Teilhabechancengesetz

Eine neue Perspektive

Damit Langzeitarbeitslose am Arbeitsmarkt eine Chance bekommen, startete Anfang 2019 eine Initiative des Bundes: Das Teilhabechancengesetz bietet Betroffenen ebenso wie Betrieben überwiegend Vorteile, lautet das Fazit nach gut einem Jahr.
Wenn Siegfried Kraus in Kellinghusen mit seinem Rad zur Arbeit fährt, freut er sich auf seinen Job, auf die Kollegen und sogar auf seinen Chef. "Er hat mir nach sieben Jahren Arbeitslosigkeit einen tollen Job angeboten, der mein Leben völlig verändert hat", erzählt der 56-Jährige. "Ich habe jetzt wieder eine Perspektive, ich werde im Betrieb voll akzeptiert, die körperliche Arbeit fordert mich und macht mir Spaß."
Sein Chef Martin Dethlefsen betreibt den Hagebaumarkt in der Stadt und die junge Firma LaKoDi Services GmbH (Lagerung, Konfektionierung, Distribution), bei der Siegfried Kraus eine neue Aufgabe gefunden hat. Hier ist er mit 15 Kollegen für das Umverpacken von Waren für ein großes Handelsunternehmen zuständig. Die Paletten - etwa mit Hundefutter oder Hygieneartikeln - werden anschließend in Lkws verladen.
"Siegfried Kraus hat vor gut einem Jahr mit einem dreiwöchigen Praktikum begonnen. Er war so motiviert und zuverlässig, dass ich ihn gerne eingestellt habe", sagt der Geschäftsführer. Aus der Langzeitarbeitslosigkeit zurück ins Berufsleben - für die meisten ist das ein großer Umbruch, und mit 25.000 Betroffenen in Schleswig-Holstein gibt es echten Handlungsbedarf.
Perspektiven für alle Beteiligten eröffnet das Teilhabechancengesetz: Es ermöglicht erstmals, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für bis zu fünf Jahre zu fördern. Ein positives Fazit zieht Margit Haupt-Koopmann, Chefin der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit: In Schleswig-Holstein habe das neue Programm erreicht, dass "bisher 1.700 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs­verhältnisse geschlossen werden konnten". Erfreulich viele Unternehmen haben die Fördermöglichkeiten genutzt.

Win-win-Situation

Auch wenn Menschen, die lange arbeitslos waren, nicht sofort voll einsatzfähig sind, sieht Unternehmer Dethlefsen fast nur Vorteile: "Mir ist es wichtig, denjenigen, die einen nicht geradlinigen Lebenslauf haben und vielleicht mal vom Weg abgekommen sind, eine Chance zu geben. Denn eine Arbeit zu haben, hat auch mit Selbstwertgefühl und einem sinnvollen Leben zu tun."
Wichtig sei allerdings, dass der oder die Langzeitarbeitslose motiviert sei. Bei LaKoDi in Kellinghusen gehört Siegfried Kraus längst zum Team, der Umgangston ist herzlich und familiär. "Ich habe durch die körperliche Arbeit 20 Kilo abgenommen und fühle mich heute leistungsfähig und viel gesünder", sagt Kraus, der in seinem früheren Berufsleben bei einem Industrieunternehmen als Hausmeister und Staplerfahrer gearbeitet hatte. "Dazu kommt, dass ich jetzt mehr Geld in der Tasche habe und mir endlich wieder etwas leisten kann."
Unterstützung bekommt er von einem Coach der Arbeitsagentur. Für Martin Dethlefsen ist der Fall klar: Auch wenn im Betrieb ein Ansprechpartner für einen neuen Mitarbeiter da sein müsse und es manchmal etwas dauere, bis er voll belastbar sei, sei das Programm ein Erfolg: "Eine echte Win-win-Situation für beide, den Mitarbeiter und den Betrieb."
Zwei neue Förderungen
Vom Programm "Teilhabe am Arbeitsmarkt" profitieren Menschen, die älter als 25 Jahre sind und für mindestens sechs Jahre in den vergangenen sieben Jahren Arbeitslosengeld II bezogen haben. Der Betrieb erhält einen Zuschuss für das Gehalt des neuen Mitarbeiters: In den ersten zwei Jahren 100 Prozent des Mindestlohns, bei einem Tariflohn wird das tatsächlich gezahlte Entgelt berücksichtigt. In jedem weiteren Jahr verringert sich der Zuschuss um je zehn Prozent, die Förderung dauert maximal fünf Jahre.
Ein weiteres Programm fördert Arbeitslose, die seit mindestens zwei Jahren keinen Job haben. Für diese Mitarbeiter erhalten Betriebe einen Zuschuss für zwei Jahre: im ersten Jahr in Höhe von 75 Prozent des regelmäßig gezahlten Lohns, im zweiten 50 Prozent.
Joachim Welding
Veröffentlicht am 5. Mai 2020