„Die Nele war wieder in der Heimat“
Nele Moos gewann bei den Paralympics 2024 in Paris Silber im Weitsprung. Die Duisburgerin erzählt, wie sie ihren Erfolg erlebt hat und wie Humor ihr im Umgang mit ihrer Behinderung hilft.
Frau Moos, Sie haben schon als Kind gerne Leichtathletik gemacht – wie kamen Sie zum Leistungssport?
Nele Moos: Ich war 15 Jahre alt, als ich im Fernsehen die Paralympics 2016 sah. Und da dachte ich: Wäre doch witzig, wenn ich da eines Tages starten könnte. Also trainierte ich weiter. Ein Jahr später entdeckte ein Trainer, der Kontakte in den Parasport hatte, mein Talent. Da kommt jemand und sagt dir: Darin bist du richtig gut. Das gibt einem unfassbar viel, vor allem, wenn man schon manche Hürden im Leben nehmen musste. Fünf Jahre später zog ich nach Leverkusen. Einen Tag nach meiner letzten Abi-Klausur! Ich begann bei Bayer 04 – und ging im selben Jahr bei meinen ersten Paralympics an den Start.
Sie sprachen die Hürden an. Sie haben bei der Geburt einen Sauerstoffmangel erlitten, der eine halbseitige Lähmung der rechten Körperhälfte zur Folge hat. Wie äußert sich das?
Meine rechte Hand kann ich nur grobmotorisch einsetzen. Da die Nervenweiterleitung gestört ist, empfinde ich dort weder Wärme noch Kälte, und Schmerz nur verzögert. Das rechte Bein kann ich nicht so anheben wie das linke. Als Kind gehörten für mich Physio- und Ergotherapie zum Alltag. Wichtig ist mir: Ich bin nicht behindert, ich habe eine Behinderung. Und ich tue viel dafür, dass sie mich nicht behindert.
Wie wichtig ist Humor im Umgang damit?
Sehr wichtig, damals wie heute. Im Team haben ja alle eine Behinderung, jeder hat seine Wehwehchen. Da hilft es sehr, genau darüber auch mal zu lachen. Das schweißt enorm zusammen, wie eine Familie. In Training und Wettkampf ist nicht immer alles toll, sondern manchmal auch schwierig. Gemeinsam lernt man, mit Misserfolgen umzugehen, resilient zu werden. Mir kommt es auch darauf an, dass es nicht immer nur um Zeiten und Weiten geht, sondern auch ums Gemeinschaftsgefühl.
Interessanterweise war es für Sie sehr bedeutend, eine „Fünf“ zu erreichen. In Ihrem Fall im Sport, mit der Fünf- Meter-Marke im Weitsprung. Wie war der Moment, als Sie bei den Paralympics mit einem Satz auf 5,13 Meter Silber holten?
Ein totaler Schock! Deshalb sieht man mich in Videoaufnahmen auch fassungslos zu meinem Trainer schauen. Ich wusste aus dem Training: Ich habe diese Weite drauf. Aber das musst du erstmal an Tag X bei widrigen Bedingungen in den Sandkasten zimmern. Dass ich den größten Erfolg meiner Karriere erreicht hatte, wurde mir erst später mehr und mehr bewusst. Und klar, das löst was in einem aus: 2023 Bronze bei der WM, 2024 Silber bei den Paralympics – was schaffe ich als nächstes? Wichtig ist es, auf mein Können zu vertrauen. Und auf das Team, ohne das der Erfolg gar nicht möglich wäre.
Wie wichtig ist für Sie Selbstorganisation, im Sport sowie parallel in Ihrem Studium der Sonderpädagogik?
Enorm wichtig. Ich habe zum Beispiel im Juli schon mein Wintersemester vorbereitet und plane gerade meine Bachelor-Arbeit für Sommer 2026. Ich teile die Woche in reine Uni-Tage und reine Trainingstage ein. Fürs Studium brauche ich wegen des Sports etwas länger als manche Kommilitonen, aber das ist okay. Was die Leichtathletik angeht, so bin ich für die WM 2025 in Neu-Dehli Ende September nominiert – und habe natürlich die Paralympics 2028 in Los Angeles im Blick. Aber bei aller Planung: Am Ende entscheidet der Körper, was geht und was nicht. Da musst du flexibel sein.
Sie besuchen regelmäßig Ihre Familie und Freunde in Duisburg. Was bedeutet Heimat für Sie?
Im Ruhrpott tragen die Menschen das Herz auf der Zunge, das ist bei mir nicht viel anders. Ich mag die direkte und ehrliche Art. Und ich mag das Rustikale an Duisburg, die Bergwerk-Historie, die man immer noch überall sieht. Diese Rauheit, zum Beispiel im Landschaftspark. Aber auch den Süden, wo ich aufgewachsen bin, die Sechs-Seen-Platte. Wenn ich nach Besuchen in Duisburg zurück in Leverkusen bin und ins Training starte, sagt mein Trainer oft: Ah, man hört’s: Die Nele war wieder in der Heimat.
Nele Moos wurde am 23. November 2001 in Duisburg geboren. Die Para-Leichtathletin tritt nicht nur im Weitsprung an, sondern auch im 100- und 400-Meter-Lauf. Sie trainiert beim TSV Bayer 04 Leverkusen und studiert parallel dazu an der Universität zu Köln Sonderpädagogik. Ihre bislang größten sportlichen Erfolge sind die Bronzemedaille bei den Weltmeisterschaften 2023 und die Silbermedaille bei den Paralympischen Spielen 2024, beides im Weitsprung.
Text: Daniel Juhr, Juhrmade
Foto: Oliver Heuser
Foto: Oliver Heuser
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