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Zwischen Kommunikation und Identität

Es gibt viele unbesetzte Ausbildungsstellen und viele ausbildungsinteressierte Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Um neue Ideen zu entwickeln, wie Unternehmen dieser Herausforderung begegnen können, werden im Folgenden einige Aspekte beleuchtet.

Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg

Ein Punkt, an dem sich Unternehmen und potenzielle Bewerber offenbar häufig nicht erreichen, ist die Kommunikation. Das Institut der deutschenWirtschaft und die Bertelsmann Stiftung konnten in ihrer Studie „Vom Mismatch zum Match: Wie sich Jugendliche und Unternehmen auf dem Ausbildungsmarkt suchen und finden (können)“ zeigen, dass Jugendliche und Unternehmen unterschiedliche Kanäle für die Suche nach und die Bewerbung von Ausbildungsplätzen nutzen. Über die Hälfte der befragten Jugendlichen gab beispielsweise an, in Printmedien und an schwarzen Brettern zu suchen. Allerdings schreiben nur gut 40 Prozent der Unternehmen ihre Stellen dort aus. Das bedeutet, dass fast 60 Prozent der Unternehmen dieses Potenzial ungenutzt lassen. Noch dramatischer stellt sich die Situation in den Sozialen Medien dar: Bei TikTok, der für Jugendliche wichtigsten Plattform, waren zum Befragungszeitpunkt 3,6 Prozent der Unternehmen vertreten, während etwa 30 Prozent der Jugendlichen angaben, dort nach Ausbildungsstellen zu suchen. Doch es kommt nicht nur darauf an, dass Unternehmen auch auf den Kanälen werben, auf denen die Zielgruppe unterwegs ist. Die Form der Bewerbung von Ausbildungsstellen muss ebenfalls der Zielgruppe angepasst sein. Besonders bei Bei- trägen für die Sozialen Medien gibt es hier Unsicherheiten. Um aktuelle Trends zu nutzen und dabei „Cringe“ – aus Sicht von Jugendlichen peinliches Verhalten – zu vermeiden, sollten Experten zu Rate gezogen werden. Jugendliche – ob Azubis, Praktikanten oder Kinder von Mitarbeitern – sind hier die kompetentesten Personen, da sie selbst die Zielgruppe sind. Darum sollten sie einbezogen und ernst genommen werden.

Aktive Maßnahmen zahlen sich aus

Attraktive Werbung für Ausbildungsplätze lohnt sich. Die Studie „Viel hilft viel?! – Welche Wege Betriebe nutzen, um Ausbildungsplatzbewerber/-innen zu finden und wie erfolgreich sie damit sind“ vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zeigt, dass Werbung für Ausbildungsstellen für mehr Bewerbungen sorgt. Besonders erfolgreich bei der Besetzung ihrer Ausbildungsstellen sind allerdings Unternehmen, die auf aktive Maßnahmen wie Ausbildungsbotschafter, Karrieremessen, Praktika und Schulkooperationen setzen. Im direkten Kontakt können Unternehmen gut einschätzen, ob ein junger Mensch ins Unternehmen passt.

Berufswahl als Identitätsfrage

Um zu verstehen, warum diese Formate aus Sicht der Jugendlichen besonders wertvoll sind, ist ein Blick in die Psychologie der Berufs- oder Jobwahl nötig. Mit der Entscheidung für einen Beruf und einen Arbeitgeber entscheiden wir uns für mehr als für Tätigkeiten an einem bestimmten Ort. Unser Beruf und der Arbeitgeber prägen unsere Identität und die Art, wie andere uns sehen. Man könnte von einer sozialen Visitenkarte sprechen. Das Bild wird verständlich, wenn wir uns vorstellen, wie wir auf einer Feier jemandem vorgestellt werden. Wenn er sagt, dass er Arzt ist, treffen wir sofort Annahmen über seine Persönlichkeit und seinen sozialen Status. Völlig andere Annahmen treffen wir, wenn er uns erzählt, dass er als Erzieher arbeitet. Wenn wir über Berufswahlentscheidungen sprechen, müssen wir diesen Aspekt stets mitdenken. Man kann sagen, Unternehmen bieten künftigen Mitarbeitern, auch Azubis, ein Stück Identität. Im direkten Austausch können Jugendliche Sicherheit darüber gewinnen, wie sie wahrgenommen werden, wenn sie diesen Beruf ergreifen oder diesen Arbeitgeber wählen. Im Kontakt mit Jugendlichen sollten darum Azubis oder junge Mitarbeiter nach vorn gestellt werden. So können sich potenzielle Bewerber ein besonders gutes Bild machen. Schließlich würden sie sich selbst in genau dieser Rolle wiederfinden, sollten sie sich mit dem betreffenden Unternehmen für eine Ausbildung einig werden. Aus denselben Gründen sollte auch darauf geachtet werden, dass Praktikanten möglichst mit Azubis oder jungen Kollegen arbeiten.

Fazit: Mehr als das Schalten von Stellenanzeigen

Erfolgreiches Recruiting für Ausbildungsplätze erfordert mehr als nur das Schalten von Stellenanzeigen. Unternehmen müssen ihre Kommunikationsstrategien an die Bedürfnisse und Erwartungen der jungen Zielgruppe anpassen und aktiv auf den Kanälen präsent sein, die diese bevorzugen. Besonders wertvoll sind Maßnahmen, die den direkten Austausch fördern, wie Praktika, Karrieremessen oder Schulkooperationen. Gleichzeitig spielt die Identität eine zentrale Rolle – der Beruf und der Arbeitgeber prägen, wie junge Menschen von ihrem Umfeld wahrgenommen werden, und dies ist ein entscheidender Faktor für sie. Wer diesen Aspekten Rechnung trägt, kann nicht nur Ausbildungsplätze erfolgreich besetzen, sondern auch langfristig eine starke Bindung zu talentierten Nachwuchskräften aufbauen.
Philip Herzer ist Referent am Institut der deutschen Wirtschaft und arbeitet im Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA)