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Von wegen Provinz
Eine wegweisende neue Software, ein visionärer Co-Working-Space auf dem Lande und ein Start-up-Programm, das sich den Themen Nachhaltigkeit und Förderung des ländlichen Raums verschrieben hat: Die Dressler Automation GmbH stellt im beschaulichen Schöppenstedt derzeit eine Menge auf die Beine.
Wenn das Leben einem Zitronen gebe, solle man die gelben Sauerfrüchte zu Limonade veredeln, rät der Volksmund. Was aber tut man, wenn einem das Schicksal Schöppenstedt vor die Betriebstür gepflanzt hat? Nicht falsch verstehen: Das 5500-Einwohner-Städtchen im Osten des Landkreises Wolfenbüttel hat für einen Ort seiner Größe eigentlich schon ein bisschen was zu bieten – schöne Fachwerkhäuser etwa, eine interessante Till-Eulenspiegel-Historie mit entsprechendem Museum, dazu im Norden und Westen gleich zwei tolle Höhenzüge, die immer einen Ausflug wert sind. Dennoch haftet dem Verwaltungssitz der Samtgemeinde Elm-Asse hartnäckig das Siegel „Provinz“ an. Nicht das beste Pflaster für international agierende Unternehmen. Oder?
Dass man sich in der Eulenspiegel-Stadt nicht nur wohlfühlen, sondern sogar erfolgreich eine Firma führen kann, beweist die Dressler Automation GmbH seit mehr als 50 Jahren. Das Familienunternehmen bietet laut Eigenbeschreibung „Produkte und Dienstleistungen für alle elektrischen Belange der Fertigungsautomation“ an. Dabei ist Dressler – keine Überraschung – verstärkt für die Automobilindustrie im Einsatz. Darauf deutet auch der zweite Unternehmensstandort hin: Vor mehr als zehn Jahren eröffneten die Schöppenstedter in den USA, genauer in Chattanooga, eine Zweigstelle. Nicht zufällig dort, wo Volkswagen ein großes Werk betreibt. Heute sind jeweils rund 30 Dressler-Mitarbeiter in Niedersachsen und Tennessee tätig.
Arbeiten in Wohlfühl-Atmosphäre
Mit dem Aufbau des US-Standorts waren Wachstum und Wandel bei Dressler Automation allerdings keineswegs beendet. Seit mit Ralph Dreßler vor einigen Jahren der Sohn des Firmengründers die Geschäftsführung übernahm, hat nicht nur ein Generations-, sondern auch ein spürbarer Paradigmenwechsel stattgefunden. Ein Wandel, der notwendig war, wie Arne Brökers glaubt. „Viele Firmen haben ein Problem mit der Neuausrichtung. Die haben zig Jahre dasselbe gemacht und gehen letztlich daran kaputt“, sagt der Wolfenbütteler. „Wir sind stattdessen gerade dabei, uns komplett neu zu erfinden.“ Brökers weiß, wovon er spricht, ist er doch eine zentrale Figur in den modernen Strukturen des Unternehmens. Bei dem 29-Jährigen laufen gleich drei Stränge der firmeninternen Neuausrichtung zusammen.
Folgt man Brökers über das Firmengelände an der Braunschweiger Straße, erhält man einen recht klaren Einblick in die Vergangenheit und die Zukunft des Unternehmens. Zwei große Gebäude (und eine Scheune) prägen den Standort, das eine modern eingerichtet und belebt, das andere leerstehend und bereit für die bevorstehende Sanierung. Der altbackene Charme der 70er-Jahre, der in letzterem noch die geräumten Büros und die kaum noch genutzte Werkstatt durchweht, wird bald vollends weichen müssen. Die Digitalisierung hat auch vor der Automatisierung nicht Halt gemacht, Lochkarten waren vorgestern. Im Mai 2020 wurde hier, am traditionsreichen Unternehmensstandort, der DSTATION KreativCampus gegründet. „Hier sollen bis zu 100 Menschen arbeiten können“, verrät Brökers die Vision hinter dem Co-Working-Space, der vom niedersächsischen Digitalisierungsministerium gefördert wird.
Das „Co-Working auf dem Land“, wie Brökers den Vorstoß nennt, soll nicht nur klugen und kreativen Köpfen, Gründern, Freiberuflern und Digitalnomaden auf dem Firmengelände einen neuen Arbeitsort in angenehmer Atmosphäre bieten, sondern regionale Strukturen stärken und Schöppenstedt sowie die Elm-Asse-Region insgesamt attraktiver machen. Brökers spricht von einer „Gegenbewegung zur Urbanisierung“ und erläutert: „Wir träumen davon, dass hier in Schöppenstedt, wo gerade so viel Leerstand herrscht, wieder Leute wohnen, zurück aufs Land ziehen. Und sich sagen: Wofür brauche ich die Großstadt, wenn ich hier den KreativCampus habe?“ Spätestens nach dem großen Umbau des gesamten Firmengeländes, früher mal ein Bauernhof, für den eigens ein Architekturwettbewerb ausgerichtet wurde, soll sich die DSTATION vor den Co-Working-Spaces in der Löwenstadt nicht mehr verstecken müssen – im Gegenteil. „Wir verstehen uns als Ort der absoluten Flexibilität“, betont Brökers. Auch auf den ersten Blick abseitige Ideen und Vorhaben sollen hier ein Zuhause finden können.
Hier lässt es sich aushalten und angenehm arbeiten: Der Co-Working-Space und KreativCampus DSTATION in Schöppenstedt sieht nicht nur richtig gut aus, sondern hat in Sachen Ausstattung auch viel zu bieten.
© DSTATION KreativCampus
Mit neuer Software den Markt erobern
Solarpanels auf dem Dach, eine E-Auto-Ladestation, ein „Regiomat“ sowie eine Solawi-Station, beide mit Lebensmitteln von regionalen Landwirten, deuten darauf hin, dass hier auch an den Aspekt der Nachhaltigkeit gedacht wird. „Ein Co-Working-Space steht ja von Grund auf für Ressourcenschonung, weil man sich hier die vorhandenen Ressourcen teilt“, erklärt Brökers. Einen Arbeitsplatz mit Glasfasernetz, Drucker, Plotter, Kaffee-Flatrate und stylishem Ambiente gibt es in der DSTATION schon ab 100 Euro im Monat. Dass die Nachfrage bisher noch überschaubar ist, hat nicht zuletzt mit der fortdauernden Pandemie zu tun, in der Orte gemeinschaftlichen Arbeitens zeitweise eher in den Hintergrund rückten.
Gemeinsam gearbeitet wird hier trotz Corona dennoch bereits. Das firmeninterne Start-up RoboLive, das in den bereits fertiggestellten Co-Working-Räumen beheimatet ist, ist eine weitere Säule der Umstrukturierung bei der Dressler Automation. Gemeinsam mit Brökers tüfteln Kai Pydde und Dennis Brinschwitz an der Zukunft der Automatisierung, auch in Chattanooga gibt es ein entsprechendes Team. Mit der Software, die von den amerikanischen Kollegen entwickelt wurde, werde die Fehlersuche und das Qualitätsmanagement von automatisierten Anlagen bei der Inbetriebnahme und im laufenden Betrieb deutlich erleichtert, versprechen die RoboLive-Macher. „Beim Einrichten von Anlagen und Fertigungslinien sind wir mit weniger Personal deutlich schneller fertig und erreichen eine bessere Qualität als andere Inbetriebnehmer“, berichtet Brinschwitz auch von Erfahrungen, die er und Pydde im VW-Werk in Chattanooga sammeln konnten. Mit Begeisterung erzählt das Trio von der „mächtigen Software“, die keineswegs nur für die Automobilproduktion interessant sei. Im Jahr 2022 soll der Vertrieb des Tools auch in Deutschland richtig durch die Decke gehen.
© DSTATION KreativCampus
Scheunen-Pitch beim Lab4Land
Ein Co-Working-Space im Herzen der Firma, eine wegweisende Software-Lösung als weiteres Standbein des Unternehmens – gibt es sonst noch etwas Neues bei Dressler Automation? Aber ja doch. Mit Lab4Land hat das Unternehmen einen Accelerator ins Leben gerufen, mit dem man „die erste Anlaufstelle für nachhaltige Projekte und Geschäftsideen auf dem und für das Land“ sein will. Das Förderprogramm für Gründer wird 2022 bereits in die dritte Runde gehen, seit dem 31. Januar dürfen sich wieder junge Start-ups mit ländlichem Schwerpunkt bewerben. Ab dem 13. Juni findet dann ein vierwöchiges „Glamping“ (Luxuscamping) statt, bei dem vier bis fünf Teams „an ihren Geschäftsideen tüfteln und an ihrem Scheunen-Pitch feilen“, beschreibt Brökers den Ablauf, der von Coaches, Mentoren und Unternehmen der Region begleitet wird. „Wir haben unfassbar viel vor“, verspricht der tatendurstige Projektmanager der Dressler Automation. Um noch mal den Volksmund zu bemühen: An Zitronen mangelt es nicht – und die Limonade soll richtig gut werden!
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