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Rostocker lehren Computern das Lernen

Planet AI liefert künstlich intelligente Systeme an Polizei, Historiker und Krankenkassen
Schöner kann eine Büroeinheit eigentlich nicht gelegen sein: Schaut man in nördlicher Himmelsrichtung durch die großen Fenster nach draußen, hat man einen herrlichen Blick auf die Warnow und den Rostocker Stadthafen. Auch auf der großen Terrasse kann man rüber nach Gehlsdorf schauen. Drinnen geht es ungleich unscheinbarer zu. Denn was die 15 Mitarbeiter in ihren Büros tagtäglich machen, lässt sich von außen nicht einmal erahnen. Sie gehören zur Planet artificial intelligence GmbH und beschäftigen sich kurz gesagt mit der Schaffung kognitiver Systeme, die Bilder, Dokumente und Stimmen verstehen.
Wie bitte? Welf Wustlich, Technischer Direktor des Unternehmens, erklärt die Idee dahinter so:
„Die Computer werden heutzutage immer schneller. Sie sind dann am nützlichsten, wenn sie auch intelligenter werden. Und intelligent ist ein Computer dann, wenn er das kann, was auch wir Menschen können.“
Wustlich und seine Kollegen schaffen also Künstliche Intelligenz, die in ganz unterschiedlichen – auch alltäglichen – Bereichen des Lebens angewandt werden kann. Sie bringen den Computern buchstäblich das Lernen bei.

System erkennt Fahrzeuge in Videos und Bildern

Indirekt könnte sogar fast jeder Autofahrer, der mal zu schnell auf den Straßen unterwegs war, bereits mit der Künstlichen Intelligenz made in Rostock in Kontakt gekommen sein. Denn Planet AI hat ein System entwickelt, das der Polizei bei der Kfz-Kennzeichenerkennung behilflich ist. Es kann Fahrzeuge in Videos und Bildern aus der Verkehrsüberwachung erkennen und Nummernschilder finden und lesen. „Wir haben hier einen Marktanteil von 70 Prozent in Deutschland“, sagt Wustlich und ergänzt: „In Österreich sind es sogar 100 Prozent.“
Das trifft sich ausgezeichnet, denn solche künstlich intelligenten Systeme können weiter trainiert werden, um die Fehlerquote zu minimieren. Und da helfen die Daten, die aus Österreich kommen, ganz besonders. Jesper Kleinjohann, Leiter des operativen Geschäfts bei Planet AI erklärt: „Durch Österreich fahren Autofahrer aller europäischen Nationen. Damit erhalten wir alle möglichen Kennzeichentypen zum Beispiel aus Italien, Frankreich oder der Schweiz. Mit diesen Trainingsdaten können wir unser System weiter verbessern.“ Kleinjohann und Wustlich betonen aber, dass sie keinesfalls die Kameras beziehungsweise Blitzer für die Polizei bauen, sondern lediglich das Erkennungssystem liefern.

Gekrakelte mittelalterliche Handschriften lesen

Weitere Anwendungsbeispiele gibt es bei der Adresserkennung oder der Dokumentenanalyse. Der Kern der dahintersteckenden Technologie ist für alle gleich. ArgusAddress erkennt und liest Postleitzahlen, Städte, Straßennamen und Hausnummern – egal ob diese maschinell gedruckt oder handgeschrieben sind – und hilft führenden Postdienstleistern in den USA und Europa, die Post zu sortieren. Argus Search ermöglicht die Volltextsuche in digitalen Archiven ohne vorherige Indizierung. So können zum Beispiel in eingescannten historischen Schriften Wörter oder Inhalte direkt gesucht werden – auch wenn die Handschrift noch so gekrakelt ist. Im kommerziellen Bereich nutzen das heute bereits Krankenkassen für die Verarbeitung der Dokumente im Posteingang.
CITLab (Computational Intelligence Technology Lab) ist der Name der Forschungsgruppe am Institut für Mathematik der Uni Rostock unter der Leitung von Professor Dr. Roger Labahn, die mit Planet AI gemeinsam an solchen intelligenten Lösungen tüftelt. Zusammen sind sie für ihre Technologien schon mehrfach ausgezeichnet worden. 2017 zum Beispiel gab es zwei Preise bei der
International Conference on Document Analysis and Recognition (ICDAR). Hier gewannen sie die Wettbewerbe für Informationsextraktion in historischen handschriftlichen Aufzeichnungen sowie für die Layout-Analyse für anspruchsvolle mittelalterliche Manuskripte. Auch 2015 gewannen sie hier Preise. 2014 überzeugten sie bei der International Conference on Frontiers in Handwriting Recognition (ICFHR).

Auf Wachstumskurs mit IBM

So viel Erfolg macht sich bemerkbar. Die Büroräume, die sich auf 400 Quadratmeter erstrecken und neben einem Serverraum auch einen Fitness- und einen Kickerraum enthalten, platzen aus allen Nähten. Planet AI wächst kontinuierlich. Seit ihrer Gründung 2015 hat sich das Team von den anfänglichen zwei Mitarbeitern, Wustlich und Kleinjohann, auf 15 Physiker, Mathematiker und Informatiker erweitert. Hinzu kommen die sieben Studenten von CIT-Lab. Welf Wustlich erinnert sich: „Ursprünglich gab es nur die Planet Intelligence Systems GmbH in Raben Steinfeld bei Schwerin. Um besser neue Leute gewinnen zu können und den Kontakt zur Uni ausbauen zu können, haben wir die Entwicklung der Technologie hierher verlagert und Planet AI als eigenständige GmbH in Rostock gegründet, die aber 100-prozentige Tochter der Firma in Raben Steinfeld ist.“ Währendsich die Rostocker auf die Kerntechnologie konzentrieren und diese ständig weiterentwickeln, beschäftigt sich Planet IS mit den Produkten und wie diese an den Endkunden kommen.
„Wir nehmen die Forschungsergebnisse von CITLab, erweitern sie durch unsere eigene Forschung, verpacken sie in hochperformante Software und geben sie dann an unsere Integratoren weiter“, fasst Jesper Kleinjohann die Symbiose zusammen.
Auch mit regionalen Unternehmen arbeitet Planet AI erfolgreich zusammen. So bestehen Kooperationen mit dem Institut für Plasmaphysik in Greifswald und mit Centogene aus Rostock. Überregionaler Partner ist beispielsweise IBM. Es vertreibt derzeit die Systeme von Planet AI. Aber Welf Wustlich hat größere Pläne mit dem IT- und Technologieunternehmen. „Wir können uns ein eigenes neues Gebäude mit IBM als Partner und mit 40 Mitarbeitern am Standort Rostock vorstellen“, verrät er. Erste Gespräche sind bereits geführt worden. Die Kaikante im Rostocker Stadthafen ist dem Team dabei schon sehr wichtig. „Anfangs war es zwar nur Spielerei“, sagt Jesper Kleinjohann, „aber wir sitzen hier, wo es schön ist, und auch wenn wir uns vergrößern, wollen wir hier nicht weg. Denn für neue Leute ist es wichtig, an einem coolen Standort zu arbeiten.“ Mehr muss er gar nicht sagen, um zu verstehen, was er meint. Ein Blick aus dem großen Fenster der schönen Büroeinheit über die Warnow genügt.
Karen Mühlbach