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Ein Takt für alle
Das Duisburger Start-up Neurotime hat eine zahlenlose Uhr entwickelt. Sie soll Menschen ohne Zeitgefühl helfen.
Zeit bestimmt unseren Alltag. Wir strukturieren unsere Tage – nach Stunden und Minuten, Terminen und To-Dos. Alles ist durchgetaktet. Doch was, wenn das Gespür für Zeiträume fehlt? Dann wird es schwer, am gesellschaftlichen Leben mit all seinen Verpflichtungen teilzunehmen.
Kinder müssen erst lernen, eine Uhr zu lesen. Doch auch viele Erwachsene tun sich schwer damit, Zeit zu erfassen. Fachleute sprechen dann von zeitlicher Desorientierung. Betroffene können Menschen mit Lernbeeinträchtigungen, Autismus oder ADHS sein.
Die Neurotime GmbH will diesen Menschen helfen, sich im Alltag selbstständig(er) zurechtzufinden. Dafür hat das Duisburger Start-up eine Uhr entwickelt – ganz ohne Zahlen. Das Produkt heißt „nonu“ und ist eine App fürs Smartphone oder Tablet. Sie übersetzt Zeit in Farben und Bilder.
Farben und Fotos statt Ziffern und Zeiger
Statt eines Ziffernblatts zeigt die App farbige Segmente und Fotos, die mit bestimmten Tagesabschnitten oder Aktivitäten verknüpft sind. Abläufe lassen sich individuell anpassen – etwa für eine Morgenroutine mit Duschen, Anziehen, Frühstück und Zähneputzen. Ein Marker zeigt an, wie viel Zeit noch bleibt, bis die nächste Aufgabe beginnt.
Das Konzept, Zeit zu verbildlichen, ist an sich nicht neu. Die Innovation von Neurotime liegt darin, die Methode in ein digitales Angebot zu überführen. Die Idee dazu hatte Manuel Nikodemus. Er ist einer von fünf Gründern des Start-ups und im Hauptberuf Erzieher.
„Manuel arbeitet mit autistischen Personen. Um ihre Tagesabläufe zu strukturieren, nutzte er selbstgebaute Pläne mit Symbolen auf laminierten Klettkarten. Doch dieses System hat Grenzen – und kostet viel Zeit“, erklärt Niels Schepers, Geschäftsführer von Neurotime. Also suchte Nikodemus nach einer praktikableren Lösung. Er sprach seinen Schulfreund Christian Strieffler an. Der Entwickler programmierte daraufhin einen ersten Prototyp.
Zielgruppe arbeitet in Kitas und anderen Einrichtungen
Die erste Version der zahlenlosen Uhr präsentierten Nikodemus und Strieffler beim Deutschen Autismus-Kongress in Bremen. Das Konzept überzeugte ein Fachpublikum – darunter den Sozialunternehmer Dirk Müller-Remus, der Neurotime mitgründete. Das Team vervollständigen die Duisburger Jan Schepers, der für die Finanzen zuständig ist, und sein Vater Niels als Geschäftsführer. Der hat lange als Manager in großen IT-Unternehmen gearbeitet. „Ich habe Profit gegen Sinnhaftigkeit eingetauscht“, betont er.
Denn: Noch werfe Neurotime kein Geld ab. Zumindest nicht so viel, dass fünf Menschen davon leben könnten. Umgekehrt sei das Projekt bislang komplett eigenständig finanziert. „Wir haben keinen Investor“, sagt Niels Schepers. „Das erlaubt uns, ohne Druck zu wachsen. In unserem ganz eigenen Tempo.“
Expansion denkbar, aber „nicht um jeden Preis“
Zu den Zielgruppen gehören Eltern, aber auch Betreuer in Kitas, Förderschulen, Therapiezentren sowie Wohnheimen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Inzwischen ist der Markeneintritt in Deutschland, Österreich und der Schweiz erfolgt. Die App ist in den App-Stores verfügbar und kann zwei Wochen lang kostenlos getestet werden. Danach ist ein Abo erforderlich. Die zahlenlose Uhr kommt ohne viel sprachlichen Aufwand aus – eine internationale Expansion sei daher gut vorstellbar.
Niels Schepers jedoch erklärt: „Wir schauen, wo wir den größten gesellschaftlichen Effekt erzielen – nicht, wo wir am schnellsten Umsatz machen.“
Kontakt
Niederrheinische Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel-Kleve zu Duisburg