NAH.SH und Baltic Rail Gate

Ab aufs Gleis

Die Zukunft gehört der Schiene. Damit eine Verkehrswende gelingen kann, ist aber noch viel zu tun. NAH.SH und Baltic Rail Gate berichten von Herausforderungen und neuen Errungenschaften.
Antje Falk hat einen stressigen Tag. Ein Mitarbeiter, der das Terminal steuert, ist ausgefallen. Sie muss einspringen. „So ist der Arbeitsalltag in der Logistikbranche“, sagt die Geschäftsführerin der Baltic Rail Gate GmbH (BRG) in Travemünde. Trotzdem nimmt sie sich die Zeit für ein Interview. Als Tochtergesellschaft der Lübecker Hafen-Gesellschaft (LHG) betreibt die BRG eines der führenden Umschlagterminals für intermodalen Verkehr im deutschen Ostseeraum. Dort werden Sattelauflieger und Container auf Güterzüge verladen, was das Terminal zu einem Knotenpunkt zwischen Skandinavien und Südeuropa macht. „Kein Tag ist gleich. Es taucht immer ein Problem auf, das es zu lösen gilt.“
Zum Beispiel war der Brennerpass in Österreich im Sommer lange gesperrt, sodass die Züge von Lübeck nach Verona in Italien über die Schweiz umgeleitet werden mussten. „Im Güterverkehr gibt es zudem viele Verspätungen. Diese kollidieren oft mit den Abfahrzeiten der Schiffe, da ist Krisenmanagement gefragt“, erklärt Falk, die seit mehr als 20 Jahren die Geschäfte der BRG leitet. Eine weitere Herausforderung: Wegen Sanierungsarbeiten wird die Strecke Hamburg–Lübeck 2027 für mindestens fünf Monate gesperrt. „Auch das wird uns viel Geld, Zeit und Mühe kosten, denn anders als im Personenverkehr ist bei Gütern kein Ersatzverkehr möglich“, so die 61-Jährige.
Seit Jahren steigt die Anzahl der Container und Sattelauflieger, die das Terminal abwickelt. 2022 hat das Unternehmen 123.000 Einheiten umgeschlagen und nur wegen einer zehntägigen Sperrung nicht den Höchstwert von 126.000 im Jahr davor erreicht. Aufgrund der hohen Nachfrage kam es in Spitzenzeiten zu Engpässen am Terminal. „Die Ursache liegt in neuen Verbindungen und dem politischen Ziel, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern“, erklärt Falk. Nun investiert die LHG 18 Millionen Euro in den Ausbau des Kombiterminals, der bis zum Spätsommer 2024 fertig sein soll. Das bedeutet: längere Gleise und Züge, ein dritter Kran, mehr Leistungsfähigkeit. Nach dem Ausbau werden maximal 240.000 Einheiten im Jahr umgeschlagen werden können – bisher waren es 140.000. Der Bund fördert das Investitionsvorhaben zu 80 Prozent. Doch die BRG musste lange auf den Zuwendungsbescheid warten.
„Nach viel Ungewissheit und einer Wartezeit von eineinhalb Jahren habe ich fast nicht mehr daran geglaubt, dass die Zusage kommt“, so die Geschäftsführerin. „Für mich fallen Worte und Taten aufseiten der Politik auseinander.“ Schließlich sei es der Wille der Regierung, dass der Verkehr auf die Schiene umgelenkt werde. Denn der Güterzug löst auf einen Schlag zwei Probleme: Fachkräftemangel und Klimawandel. Ein Güterzug ersetzt bis zu 52 Lkw und verursacht somit rund 80 Prozent weniger CO2-Emissionen.
Ab Mai 2024 spart Schleswig-Holstein im Schienenpersonennahverkehr zehn Millionen Liter Diesel jährlich ein. 55 Akkuzüge rollen dann emissionsarm elektrisch durchs Land. „Mit diesem Megaprojekt schaffen wir es, Schleswig-Holstein vom bundesweiten Schlusslicht auf Platz zwei im Flächenländervergleich zu bringen“, so Dennis Fiedel, Leiter Fahrgastmarkt des Nahverkehrsverbunds Schleswig-Holstein GmbH (NAH.SH). Aktuell sind rund 30 Prozent der Strecken per Oberleitung elektrifiziert, mit den neuen Zügen sind es fast 68 Prozent – damit ist nur das Saarland mit 81 Prozent besser aufgestellt. Das Besondere an den neuen Zügen: Sie fahren auch auf Strecken, die nicht durchgängig elektrifiziert sind, weil sie an Bahnhöfen an Oberleitungen und neu gebauten Oberleitungsinselanlagen laden.
Mit diesem Megaprojekt schaffen wir es, Schleswig-Holstein vom bundesweiten Schlusslicht auf Platz zwei im Flächenländervergleich zu bringen.

Dennis Fiedel

„Die Umstellung auf den Batteriebetrieb im großen Stil ist bundesweit einmalig“, betont Fiedel. Die Batterien sind auf dem Dach und unter den Zügen angebracht und haben eine betriebliche Reichweite von mindestens 80 Kilometern. Zudem speisen die Akkuzüge beim Bremsen die Energie zurück in die Batterie. „Die Fahrpläne in den Akkunetzen entsprechen weitestgehend denen der Dieseltriebzüge. Sie sind so gestaltet, dass die Ladezeiten ausreichend sind und jeweils genug Fahrzeit zur nächsten Oberleitung besteht“, sagt Fiedel.
Die Herausforderung: Das Streckennetz war vor Projektstart weitestgehend nicht elektrifiziert, die Fahrzeugflotte muss vollständig ausgetauscht und die Schieneninfrastruktur teilweise umgerüstet werden. Die Stadler Rail Group konnte die Ausschreibung der Entwicklung und Lieferung der 55 „FLIRT Akku“-Züge für sich entscheiden. Gleichzeitig übernimmt Stadler auch die Wartung der Flotte für 30 Jahre und hat dafür rund 30 Millionen Euro in den Standort Rendsburg investiert. Für Strecken mit mehr Fahrgästen und längeren Zügen, wie etwa die Marschbahn, eignen sich die Züge aber noch nicht, denn die knapp 50 Meter langen Akkuzüge sind für den Überlandverkehr ausgelegt. Mittelfristig rollen also weiterhin einige Dieselzüge durch das nördlichste Bundesland. Das soll aber 2030 vorbei sein: Dann soll laut NAH.SH und Land der gesamte Nahverkehr auf der Schiene klimaneutral sein.  
Aenne Boye
September 2023