Frauen in Führung

„Es muss ein Kulturwandel stattfinden“

Anja Seng ist Professorin an der FOM Hochschule in Essen und beschäftigt sich unter anderem mit den Themen Gleichstellung und Diversity Management. Im Interview spricht sie über ihr Engagement im Netzwerk FidAR e. V. „Frauen in die Aufsichtsräte“ sowie Chancen und Hürden für gleichberechtigte Teilhabe in Führungspositionen. 

Frau Seng, Sie haben Ende der 1990er- Jahre Ihre erste Führungsposition übernommen, was als Frau zu der Zeit eine große Ausnahme war. Was hat sich seitdem verändert?
Anja Seng: Auf der einen Seite arbeiten immer mehr Frauen, weil sich Familie und Beruf mittlerweile besser miteinander vereinbaren lassen. Auf der anderen Seite sind die Führungsetagen in Deutschland weiterhin stark männerdominiert. Der Wandel ist hier kaum spürbar, und dadurch liegt sehr viel Potenzial auf dem Arbeitsmarkt brach.
Woran liegt es, dass Frauen weiterhin stark unterrepräsentiert sind?
S: Erst mal möchte ich sagen, woran es nicht liegt: Sie sind da – denn Frauen machen etwa die Hälfte unserer Gesellschaft aus. Und auch die Kompetenzen für eine Führungsposition bringen Frauen gleichermaßen mit wie Männer. Auch die Hälfte der Hochschulabschlüsse werden von Frauen erlangt. Es braucht hier also einen Wandel auf mehreren Ebenen.
Welchen Beitrag kann der Gesetzgeber leisten?
S: Ich engagiere mich als Präsidentin bei FidAR „Frauen in die Aufsichtsräte“ und plädiere unter anderem für eine Quotenregelung. Quoten nehmen die Unternehmen in die Pflicht und wirken nachweislich, wie wir mit den „FidAR Women-on-Board Indices“ zeigen können. Im Sommer 2021 trat das zweite Führungspositionen-Gesetz in Kraft, das ergänzend zur Geschlechterquote im Aufsichtsrat eine Mindestbeteiligung von Frauen im Vorstand vorsieht – für Unternehmen, die börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind und über einen Vorstand von mehr als drei Personen verfügen. Diese Voraussetzungen erfüllen aktuell gerade einmal 62 Arbeitgeber in ganz Deutschland. Das sind viel zu wenige, um echten Wandel zu erzielen.
Was muss sich in den Unternehmen ändern?
S: Dort muss ein Kulturwandel stattfinden. Verantwortliche schwärmen häufig, dass der Frauenanteil in ihrem Unternehmen schon bei 60 Prozent liegt. Wenn ich mit denen über die Führungsebene spreche, höre ich andere Zahlen. Dann sind es auf einmal nur noch 15 bis 20 Prozent. Diese Transparenz, dass es eben keinen gleichberechtigten Aufstieg in der Organisation gibt, ist enorm wichtig. Deshalb ist es wichtig, Zahlen zu erheben und verbindliche Ziele zu definieren. Auch die Auswahlprozesse im HR-Bereich sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Oft wird dort noch nach dem Bauchgefühl entschieden. Erfolgt die Personalauswahl über strukturierte Interviews, liegt der Fokus auf den Kompetenzen, was die Aufstiegschancen für Frauen – und übrigens auch für andere Gruppen, die bisher weniger Chancengerechtigkeit erleben – erhöht. Außerdem sollten Unternehmen die Erfolgsgeschichten von weiblichen Führungskräften sichtbar machen, zum Beispiel durch Beiträge und Bilder auf der eigenen Website. Das kann andere Frauen anspornen, auch Karriere machen zu wollen.
Braucht es auch einen gesellschaftlichen Wandel?
S: Auf jeden Fall. Ich war kürzlich bei einem Autohersteller und kam mit einem Betriebsleiter aus Spanien und einem aus Osteuropa ins Gespräch. Die haben mir fast überrascht erzählt, dass in den Werken sehr viele Frauen beschäftigt sind und auch Führungspositionen innehaben. Bei uns heißt es oft immer noch: Nur Männer können Technik. Das ist leider ein deutsches Phänomen und führt dann beispielsweise im Studiengang Maschinenbau zu einem Frauenanteil von acht bis zehn Prozent. Deshalb muss sich auch in der Lehre etwas verändern. Junge Abiturientinnen sollen Vorbilder bekommen. Auch wir an der FOM versuchen, jeden Studiengang bewusst auch mit weiblichen Lehrkräften zu besetzen.
Sie sind bei „Frauen in die Aufsichtsräte“ sehr aktiv. Wie wichtig ist es, sich zu vernetzen?
S: Es ist immer gut, sich gemeinsam für eine Sache stark zu machen. Ein Netzwerk bietet die Chance, sich gegenseitig zu unterstützen und so Veränderungen schneller voranzubringen. Und es gilt immer: Empfehle jeden Tag eine gute Frau!

Interview: Denis de Haas