Stein auf Stein der Krise trotzen

Manche finden Entspannung beim Angeln. Dabei ist es egal, ob am Ende des Tages ein Hecht am Haken baumelt. Hauptsache, der Geist kam zur Ruhe und die Seele konnte mal die Füße hochlegen. Andere gehen wandern. In die Sauna. Oder versenken sich derart in eine Schachpartie, dass sie alles um sich herum vergessen. Ugur Demir (37) fing vor neun Jahren an, nach Feierabend Häuser zu bauen. Nicht mit Bauklötzen, sondern Stein auf Stein. Was berufsbegleitend begann, stellten Ugur Demir und seine beiden Brüder vor vier Jahren auf professionelle Beine: sie gründeten die in Peine ansässige Mein Zuhause Massivhaus GmbH.
„Ich hatte einfach schon immer Interesse am Häuserbau“, sagt der junge Mann. Nun beginnt nicht jeder, der vom allmählichen Werden eines Hauses, von der Bauplatte über den Richtkranz bis hin zur Schlüsselübergabe fasziniert ist, nebenbei Häuser zu bauen. Das ist schließlich noch mal eine andere Hausnummer als nach Dienstschluss angeln zu gehen. Aber Ugur Demir ist einer, der es nicht beim Träumen belassen wollte, der seine Ideen in die Tat umsetzen möchte.

Marktgerecht im Stromer unterwegs

Wir treffen uns nicht auf einer seiner Baustellen, sondern im Büro in der Gunzelinstraße. Auf dem Firmenparkplatz stehen zwei Stromer. „Na klar“, lacht der freundliche Unternehmer, „ich bin marktgerecht unterwegs.“ Und spielt darauf an, dass nachhaltiges Bauen selbstverständlich auch einen Platz im Portfolio seines Unternehmens hat.
Wir müssen noch mal ein bisschen beim Werdegang des gebürtigen Peiners bleiben. Wer je selbst (wie die Autorin auch) ein Haus gebaut hat, erinnert sich an viele im Wortsinn einmalige Momente. Als der kleine Sohn zaghaft seine Hand in die frisch gegossene Bodenplatte drückte und sich so auf immer als Hausherr verewigte. An den Moment, als man durch den Rohbau ging und allmählich ahnen konnte, wie es einmal werden könnte. Wo viel Licht ist, ist bekanntlich auch mancher Schatten. Ich sage nur: Pfusch und Verzug am Bau. Kurzum: Einmal im Leben – für die meisten ist nach einem Hausbau Schluss.
Ugur Demir jedoch, ja man kann das schon so sagen, brennt für den Häuserbau. Gemeinsam mit seinen Brüdern baute er 2015 das Haus ihres Vaters. Hiernach wurden die Projekte immer größer. Sie machten sich einen Namen. Und entschieden irgendwann, das Ganze gewerblich zu machen. „Wir haben das gut durchdacht, ein Jahr lang geplant“, erzählt Demir. Gebäude aus dem Hause „Mein Zuhause“ sind allesamt Dekra-geprüft. Der gelernte Elektriker Vedat Demir verantwortet im Familienbetrieb Geschäftsführung und Bauleitung, Groß- und Außenhandelskaufmann Feysel Demir kümmert sich verstärkt um die Kundenberatung. Prokurist Ugur Demir hat auch das Marketing unter sich. Ein Architekt komplettiert das Team.

Berufsbegleitend zum Handelsfachwirt qualifiziert

Beim stadtbekannten Peiner Einzelhändler Ole Siegel bestand Ugur Demir seinerzeit die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, arbeitete dann zunächst in einem Modegeschäft in Wolfsburg. Berufsbegleitend qualifizierte er sich vor zehn Jahren zum Handelsfachwirt, die Ausbildereignungsprüfung hat er seit zwei Jahren in der Tasche. Ebenso seit 2023 die Maklergenehmigung. „Ich bin bildungshungrig“, sagt Demir. Voller „Power und Energie“ sei er, so der Familienvater, der mit Frau und Kind ein Eigenheim, Modell „Stadtvilla“, bewohnt. Es mache ihm nichts aus, mehr als die arbeitnehmerübliche Regelarbeitszeit zu arbeiten. „Das ist okay.“ Aber als Unternehmer könne er Arbeitszeiten flexibler händeln. Und sei vor allem sein eigener Herr.
So schön hell und licht das Büro, so exzellent der Kaffee gebrüht ist und so voll des Lobes sich die Referenzen auf der Website der Massivbauer auch lesen, wir müssen jetzt leider einen Schlenker zu den derzeit wenig rosigen Perspektiven der Branche machen. Die Bauwirtschaft steckt in einer historischen ­Krise. Wer derzeit bauen will, hat sich eine miese Zeit ausgesucht. Die Baukosten sind explodiert, staatliche Abgaben und Zinsniveau sind gleichermaßen hoch. Für viele zu hoch: Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) berichtete jüngst, dass im vergangenen Jahr 20,7 Prozent der Unternehmen von stornierten Projekten berichtet hätten. Um die Branche stehe es „so schlecht und kritisch wie nie in der Nachkriegsgeschichte“, sagte ZIA-Präsident Andreas Mattner in einem Fernsehinterview. Bauen sei heute „faktisch unmöglich“ geworden. Neubauprojekte kämen erst bei einer Durchschnittsmiete von 21 Euro pro Quadratmeter auf eine Schwarze Null. „Wer heute baut, geht bankrott“, so der Präsident des Spitzenverbands der Immobilienwirtschaft.

„Klar, Neubau ist schwierig derzeit“

So weit würde Demir ganz und gar nicht gehen. „Klar, ein Neubau ist schwierig derzeit.“ Neben hohem Zinsniveau und staatlichen Abgaben seien die staatlichen Vorgaben mitunter auch recht „eng und streng“. Schnellere und flexiblere bürokratische Entscheidungen würden der Branche guttun.
Beratung wird bei uns ganz großgeschrieben!

Ugur Demir

Aber Demir will sich nicht zu lange mit pessimistischen Prognosen aufhalten, sondern mit der Expertise seines „familiär und transparent“ geführten ­Familienbetriebs punkten. Er nennt Bauzeitgarantie, „die haben wir bisher immer einhalten können“, langjährige Zusammenarbeit mit bewährten Handwerkern und bauträgerseitige Neubauförderung von bis zu 20 000 Euro. In diesem Zusammenhang ist es wohl auch als ein Lichtblick am ansonsten düsteren Immobilienmarkthorizont zu bewerten, dass das KfW-Förderprogramm, das Ende des vergangenen Jahres abrupt gestoppt worden war, neu aufgelegt wird. Insgesamt 762 Millionen Euro stehen 2024 in Form von zinsverbilligten Krediten zur Verfügung.

Jeder soll sein Haus nach seiner Fasson bauen

Demir und seine Brüder haben aber ohnehin schon längst auf die Krise vor allem im Neubausektor reagiert: Sie bieten schon seit geraumer Zeit Sanierungen (Kernsanierung, energetische Sanierung) sowie An- und Umbauten an. „Wir haben auch einen Energieberater an der Hand.“
Vor drei Jahren sorgte eine Schlagzeile in der Bildzeitung für viel Wirbel: „Grüne wollen neue Einfamilienhäuser verbieten!“ Das war natürlich, wie so oft bei diesem Blatt, verkürzt bis falsch. Vielmehr hatte der Grünen-Politiker Anton Hofreiter gesagt, dass Einparteienhäuser viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie verbrauchten und für Zersiedlung und noch mehr Verkehr sorgten. Und dass das weitere Bauen von Einfamilienhäusern in Zeiten der Klimakrise und des Artensterbens kontraproduktiv und deshalb zu überdenken sei. Ugur Demir hat da einen pragmatisch-­diplomatischen Ansatz: vom sozialen Wohnungsbau bis zur Luxusvilla – alles muss möglich sein. Und wenn jemand ein Haus bauen wolle, dann müsse er das auch dürfen.
Bei „Mein Zuhause“ gibt es nichts von der Stange, jedes Objekt wird nach den Wünschen der Kunden geplant und betreut. Massivhäuser, keine Katalogware. Häuser sind wie Klamotten – viel ist höchst persönliche Geschmackssache, manches ist beeinflusst vom gerade gängigen Zeitgeist. Und wenn jemand mit hochfliegenden Luftschlösschen-Vorstellungen zu ihm kommt? Oder ein Zuckerbäckerpalästchen im Stile des Gelsenkirchener Barocks haben will? Demir lächelt: „Beratung wird bei uns ganz großgeschrieben!“ So rät er zum Beispiel vom Kellergeschoss ab. „Zu teuer. Eine Garage erfüllt auch den Zweck und spart Geld.“ Und was den Geschmack angeht: Der Kunde bekommt, was er möchte.

Peine ist zum Bauen nicht nur wegen der Infrastruktur top

30 Häuser haben die Demirs in den letzten Jahren gebaut, vorrangig im Umfeld von Peine, aber auch in der Region Celle und in Wolfsburg. Derzeit haben sie unter anderem in Dahlum und Dedenhausen Baustellen. Im Landkreis Peine werde viel gebaut, so Demir. „Die Infrastruktur ist gut, die Lage zwischen Braunschweig und Hannover auch.“ In Hannover ist er manchmal im Stadion, drückt 96 die Daumen. Er selbst kickt in der 1. Kreisklasse für Essinghausen. Einmal in der Woche geht er zum Training, mehr ist zeitlich nicht drin.
Wie ist das eigentlich, wenn Brüder auch Kollegen, Geschäftspartner sind? „Wir verstehen uns gut. Familie eben. Da kann es dir nicht passieren, dass einer heimlich zum Geschäftsführer geht und dich anschwärzt.“ Nur manchmal knirscht es im Gebälk: „Wenn wir bei privaten Feiern zu viel von der Arbeit reden.“ Dann steigen ihnen schon mal ihre Frauen aufs Dach.
suja
2/2024