Krisen als Chance

„Wir können unser Schicksal weiter selbst bestimmen“

Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph M. Schmidt, Präsident des „RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung“, spricht im Interview über wirtschaftliche Konzepte gegen die Krise, eine Zeit der Umbrüche und den Stellenwert eines geeinten Europas.
Herr Professor Schmidt, was ist die größte Herausforderung für die Wirtschaft im Jahr 2024?
Sie liegt darin, mit der Unsicherheit umzugehen, die die aktuelle Phase geopolitischer Zuspitzungen auslöst. In der Ukraine tobt ein Krieg, ebenso im Nahen Osten. Dazu schwelt der Konflikt zwischen Taiwan und China. All das passiert in einer Zeit, in der wir ohnehin vor drei umfassenden Umbrüchen stehen: dem demografischen Wandel, der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit.
Was braucht es, um die Umbrüche voranzutreiben?
Wir benötigen vor allem Wirtschaftswachstum. Da der demografische Wandel schon einen Teil des Wachstums wegnimmt, sind insbesondere Investitionen in Sachkapital und in Innovation wie etwa Künstliche Intelligenz vonnöten. Die blieben ,in dieser Krisenzeit aber oft aus. Das halte ich für den falschen Weg.
Wir können auch von einer Europakrise sprechen, da EU-kritische Parteien Aufschwung erfahren. Im Hinblick auf die Wahlen im Juni: Wie wichtig ist es, den Krisen als geeintes Europa zu begegnen?
Durch die Europawahl werden die Weichen für die kommenden Jahre gestellt. Gerade im Hinblick auf die globalen Krisen sollte Europa mit einer Stimme sprechen. Und das sollte nicht die Stimme von jemandem wie der französischen Rechtspopulistin Marie Le Pen sein. Europa muss sich wieder als Wohlstands- und Friedensprojekt verstehen. Wer die Wähler gewinnen möchte, muss mit ihnen auf den Ebenen der Sachargumente und der Taten in Dialog treten.
Durch die Europawahl werden die Weichen für die kommenden Jahre gestellt. Gerade im Hinblick auf die globalen Krisen sollte Europa mit einer Stimme sprechen.
Sie haben als Wirtschaftspolitik-Professor schon viele Krisen bewertet. Welchen Stellenwert nimmt das Konglomerat der aktuellen Krisen ein? 
Es sieht düster aus, aber wir haben nach dem Zeiten Weltkrieg schon schwierigere Krisen gemeistert. Wir sind ja nicht die einzige Generation, die mit Verwerfungen leben muss. Die Menschen hatten während der Kubakrise und des drohenden Atomkriegs im Jahr 1962 auch ihre Ängste. Während meines Studiums habe ich die Sorgen rund um den Nato- Doppelbeschluss und die damit verbundene atomare Aufrüstung wahrgenommen. Und auch in jüngerer Vergangenheit gab es immer wieder Krisen, beispielsweise die Folgen der Anschläge vom 11. September 2001. Auch danach ging es wieder aufwärts. Und immer galt: Die Unternehmen, die auf Innovationen gesetzt haben, sind gestärkt aus den Krisen gegangen. Das war beispielsweise auch nach der Finanzkrise 2008/2009 der Fall. 
Also sehen Sie auch Anlass für Optimismus? 
Durchaus. Deutschland war noch nie so wohlhabend wie aktuell. Und die Corona- Pandemie hat gezeigt, dass unser Staat funktioniert. Wir sind, wie jede andere Volkswirtschaft, konfrontiert mit äußeren Einflüssen, die wir nicht ändern können. Allerdings haben wir auch vieles in der eigenen Hand. Wir können unser Schicksal also weiter selbst bestimmen. 
Wie kann die Politik dabei Unternehmen helfen? 
Sie kann den Unternehmen gute Rahmenbedingungen schaffen, indem sie beispielsweise Verwaltungsprozesse verschlankt und die Digitalisierung vorantreibt. Und wir sollten auch in Zukunft auf die soziale Marktwirtschaft setzen – in einer Form, in der auch das Wort Markt weiter vorkommt. 

Interview: Denis de Haas, Redaktionsbüro Ruhr.
Niederrheinische Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel-Kleve zu Duisburg
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