Krisen als Innovationsmotor

„Wir sollten uns darauf konzentrieren, Lösungen zu finden“

Bernhard Osburg, Vorstandsvorsitzender bei Thyssenkrupp Steel, spricht im Interview über Wirtschaften in Zeiten globaler Krisen, die grüne Transformation und Stahl als Zukunftsmotor der Region.

Herr Osburg, erst die Corona-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg und jetzt auch noch die Eskalation im Nahen Osten – und über allem schwebt die sich abzeichnende Klimakrise. Wie beeinflussen die globalen Krisen das Wirtschaften bei Thyssenkrupp Steel? 
Wir leben in unruhigen und volatilen Zeiten und sind zudem durch den Klimawandel mit einer Entwicklung konfrontiert, die unsere Welt massiv verändern wird, wenn wir nicht entschieden gegensteuern. Das stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen und fordert nicht nur uns als Unternehmen, sondern die gesamte deutsche Wirtschaft. Als Antwort auf den Klimawandel investieren wir hier am Standort fast drei Milliarden Euro in eine klimafreundliche Stahlproduktion. Auf die geopolitischen und geoökonomischen Krisen haben wir als einzelnes Unternehmen keinen Einfluss. Hier kommt es für uns eher darauf an, uns in unserem Wettbewerbsumfeld eine möglichst starke Position aufzubauen. Daran arbeiten wir. Denn klar ist: Stahl wird auch in Zukunft ein unverzichtbarer Werkstoff für Wertschöpfung, Wohlstand und auch ökonomische Resilienz sein.
Vor dem Hintergrund der Klimakrise stellen Sie ein Jahrhundertprojekt auf die Beine. Warum ist es gerade jetzt wichtig, in die grüne Transformation der Stahlindustrie zu investieren? 
Der Klimawandel macht keine Pause. Die Folgen werden immer sichtbarer, mit enormen Schäden für Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft. Daher ist es zwingend notwendig, so schnell wie möglich in die Transformation einzusteigen. Das tun wir mit dem Bau unserer ersten Direktreduktionsanlage für klimafreundlichen Stahl.
Welche Bedeutung hat der Standort Duisburg für die politischen Klimaziele der Bundesrepublik? 
Eine sehr große. Wir sind als Stahlhersteller, der hier am Standort Duisburg-Nord vier Hochöfen betreibt, ein sehr großer Emittent von Treibhausgasen. Thyssenkrupp Steel verursacht 2,5 Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes. Damit kommt uns eine große Verantwortung zu, aber wir haben eben auch die große Chance, ein bedeutender Teil der Lösung zu sein. Unsere erste DR-Anlage wird bereits 2029 mit 100 Prozent Wasserstoff betrieben werden und vermeidet dann bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2. So vermeiden wir dann zwei Prozent der CO2-Emissionen von NRW beziehungsweise mehr als vier Prozent des Ruhrgebiets. Damit sind wir einer der größten Wasserstoffabnehmer in Deutschland und ein maßgeblicher Motor für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und ihrer Infrastruktur. Das Ganze passiert hier am Standort Duisburg. Duisburg hat die Chance, sich auch darüber hinaus als Wasserstoff-Hub in Deutschland zu etablieren.
Thyssenkrupp Steel will bis 2045 klimaneutral produzieren. Was macht Sie optimistisch, dass der Zeitplan eingehalten werden kann? 
Wir haben jetzt mit dem Bau unserer ersten Direktreduktionsanlage begonnen. Wir haben dafür ein klares, innovatives und technologisch ausgereiftes Konzept. 2027 wird die Anlage in Betrieb gehen. Weitere Transformationsschritte werden folgen müssen, denn gleichzeitig werden die Kosten, CO2 zu emittieren, rasant steigen. Aus heutiger Perspektive erwarte ich daher, dass unsere Transformation deutlich vor 2045 abgeschlossen sein wird.
Duisburg hat die Chance, sich als Wasserstoff-Hub in Deutschland zu etablieren.
So einen Prozess kann Thyssenkrupp Steel nicht allein bewerkstelligen. Wie bewerten Sie den politischen Willen in Land und Bund, die Transformation umzusetzen? 
Der politische Wille ist da. Immerhin wird unser Projekt hier in Duisburg mit zwei Milliarden Euro vom Bund und vom Land NRW gefördert, wofür wir sehr dankbar sind. Aber gerade angesichts der Haushaltskrise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts bin ich überzeugt: Wir brauchen eine transformative Ordnungspolitik, die einen finanziellen Rahmen für die Transformation schafft und der Wirtschaft die nötige Planungssicherheit für ihre Investitionen gibt. Denn die Transformation hat gerade erst begonnen.
Eine Transformation dient dem Ziel, Wohlstand und Klimaziele miteinander vereinbar zu machen. Was bedeutet der Umbau für die Beschäftigten in Duisburg? 
Wohlstand und Klimaziele sind dann miteinander vereinbar, wenn wir international wettbewerbsfähige Unternehmen mit grünen Produkten und entsprechenden Märkten schaffen. In einer solchen transformierten Wirtschaft wird es dann auch genügend Beschäftigung geben. Aus Unternehmenssicht kann ich sagen: Wir gehen davon aus, dass der Umbau bei uns weitgehend beschäftigungsneutral gestaltet werden kann. Unsere Beschäftigten brennen darauf, die Transformation mitzugestalten, denn Stahl ist ein Zukunftsmotor der Region, zum Beispiel auch durch Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur mit dazugehörigen Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Hier gehen wir übrigens gemeinsam mit der Niederrheinischen IHK und den Hüttenwerken Krupp Mannesmann voran: Wir haben zusammen die bundesweit erste Zusatzqualifikation Wasserstoff entwickelt.
Krisenmodus ist zum Wort des Jahres 2023 gewählt worden. Ist die damit verbundene Stimmung auch in Ihrem Unternehmen und bei Ihren Geschäftspartnern spürbar? 
Krisen gab es immer und wird es immer geben. Wir sollten uns darauf konzentrieren, Lösungen zu finden. Ich halte nichts von Panikmache. Ich will aber nicht verschweigen, dass es strukturelle Probleme gibt, die nur mit Unterstützung der Politik zu lösen sind. Für energieintensive Unternehmen steht bezahlbarer Strom ganz oben auf der Agenda. Hier hat Deutschland einen massiven Wettbewerbsnachteil, der in dieser Form nicht bestehen bleiben darf.

Interview: Denis de Haas, Redaktionsbüro Ruhr.
Foto: Thyssenkrupp Steel AG



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