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Unternehmensnachfolge: Frischer Wind in traditionellen Strukturen
Eine Unternehmensnachfolge will gut überlegt sein und ein bisschen Mut gehört auch dazu. Das kann Tarek Abram bestätigen, der diesen Schritt gewiss nicht leichtfertig gegangen ist, als er die Böhm Feinmechanik und Elektrotechnik Betriebsgesellschaft mbH von seinem Vorgänger Dr. Elmar Böhm im Mai 2024 übernommen hat. Wie die Unternehmensübergabe gelungen ist, mit welchen Herausforderungen sich ein externer Unternehmensnachfolger konfrontiert sieht und warum der Generationenwechsel heute ganz deutlich in dem Harzer Unternehmen zu spüren ist, hat uns der neue Geschäftsführer verraten.
Für die Übergangsphase arbeiten sie Seite an Seite: der ausgeschiedene Geschäftsführer Dr. Elmar Böhm (li.) und Tarek Abram als sein Nachfolger.
Abram war es bei Geschäftsaufnahme besonders wichtig, dass der ausgeschiedene Dr. Böhm für eine Übergangszeit von einem Jahr weiterhin als Berater in Teilzeit zur Verfügung steht. Als Nachfolger schätze er vor allem sein technisches Fachwissen, denn der ehemalige Familienbetrieb Böhm blickt auf über 70 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Produktion feinmechanischer Bauteile und Baugruppen aus verschiedenen Metalllegierungen zurück. Das Traditionsunternehmen im Seesener Stadtteil Rhüden hat ein besonderes Alleinstellungsmerkmal: Neben der mechanischen Fertigung verfügt es auch über Galvanik, Lackierung und Elektrotechnik und kann so fertige Baugruppen für seine Kunden aus Luftfahrt, Verteidigungsindustrie, Maschinenbau, Biotechnologie und weitere Branchen herstellen. Dabei geschieht die komplexe Baugruppenmontage der einzelnen Komponenten in vielen Fällen in Handarbeit. Als Beispiel nennt Abram Elektronikgehäuse, die in Flugzeugcockpits, Verteidigungsfahrzeugen oder Kamerasystemen Verwendung finden.
„Wenn das alles geschafft ist,
bin ich stolz auf uns alle!“Tarek Abram
„Dass am Ende eine fertige Baugruppe für die Montage in der Industrie einsatzbereit ist, ist für ein Unternehmen unserer Größe nicht üblich“, hebt er lobend hervor. Im Bereich der Elektrotechnik bedient die Böhm Betriebsgesellschaft mbH ferner einen zweiten, autarken Geschäftszweig und stellt Regler-/Begrenzersysteme für thermische Begleitheizungen für den Raffineriebereich her. So wie alles, was das Unternehmen erzeugt, handelt es sich auch hier um ein absolutes Nischenprodukt. Es gibt kaum Mitbewerber, die Auftragslage ist sehr gut. „Einer unserer weiteren Vorteile ist, dass wir Ideen gemeinsam mit dem Kunden entwickeln. Wir arbeiten schon in der Entwicklungsphase zusammen und beraten ihn in jeglichen feinmechanischen Fragestellungen“, betont Abram den anwendungsbezogenen Ablauf, der sich von der klassischen Lohnfertigung von Mechanikteilen unterscheidet. Noch findet der Hauptvertrieb der kleinen und mittleren Serienproduktionen in Deutschland statt. Auf die Frage, ob der Mittelständler auf dem Weg zum Hidden Champion ist, sagt Abram schmunzelnd: „Ja, vielleicht.“
Tarek Abram hat die Unternehmensnachfolge im Mai 2024 angetreten.
Keine Liebe auf den ersten Blick
Abram kommt gebürtig aus dem Landkreis Osnabrück, hat in Hamburg Wirtschaftsingenieurwesen studiert und zuletzt den Standort KKF in Goslar der OKE Group GmbH mit über 300 Mitarbeitenden geleitet. Für ihn sei mit der Unternehmensübernahme ein „Kindheitstraum“ in Erfüllung gegangen. Denn auch wenn ihm Unternehmensführung stets Freude bereitete, habe er sich immer gewünscht, „etwas Eigenes“ zu haben. Vor einigen Jahren startete Abram daher proaktiv die Suche nach einer passenden Unternehmensnachfolge. Hierfür registrierte er sich in diversen Nachfolgebörsen wie dem Regionalpool der Allianz für die Region GmbH, der Plattform „nexxt change“ oder der Deutschen Unternehmerbörse (DUB) und war in Beraternetzwerken aktiv. Der 39-Jährige spricht von einem langwierigen Prozess, in dessen Verlauf er sich ungefähr 15 Unternehmen näher angesehen habe. Für ihn sei eine gewisse Unternehmensgröße ab 25 Mitarbeitenden mit eigener Produktion Voraussetzung gewesen. „Ich mag es, nah dran zu sein“, sagt Abram und unterstreicht seine Authentizität durch die hochgekrempelten Hemdsärmel und die durchaus genutzten Arbeitsschuhe. Er sei kein reiner Vertriebler, sondern ihn habe schon immer das Gesamtpaket aus Produktion und Handel gereizt – Prozesse, die ihm durch seinen bisherigen Werdegang durchaus geläufig sind.
Thomas Kausch, Nachfolgeberater der Allianz für die Region GmbH, überreicht Tarek Abram als neuem Geschäftsführer der Böhm Feinmechanik und Elektrotechnik Betriebsgesellschaft mbH einen Kompass, der ihm stets den richtigen Weg weisen soll.
Als Thomas Kausch, Nachfolgeberater der Allianz für die Region GmbH, den jungen Mann auf die mögliche Unternehmensübernahme der Böhm Feinmechanik und Elektrotechnik Betriebsgesellschaft mbH aufmerksam machte, war es jedoch keine Liebe auf den ersten Blick. Nicht nur, dass Abram bereits einen guten und verantwortungsvollen Job hatte, sondern „ich hatte auch Respekt vor der hochtechnischen Branche sowie dem geringen Modernisierungsgrad der Gebäude und Prozesse“, räumt er ein. Überzeugt habe ihn schließlich das Potenzial der Firma, denn die Zahlen und die Auftragslage stimmten. Dennoch blieb die Herausforderung einer für ihn neuen Branche mit hochspezialisierter Technologie, was gleichzeitig zu einer von Abrams größten Befürchtungen wurde, als es um die Anerkennung als externer Unternehmensnachfolger ging. „Ich war ehrlich und habe keinen Hehl daraus gemacht, dass ich kein Experte auf dem Gebiet bin. Damit bin ich durchaus auf Akzeptanz bei den Mitarbeitenden gestoßen“, resümiert Abram nach einem halben Jahr in der Geschäftsführung. „Ich vertraue auf das Fachwissen meiner Kolleginnen und Kollegen und nehme ihre Meinung sehr ernst, während ich mein eigenes Know-how ergänze“, so Abram weiter und spricht damit auf seine Kenntnisse von Prozessen, Organisationsstrukturen, im Umgang mit Kunden oder im Vertrieb an. Denn als Generalist liege sein Schwerpunkt auf den allgemeinen Geschäftsprozessen und darauf, wie er sie verbessern könne. Die Ungewissheit, ob die Mitarbeitenden mitziehen würden, habe sich spätestens auf der letzten Weihnachtsfeier erledigt, erinnert sich Abram. Stolz berichtet er, dass knapp 90 Prozent der Belegschaft daran teilnahmen.
In dem Harzer Traditionsunternehmen stecken über 70 Jahre Erfahrung in der Entwicklung und Produktion feinmechanischer Bauteile und Baugruppen.
Aufbruchstimmung
Neben den internen Ungewissheiten sah sich der neue Geschäftsführer aber auch bestehenden Kundenprozessen und -beziehungen gegenüber, die er ebenso als Hürde erlebte. Denn schon nach zwei Wochen im Unternehmen erhielt Abram die Hiobsbotschaft, dass der größte Kunde mit den bisherigen Liefermodalitäten unzufrieden war und die Firma Böhm für Neuaufträge gesperrt hatte. „Ein zäher Start, aber wir haben unseren guten Ruf mittlerweile zurückerarbeitet. Der Kunde ist auch wieder an Bord“, zeigt sich Abram mit der bisherigen Entwicklung zufrieden. Gerade weil mit der Unternehmensnachfolge viele Wagnisse und nicht zuletzt auch das persönliche Risiko für den Wirtschaftsingenieur im Raum standen, sei es hilfreich gewesen, mit Thomas Kausch auf die Beratungsleistung eines neutralen Dritten zurückgreifen zu können. Insbesondere bei der Vertragsgestaltung habe Kausch vermittelt und sei auch in Situationen, in denen sich die beiden Parteien nicht einig wurden, als Mediator zum Einsatz gekommen. Nicht zuletzt habe er auch geeignete Netzwerkpartner für den Übernahmeprozess empfohlen, so zum Beispiel einen Notar.
„Ich vertraue auf das Fachwissen meiner Kolleginnen und Kollegen und nehme ihre Meinung sehr ernst, während ich mein eigenes Know-how ergänze.“Tarek Abram
Laut Abram kam der Geschäftsführerwechsel genau zur rechten Zeit, denn es standen einige Entscheidungen an, die er nun selbst beeinflussen konnte. „Ich wusste nicht genau, was auf mich zukommen würde, da man erst merkt, was im Argen liegt, wenn man selbst dabei ist“, beschreibt er das Risiko, das er als Unternehmensnachfolger eingegangen ist. Die Gelegenheit, mit seinem Beginn als neuer Geschäftsführer auch Veränderungen zu gestalten und Aufbruchstimmung zu erzeugen, hat Abram wahrlich genutzt. Einen erheblichen Wachstumsschub hat es mit einem Anstieg von 40 auf 60 Mitarbeitende beim Personal gegeben. „Das hängt mit unserem aktuell extrem hohen Auftragsvolumen zusammen. Auch wenn ausgebildete Fachkräfte schwer zu bekommen sind, hat es im Helferbereich gut funktioniert“, ergänzt der Unternehmer. Darüber hinaus plant Abram diverse Infrastrukturmaßnahmen, so zum Beispiel mehrere Bauvorhaben zur Vergrößerung der Produktionsflächen, Modernisierungen des Bürogebäudes, die Erweiterung der Parkflächen, die Digitalisierung der Buchhaltung oder auch die Einführung einer neuen IT-Serverstruktur. Einige Erfolge konnte er bereits feiern, denn eine Unternehmensplanungssoftware wird gerade eingeführt und das Thema Bauplanung läuft gemeinsam mit einem Architekten auf Hochtouren. Ebenso hat Abram den Entsorgungsbereich neu strukturiert und ein Raucherhäuschen auf dem Außengelände installiert. Dass ihm die Wünsche und Anregungen seiner Mitarbeitenden bei der Neugestaltung wichtig sind, spürt man bei Tarek Abram sofort – viele Maßnahmen richten sich direkt an sein Team. So auch die schwarzen Fleecejacken mit neuem Firmenlogo, die das Wir-Gefühl stärken sollen. Einheitliche Arbeitskleidung ist außerdem in Planung.
Die Umstrukturierungspläne wirken schier endlos und bedeuten für den sympathischen Unternehmer gegenwärtig eine 60- bis 70-Stunden-Woche. „Vor allem die Umbaumaßnahmen gestalten sich als großer bürokratischer Akt. Neben dem Tagesgeschäft die entsprechenden Bauvorhaben zu planen, kostet extrem viel Zeit und Kraft“, so Abram. Seit Oktober unterstützt ihn eine Assistenz bei diesen Aufgaben und auch der geplante Teamleiter für das Büro soll Entlastung bringen. Trotz aller Herausforderungen ist Tarek Abram optimistisch geblieben und blickt der bevorstehenden Zukunft erwartungsvoll entgegen: „Wenn das alles geschafft ist, bin ich stolz auf uns alle!“
ar
2/2025