Mehr als Harzromantik - Chemie, Recycling und die Arbeit der WiReGo
Viele denken beim Harz zuerst an Wälder, Wanderwege und verschneite Wochenenden. Doch im Landkreis Goslar schlägt auch ein industrielles Herz: Chemie- und Recyclingunternehmen prägen den Standort seit Jahrzehnten. Sie schaffen tausende Arbeitsplätze, sorgen für Wertschöpfung – und geben der Wirtschaftsregion Goslar ein klares Profil. Damit diese Stärken nicht bloß nebeneinanderstehen, sondern gezielt wachsen, braucht es eine koordinierende Kraft. Diese Aufgabe übernimmt seit mittlerweile 15 Jahren die Wirtschaftsförderung Region Goslar GmbH & Co. KG, kurz WiReGo, unter der Leitung von Dr. Jörg Aßmann.
Dr. Jörg Aßmann, Geschäftsführer der WiReGo und Mitglied der IHK-Vollversammlung.
Sie ist die zentrale Anlaufstelle für Unternehmen, Gründerinnen und Gründer sowie für nationale und internationale Investoren. Zudem begleitet sie Förderprojekte und bringt Unternehmen, Wissenschaft und Kommunen zusammen, damit gemeinsame Vorhaben und wirtschaftliche Perspektiven entstehen, die vor allem mit Blick auf das industrielle Potenzial unverzichtbar sind. „Rund 3000 Menschen arbeiten direkt in der Chemie, noch einmal so viele bei Zulieferern. Was kaum einer weiß: Damit sind wir zumindest in Niedersachsen der größte Chemiestandort“, sagt Jörg Aßmann. Die industrielle Tradition reicht weit zurück. Über Jahrhunderte prägte der Erzbergbau den Harz, Metalle wurden direkt im Gebirge gewonnen. Mit dem Ende dieser Ära verschwand das Wissen nicht – es fand neue Wege. „Früher haben wir strategische Metalle aus der Erde geholt, heute gewinnen wir sie aus Reststoffen und Recyclingmaterial“, erklärt Aßmann und ergänzt: „Viele dieser Verfahren beruhen auf chemischen Prozessen. Das ist die Basis für unsere Stärke als Chemiestandort.“
Unser Vorteil ist die Vielfalt – in den Branchen ebenso wie bei den Unternehmensgrößen.Dr. Jörg Aßmann
Wissenschaftliche Exzellenz und Tourismus gehen Hand in Hand
Doch die Region Goslar lebt nicht allein von Chemie und Recycling. Unternehmen aus der Materialprüftechnik sind international gefragt; und Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen sowie Sehenswürdigkeiten und Freizeitangebote machen die Region zu einem beliebten Ziel für Gäste aus dem In- und Ausland. „Unser Vorteil ist die Vielfalt – in den Branchen ebenso wie bei den Unternehmensgrößen.“ Ein besonderer Standortvorteil ist die Forschungslandschaft. Mit der Technischen Universität Clausthal verfügt der Landkreis über eine Einrichtung, um die ihn viele andere Regionen beneiden. „Wie viele Landkreise in Deutschland träumen davon, eine eigene Universität zu haben? Wir haben sie“, sagt der 58-Jährige.
Die TU bringt nicht nur hochqualifizierte Absolventinnen und Absolventen hervor, sondern treibt auch Innovationen voran – von Recycling- und Batterietechnologien bis hin zur Prüftechnik. Für die WiReGo ist die Nähe zur Universität ein Schlüssel: sie unterstützt Ausgründungen, vermittelt Kontakte und trägt dazu bei, dass aus Forschung vor Ort wettbewerbsfähige Betriebe entstehen.
Gründungszentrum als Keimzelle
Trotz dieses Potenzials bleibt die Gründungskultur im Landkreis Goslar hinter den Möglichkeiten zurück. Ein Grund dafür ist der demografische Wandel: Der Landkreis zählt zu den ältesten in Niedersachsen. Weniger junge Menschen bedeuten auch weniger potenzielle Gründerinnen und Gründer. „Und doch ist es unser Anspruch, mehr Gründungsdynamik in der Wirtschaftsregion Goslar zu entfalten“, sagt Jörg Aßmann. Dafür setzt die WiReGo auf mehrere Schwerpunkte. Herzstück ist das Gründungszentrum auf dem Campus der TU Clausthal, das seit drei Jahren jungen Unternehmen Raum zum Wachsen bietet. Neben Start-ups nutzen teilweise auch etablierte Firmen die Infrastruktur – ein Balanceakt zwischen wirtschaftlicher Stabilität und dem ursprünglichen Gründungsfördergedanken.
Das 16-köpfige Team ist eng mit der regionalen Wirtschaft verbunden.
Zusätzlich betreibt die WiReGo gemeinsam mit der TU eine Beratungsstelle im Gründungszentrum, die Studierende und Forschende frühzeitig stärkt. Mit ihrer Gründungs- und Innovationsakademie vermittelt sie außerdem praxisnahes Wissen, das aus Ideen erfolgreiche Unternehmen werden lässt. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist dabei das Engagement als Kapitalgeber. Als eine der wenigen Wirtschaftsförderungen in Deutschland stellt sie jungen Firmen und technologischen Ausgründungen aus der Universität Risikokapital direkt zur Verfügung. So schließt sie Finanzierungslücken, die klassische Programme offenlassen.
„Wir beteiligen uns an Firmen und ziehen uns nach einigen Jahren wieder zurück“, erklärt Jörg Aßmann. „Das Kapital fließt zurück an uns – und wir können es in das nächste Jungunternehmen investieren.“ Auf diese Weise erhalten Gründerinnen und Gründer zusätzlichen Spielraum und gewinnen leichter weitere Investoren oder Banken. Das finanzielle Fundament der WiReGo ist ein Gesellschafterkreis, der so nicht oft zu finden ist. Neben dem Landkreis Goslar und allen Kommunen gehören sechs Regionalbanken, die TU Clausthal sowie der Unternehmerverein „pro Goslar“, in dem rund 250 Firmen organisiert sind, zu den Anteilseignern. „Wir sind mehrheitlich in öffentlicher Hand, aber private Partner sind bei uns genauso vertreten.“ So ist das 16-köpfige Team der WiReGo eng in der regionalen Wirtschaft verankert.
Wirtschaftsförderung als Herzensangelegenheit
Neben dieser Trägerstruktur hat sie sich ein zweites Standbein geschaffen: eigene Einnahmen. „Wir haben mit der Zeit etliche Leistungen entwickelt, mit denen wir Geld verdienen und dieses wiederum nutzen, um zusätzliche wirtschaftsfördernde Angebote kostenfrei bereitzustellen“, sagt der promovierte Volkswirt. Dazu zählen etwa Technologie- und Innovationsberatung für Nachbarlandkreise, das Management einer sogenannten LEADER-Region (ein EU-Förderprogramm zur Stärkung ländlicher Räume) und ein Messeangebot, mit dem die WiReGo Betriebe auf Recruiting- und Fachkräfteveranstaltungen ins Blickfeld rückt.
Ein sichtbares Zeichen für den Investitionswillen in der Region sind die Projekte, die im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) gefördert wurden. Zwischen 2016 und 2024 lösten sie im Landkreis Goslar Investitionen von knapp 275 Millionen Euro aus – unterstützt durch mehr als 60 Millionen Euro an nicht rückzahlbaren Zuschüssen. Das Ergebnis: rund 750 neue Arbeitsplätze.
Die WiReGo hat daran großen Anteil, denn sie begleitet Unternehmen mit Nachdruck bei der Antragstellung bis ins Detail. „Seit sieben Jahren ist jeder von uns empfohlene Antrag auch bewilligt worden.“ Mit dieser Erfolgsquote gehört der Landkreis in Niedersachsen regelmäßig zu den Spitzenreitern beim Einwerben von Fördermitteln im Bereich der Investitionsförderung. Spürbar wurde das vor allem im Tourismus des Westharzes: Dessen Infrastruktur ist in den letzten 15 Jahren modernisiert worden – und konnte dadurch besonders von der wachsenden Nachfrage nach Urlaub in Deutschland profitieren.
Die WiReGo hat daran großen Anteil, denn sie begleitet Unternehmen mit Nachdruck bei der Antragstellung bis ins Detail. „Seit sieben Jahren ist jeder von uns empfohlene Antrag auch bewilligt worden.“ Mit dieser Erfolgsquote gehört der Landkreis in Niedersachsen regelmäßig zu den Spitzenreitern beim Einwerben von Fördermitteln im Bereich der Investitionsförderung. Spürbar wurde das vor allem im Tourismus des Westharzes: Dessen Infrastruktur ist in den letzten 15 Jahren modernisiert worden – und konnte dadurch besonders von der wachsenden Nachfrage nach Urlaub in Deutschland profitieren.
Gründungszentrum-Geschäftsführer Samet Kibar (links) mit Dr. Jörg Aßmann auf dem TU-Campus.
Für die nächsten Jahre drängt ein Thema besonders: neue Gewerbeflächen. Schon heute ist der Mangel im Landkreis Goslar spürbar. „Wenn man gar keine Flächen mehr hat, wie will man dann Ansiedlungen gewinnen oder Unternehmen bei Expansionsabsichten unterstützen?“, fragt Jörg Aßmann. Die Gemeinden sind für die Entwicklung zuständig, doch die WiReGo unterstützt sie bei Bedarf gerne: von der Suche nach geeigneten Arealen über die Prüfung möglicher Fördermittel bis hin zur Frage, zu welchem Preis Flächen am Markt bestehen können.
Am Ende schließt sich der Kreis. Was einst mit Erzbergbau begann und heute als Chemie- und Recyclingkompetenz die Wirtschaftsstruktur prägt, soll in Zukunft in einer umfassenden Kreislaufwirtschaft weitergeführt werden. Der Landkreis Goslar ist dafür als eine von wenigen Regionen in Deutschland zur Modellregion „Circular Rural Regions“ ausgewählt worden.
Neben dem Recycling ausrangierter Batterien und Solarmodule, das in der Region ohnehin eine wichtige Rolle spielt, geht es im Projekt auch um die Nutzung von Baumaterialien aus Rückbau, um neue Sharing-Angebote sowie um vernetzte Reparaturcafés. „Wir müssen Produkte länger im Kreislauf halten und Ressourcen gemeinschaftlich nutzen“, betont Jörg Aßmann. So knüpft der Landkreis an seine industrielle Tradition an – und entwickelt sie in Richtung Nachhaltigkeit weiter.
boy
7/2025