. Produkt für Produkt wird erst in den digitalen Warenkorb gelegt, dann in den real rollenden Wagen. Eine Kundin, die hier gern mal zu vorgerückter Stunde einkauft, ist Karola Voß, Bürgermeisterin der Stadt Ahaus – und sie ist dann selten allein im Laden. „Solche Angebote, das ist hier deutlich zu spüren, ziehen gerade die jungen Leute in die Innenstadt“, berichtet sie.
Seit Jahren arbeiten Tobit und Stadt zusammen, um das digitale Angebot in der City auszubauen. „Ahaus ist für uns ein Reallabor, in dem wir Produkte testen, zudem ist es wichtig, dass die Stadt für unsere Mitarbeiter interessant bleibt“, nennt van Acken die Motive des Softwareunternehmens. Der Stadt wiederum ist Tobit ein willkommener Partner im Digitalzeitalter. „Einzellösungen haben uns in Deutschland viel Qualität, Zeit und Geld gekostet“, begründet Voß, warum sie in der Innenstadt „eine App für alles“ schätzt. Basis ist die Tobit-Plattform „Chayns“, die viele Vorteile bietet.

40000 loggen sich ein

Nicht als endliches Projekt, sondern als fortlaufenden Prozess versteht van Acken die Kooperation. Bereits jetzt ist die City mit QR-Codes übersät, die Standort-Potenziale wecken, fördern oder erhalten sollen. Nicht alle leiten einen Kaufprozess ein. An der Blühwiese und beim „Stadtrundgang 2.0“ etwa werden am „Point of Interest“ Informationen auf das Handy transferiert. Andere Hot-Spots belegen, wie weit die Sharing-Kultur in einer Digitalstadt gedeihen kann: In Ahaus werden nicht nur Bikes und Autos geteilt, sondern auch Spielgeräte und Regenschirme. Viele Hot-Spots öffnen die Tür zu Gastronomie und Hotellerie. Reserviert, bestellt und bezahlt wird hier online. Mehrfach habe sich Leerstand vermeiden lassen, weil eine Kneipe oder ein Restaurant, dank Geschäftsmodell mit digitalem Kern, die Wirtschaftlichkeit auch bei dünner Personaldecke oder geringer Grundfläche wahren kann, erzählt van Acken und verweist auf die Bedeutung der Gastronomie für die Aufenthaltsqualität in der City und somit für den Erfolg des Einzelhandels.
Angesichts der laut Voß sehr geringen Leerstandsquote sehen sie und van Acken die Innenstadtentwicklung auf einem guten Weg. Sogar die Clubszene hat in Ahaus einen Anlaufpunkt. Lange stand die Location leer, seit einigen Jahren kann wieder gefeiert werden. Hier wir die Musik zwar von Menschenhand aufgelegt. Aber sämtliche Bezahlvorgänge laufen digital. Dass jemand über die Stränge schlägt, weil kein Personal in Sicht ist, hält van Acken für unwahrscheinlich. Niemand bleibe anonym, es werde ja die persönliche ID erfasst. Eine solche Identifikationsnummer und somit den „Schlüssel“ zur Digitalstadt erhält, wer sich per Ahaus-App registriert. Sehr viele der rund 40.000 Einwohnerinnen und Einwohner haben eine ID, sagt Bürgermeisterin Voß – eine gute Nachricht für den Einzelhandelsstandort, der die digitale Verbindung zur Kundschaft systematisch nutzt. „Unser Stadtgutschein über die App ist ein Renner, wir haben 2022 rund 900.000 Euro über dieses Instrument in Umlauf gebracht, das Geld bleibt in der Stadt“, freut sich Voß. Insgesamt 180 Unternehmen aus Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistung akzeptieren den digitalen Gutschein. Davon abgebucht wird oft nach neuer Ahauser Art: per Smartphone.

Identifikation mit der Stadt

Auf Grundlage des Stadtgutscheins in der App entwickeln die Akteure fortwährend neue Ideen. Ein Quiz zum Beispiel stärkt die Identifikation der Menschen mit Heimatstadt und Sponsoren, also den ansässigen Gewerbetreibenden. Das Echo ist groß: Hunderte greifen jeden Abend exakt um 20.20 zum Smartphone, um digitale Gutscheine zu gewinnen. Warum die Aktion genau um diese Zeit startet? „Warum nicht“, erwidert van Acken. Einfach machen, wenn etwas nicht klappt, kann ja korrigiert werden: Nach dieser Methode ist die „Digitalstadt Ahaus“ aufgebaut worden. Ist denn an einem Hot-Spot mal etwas daneben gegangen? Van Acken überlegt lange. „Das Bier“, antwortet er dann. Der Plan, dass Gäste in einem Lokal selbst zapfen, sei aufgegeben worden.

Ahaus als Ideengeber

Ein großer Erfolg dagegen war das digitale Angebot, das Stadt und Tobit.Labs zur Organisation der Testungen und Impfungen im Zuge der Corona-Pandemie entwickelt hatten, berichtet Karola Voß. „Das hat der Akzeptanz für die Digitalstadt einen richtigen Schub gegeben“, sagt die Bürgermeisterin. Ansteigen soll jetzt auch der Digitalisierungsgrad in jenen Bereichen, die allein der Stadtverwaltung obliegen. Sie hat sich deshalb personell verstärkt: Thomas Spieker koordiniert als „Chief Digital Officer“ die Projekte. „Wir werden beim Parken anfangen“, stellt er ein smartes Leitsystem in Aussicht. In der Verwaltung selbst hat er Digitallotsen benannt – als Impulsgeber für das eigene Team und für künftige Bürgerservices. Anregungen und Ideen gibt auch Dieter van Acken gerne weiter, und zwar weit über die Stadtgrenzen hinaus. „Im vergangenen Jahr hatten wir rund 1.000 Vertreter von Kommunalverwaltungen aus ganz Deutschland zu Gast, die sich für den Digitalisierungsprozess in Ahaus interessieren“, erzählt er. Aber lässt sich das Konzept überhaupt auf andere Städte übertragen? Schließlich steckt hinter der „Digitalstadt Ahaus“ die Schubkraft der Tobit.Labs. „Es gibt auch anderenorts Softwareunternehmen, die helfen können“, antwortet van Acken und fügt an: „Das Wichtigste ist der Wille, voll und ganz auf Digitalisierung zu setzen.“

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