Studio 47

Wenn der Avatar die Sendung moderiert

Studio 47 produziert seine Nachrichtensendungen vollständig mit Künstlicher Intelligenz. Damit reagiert der regionale Fernsehsender aus Duisburg auch auf Personalsorgen.
Die Abdrücke auf dem Boden sind noch zu erkennen. Hier stand bis vor wenigen Monaten die große Couch, auf der die Moderatoren ihre Gäste interviewten. Mittlerweile setzt der regionale Fernsehsender aus Duisburg verstärkt auf Künstliche Intelligenz (KI). „Das Sofa brauchen wir nicht mehr“, sagt Sascha Devigne, Chefredakteur von Studio 47. Nicht nur die Möbel verschwanden, sondern auch etablierte Arbeitsroutinen. Dass KI genutzt wird, ist fortschrittlich und entspricht dem Zeitgeist. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die herkömmliche, manuelle Produktion von Nachrichten war zu personal- und zeitintensiv geworden. Und deshalb setzt Studio 47 auf entsprechende Tools.
Personalsorgen forderten Umdenken
Auch Sascha Devigne hat mit einem großen Problem der Medienbranche zu kämpfen. „Wir haben Schwierigkeiten, Nachwuchs für den regionalen Journalismus zu gewinnen“, sagt der 54-Jährige. Da er mit Studio 47 weiter aktuell und relevant sein will, musste sich in der Redaktion etwas ändern. Devigne benutzt in diesem Kontext gerne das Bild von der Spülmaschine. „Da räumen wir alle schmutzigen Sachen rein, drücken den Knopf und müssen das saubere Geschirr später nur noch rausholen“, sagt der Duisburger. In der Redaktion liefen die Aufgaben jedoch anders ab: Sein Team „behandelte“ die unsauberen Bilder und Töne bis vor kurzem noch „von Hand“. Das kostete Zeit. Studio 47 hinkte bei der Aktualität den eigenen Ansprüchen hinterher.
Bereits 2018 begann Studio 47 mit der Automatisierung von Produktionsprozessen. Auslöser war eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Sie zeigte, dass 20 Prozent der journalistischen Tätigkeiten automatisiert werden könnten. Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung von „BotCast“. Das Tool kann aus einer E-Mail einen Meldungstext generieren und die menschliche Stimme für den Beitrag künstlich erzeugen. Mittlerweile kommt es nicht nur bei Studio 47 zum Einsatz. Die Duisburger haben „Bot- Cast“ erfolgreich vermarktet. Seit Frühjahr 2023 ist das Programm als Lizenz für TV- und Online-Redaktionen sowie Agenturen erhältlich.
Um den Umgang mit Videoinhalten zu optimieren, entwickelte Studio 47 „Clip- Sense“. Es analysiert und verschlagwortet Videos automatisch. „Eine manuelle Archivierung wäre zu zeitaufwändig und fehleranfällig“, erklärt Devigne.
Drittes KI-Tool im Einsatz
Seit Mai 2024 kommt ein drittes KI-Tool in der Redaktion zum Einsatz. „NewsHub“ kann komplette Nachrichtensendungen vollautomatisch produzieren. „Auch die Moderation übernimmt unser Programm“, erklärt Sascha Devigne. Dazu hat Studio 47 Stimmprofile und Avatare aller Kollegen sowie ein virtuelles Studioset erstellt. Der TV-Sender benötigt keine Schnittplätze und Tonkabinen mehr. Durch die Software ist es auch möglich, Eilmeldungen kurzfristig in die Sendung einzubauen. Wenn etwa um 17.45 Uhr die Gewerkschaft verkündet, den Öffentlichen Personennahverkehr zu bestreiken, sehen es die Zuschauer von Studio 47 bereits um 18 Uhr im TV. „Anfang des Jahres wäre das undenkbar gewesen“, sagt Sascha Devigne. „Es hätte viel zu lange gedauert, den Beitrag zu produzieren.“
Die Kosten für die Software-Lösungen beziffert der Medienexperte auf 280.000 Euro. Einen Teil davon hat das Wirtschaftsministerium NRW finanziert. Auch das Medieninnovationszentrum Babelsberg und das Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW haben sich mit Förderungen beteiligt. Sascha Devigne ist überzeugt, dass sich die eigenen Investitionen des TV-Senders auszahlen werden. „Für die Branche ist es alternativlos, auf Künstliche Intelligenz zu setzen“, sagt er. „Unser Vorteil ist, dass wir uns schon frühzeitig umgestellt haben.“ So konnte Studio 47 die Sendezeit seiner Primetime-Ausgabe verdoppeln.
In Duisburg planen sie schon den nächsten Schritt. Mit „AvaTalk“ können die digitalen Doppelgänger der Moderatoren auch Interviews führen. Eine von der Landesanstalt für Medien NRW durchgeführte Studie zeigte, dass viele Zuschauer kaum einen Unterschied zwischen KI-Avataren und echten Moderatoren bemerkten. Es gibt auch kritische Stimmen, die sagen, dass nichts über echte Menschen geht. „Aber ein Großteil nimmt unsere Avatare als besonders verständlich, glaubwürdig und authentisch wahr“, sagt Devigne. Und das bestärkt ihn, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Interview: Denis de Haas, Redaktionsbüro Ruhr; Foto: Niederrheinische IHK/Bettina Engel-Albustin
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