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Gründen üben? - Steht jetzt auf dem Stundenplan
Wo in meinem Alltag lauert eigentlich eine Geschäftsidee? Wie wird aus einer guten Idee ein Produkt, das Kunden wirklich überzeugt? Und wie präsentiere ich mein Produkt, damit man mich nicht vergisst? All diese Fragen stehen plötzlich im Raum – nicht von Lehrkräften gestellt, sondern von einem Team der TU Braunschweig. Es ist der erste Tag eines zweitägigen Workshops, und 16 junge Menschen, die in regionalen Betrieben ausgebildet werden und die Berufsbildende Schule Helmstedt besuchen, hören aufmerksam zu. Es geht nicht um Noten oder Prüfungen, sondern um Ideen – und darum, wie daraus vielleicht ein eigenes Unternehmen entstehen könnte.
Unternehmertum nähergebracht: Das Team des Entrepreneurship Hubs der TU Braunschweig mit Schülerinnen und Schülern der BBS Helmstedt.
Es ist eine ungewöhnliche Mission, die der Entrepreneurship Hub der TU Braunschweig verfolgt: Gründungsideen in die Klassenzimmer bringen. Dierck Tietje, Sophie Bente und Johannes Dormeier kommen mit ihren Workshops direkt an Berufsbildende Schulen – dorthin, wo junge Menschen zwar ihre berufliche Zukunft vorbereiten, der Unternehmergeist aber bisher kaum gefördert wird.
Mit unternehmerischem Denken vertraut machen
Reza Asghari will das ändern. Der Professor für Entrepreneurship an der TU Braunschweig und der Ostfalia Hochschule leitet das Projekt. Seine Forschung beschäftigt sich mit der Frage, wie man Innovationskultur nicht nur in Metropolen, sondern auch im ländlichen Raum fördern kann. In großen Städten bilden sich Start-ups oft fast automatisch: Hochschulen, Netzwerke und eine etablierte Gründungskultur schaffen dort das passende Umfeld. Aber auch kleinere Orte haben Potenzial, sagt der 64-Jährige – zum Beispiel durch die Berufsbildenden Schulen. „Hier haben die Schülerinnen und Schüler durch ihre Betriebe einen direkten Bezug zum Arbeitsleben und zu unternehmerischem Denken.“
Genau hier setzt das Projekt an. Es geht nicht nur ums Lernen, sondern ums Umdenken. Ziel sei es, unternehmerische Haltung und Denkweise zu fördern – ein „Entrepreneurial Mindset“, wie Reza Asghari es nennt. Gemeint ist damit nicht nur die Fähigkeit, eine Firma zu gründen, sondern vor allem die Bereitschaft, kreativ zu denken, Verantwortung zu übernehmen und neue Wege zu gehen – ob für ein eigenes Start-up oder innerhalb eines bestehenden Betriebs. „Wir bilden nicht nur Entrepreneure aus, sondern auch Intrapreneure. Sie sind nicht einfach nur Weisungsempfänger, sondern denken mit, handeln eigenverantwortlich – und bringen Dinge voran.“
Ziel des Projekts ist es, unternehmerische Haltung und Denkweise zu fördern – ein „Entrepreneurial Mindset“ zu entwickeln.
Kreative Abwechslung im Schulalltag
Was das konkret bedeutet, erleben die Schülerinnen und Schüler – in Helmstedt sind es angehende Kfz-Mechatronikerinnen und -Mechatroniker sowie Kaufleute für Groß- und Außenhandelsmanagement – an zwei intensiven Tagen: mit viel Teamarbeit, Ideenwerkzeugen und der Freiheit, auch mal über den Tellerrand zu blicken. „Wir geben keine Lösungen vor, sondern Methoden an die Hand“, sagt Dierck Tietje, der die Workshops vor Ort moderiert. „Die Ideen kommen von den Jugendlichen selbst – oft aus dem, was sie im Betrieb erleben.“
Tatsächlich beginnt vieles mit einer einfachen Frage: „Was nervt dich im Alltag, und wie könnte man es besser machen?“ Von der ersten Idee bis zur fertigen Geschäftsskizze ist es ein weiter Weg – und genau diesen durchlaufen die Auszubildenden in kompakter Form. Sie lernen, eine Idee so zu schärfen, dass sie für andere wirklich bedeutsam wird. Dabei werden Marktchancen abgeschätzt, Zielgruppen definiert, die Konkurrenz analysiert. Am Ende steht ein Pitch, bei dem jede Gruppe ihre Idee in wenigen Minuten vor einer Jury überzeugend präsentieren muss – so, als säßen echte Investoren im Raum.
Für Anke Thumann, Schulleiterin der BBS Helmstedt, ist das Projekt weit mehr als ein pädagogisches Extra. Denn wenn junge Menschen zum Gründen oder zur Übernahme eines bestehenden Unternehmens ermutigt werden, stärkt das nicht nur den Standort, sondern sichert langfristig auch die Ausbildungsstrukturen. „Für uns ist es wichtig, dass es viele Betriebe und somit auch Start-ups gibt“, betont sie. Denn ohne Unternehmen keine Auszubildenden – und ohne Auszubildende kein Berufsschulbetrieb.
Hier haben die Schülerinnen und Schüler durch ihre Betriebe einen direkten Bezug zum Arbeitsleben und zu unternehmerischem Denken.Reza Asghari
Dass die Workshops bei den Teilnehmenden gut ankommen, liegt nicht zuletzt an ihrer Praxisnähe. Die jungen Frauen und Männer arbeiten bereits in Betrieben, erkennen im Arbeitsalltag Verbesserungspotenziale und erhalten hier die Anregung, diese Beobachtungen kreativ weiterzudenken. Gleichzeitig weiß Anke Thumann, dass ein solcher Impuls im eng getakteten Schulalltag keine Selbstverständlichkeit ist. „Wir müssen schauen, wie wir das passgenau in unsere Schulpläne und Bildungsgänge integrieren können.“
V. l. n. r.: Prof. Dr. Reza Asghari (TU Braunschweig), Anke Thurmann (Schulleiterin BBS Helmstedt), Christian Burgart (stellvertretender Geschäftsführer Wirtschaftsregion Helmstedt GmbH) und Dierck Tietje (Entrepreneurship Hub).
Gastgeber des Workshops ist das Haus der Wirtschaft, in dem die Wirtschaftsregion Helmstedt GmbH ihren Sitz hat. Für Christian Burgart, stellvertretender Geschäftsführer der regionalen Wirtschaftsförderung, ist das Projekt nicht nur Bildungsarbeit, sondern ein Baustein, Wirtschaftskraft von innen heraus zu stärken. „Wir sind eine ländliche Region. Der Gedanke, ein eigenes Unternehmen zu gründen oder eines zu übernehmen, kommt hier einfach seltener vor. Das Projekt ist ein Schritt, um diese Zurückhaltung aufzubrechen.“
Für Christian Burgart gehört zum Unternehmertum vor allem eines: der Mut, es überhaupt zu versuchen. Er wünscht sich eine Kultur, in der nicht nur erfolgreiche Gründungen Anerkennung finden, sondern auch der Weg dorthin – inklusive Irrwegen oder Rückschlägen. „Wieso schaffen wir nicht gemeinsam eine Kultur, die dazu einlädt, es zu probieren?“, fragt er. „Wir wollen, dass jemand etwas versucht – wissend, dass er oder sie scheitern kann.“
Zusätzliche Angebote geplant
Das Projekt, welches vom Land Niedersachsen, der Europäischen Union sowie regionalen Förderern finanziert wird, war bereits an mehreren Berufsbildenden Schulen zu Gast – etwa in Braunschweig und Salzgitter. Und es sollen noch mehr werden: Im September lädt der Entrepreneurship Hub in den Architekturpavillon der TU Braunschweig zu einem Info- und Austauschtag für Schulleitungen, Lehrkräfte und Vertreter der regionalen Wirtschaftsförderungen ein. Dort wird nicht nur der Projektstand vorgestellt, sondern auch aufgezeigt, wie sich weitere Schulen und Institutionen beteiligen können.
Projektmitarbeiterin Sophie Bente betreut sämtliche Workshops.
Mit dem Workshop allein ist es nicht getan: Wer weiterdenken will, soll dazu die Gelegenheit bekommen. Der Entrepreneurship Hub plant zusätzliche Angebote – „zum Beispiel zu Themen wie Prototyping, Design Thinking oder rechtlichen Fragen rund um die Gründung“, sagt Dierck Tietje. Auch ein Onlineportal ist in Arbeit, das es Schulen und Teilnehmenden ermöglichen soll, Gelerntes zu vertiefen oder weiterzuentwickeln. Ziel ist, ein wachsendes Netzwerk aus Projektschulen aufzubauen – und vielleicht sogar erste Gründungen aus den Klassenzimmern heraus zu begleiten.
Was die beiden Tage in Helmstedt betrifft: Nicht jede Idee muss bis ins letzte Detail ausgearbeitet sein; entscheidend sei, überhaupt loszulegen, betont Sophie Bente aus dem Projektteam: „Wir wissen natürlich, dass in zwei Tagen keine fertigen Start-ups entstehen. Aber wir erleben, dass einige Teilnehmende hier entdecken, wie viel Potenzial tatsächlich in ihnen steckt und dass sie am Thema Gründung dranbleiben.“
Auch Wirtschaftsförderer Christian Burgart misst den Erfolg des Projekts nicht allein an der Zahl neuer Unternehmen. Für ihn zählt vor allem, ob sich in den Köpfen etwas bewegt: „In zehn Jahren sitzen wir zusammen und sagen: Diese drei Gründungen – das war klasse. Möglicherweise sind es aber auch null.“ Entscheidend sei nicht die Bilanz, sondern die Haltung, die geweckt wurde. „Vielleicht macht am Ende nicht eine Neugründung den Unterschied, sondern eine gute Idee, mit der junge Menschen ihren Betrieb spürbar voranbringen.“
Boy
5/2025