Nachfolge gesucht!

Das eigene Unternehmen ist oft ein Lebenswerk. Da ist es gar nicht so leicht, loszulassen und sich rechtzeitig um die Nachfolge zu kümmern. Wie die Übergabe gelingt, zeigen Beispiele aus Südhessen.
Text: Stephan Köhnlein
Alarmierende Zahlen offenbart die neue Studie der Hochschule Mainz zur Nachfolgeregelung in Südhessen. Demnach hat nur jedes Dritte der im Jahr 2024 befragten Unternehmen im IHK-Bezirk Darmstadt konkrete Pläne für die Übergabe des Betriebs. Die Brisanz des Themas zeigt sich noch deutlicher, wenn man die Altersgruppe der mindestens 65-Jährigen betrachtet: Ein Drittel dieser Befragten hat sich trotz des vermeintlichen Rentenalters überhaupt noch nicht mit der Nachfolgefrage beschäftigt.
Dabei besteht für Inhaber*innen von Unternehmen eine Dringlichkeit, sich frühzeitig um die Nachfolge zu kümmern. Man sollte sich nicht darauf verlassen, noch auf die Schnelle einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. Die IHKs in Deutschland haben im Jahr 2023 knapp 8.300 Unternehmen zum Thema Nachfolge beraten. Mehr als ein Viertel davon hatte vor, den Betrieb zu schließen. In den meisten Fällen war der Grund, dass keine geeignete Nachfolge zu finden war, wie aus dem DIHK-Nachfolgemonitor hervorgeht.
Gerade im ländlichen Raum haben solche Schließungen oft weitreichende Negativeffekte für das gesellschaftliche Leben der Orte, etwa wenn es sich um den letzten Kfz-Betrieb handelt oder die letzte Dorfkneipe zumachen muss. In den Odenwald-Gemeinden Abtsteinach, Grasellenbach und Wald-Michelbach hat man diese Bedeutung erkannt und arbeitet bei den Themen Wirtschafts- und Tourismusförderung zusammen. Sebastian Schröder koordiniert diese Aufgaben. In der Region mit ländlichem Charakter und touristischer Prägung sind rund 700 Unternehmen ansässig. Trotz zahlreicher Erfolge verzeichnet Schröder seit einigen Jahren einen Rückgang der Unternehmensgründungen. Gestiegen ist dagegen die Zahl der Betriebe, die Nachfolger suchen.
Besonders in der Gastronomie gestaltet sich die Suche oft problematisch.

Sebastian Schröder

„Besonders in der Gastronomie gestaltet sich die Suche oft problematisch“, sagt er. „Acht von 15 für die Region besonders bedeutende Betriebe, die dringend Nachfolger benötigen, stammen aus dieser Branche.“ Dabei wächst der Tourismus im Odenwald, bietet Chancen für die Gastronomie. Doch unattraktive Arbeitszeiten, Fachkräftemangel, bürokratische Hürden und häufig auch ein erheblicher Modernisierungsbedarf der Betriebe schrecken laut Schröder potenzielle Nachfolger oft ab.

Lieber übernehmen statt gründen

In der Region gibt es deswegen umfassende Unterstützungs- und Beratungsangebote für Gründungen und Nachfolgen, unter anderem in Zusammenarbeit mit der IHK Darmstadt. Im Austausch mit Schröder suchen Berater*innen der IHK vor Ort Inhaber*innen auf, um für das Thema Nachfolge zu sensibilisieren – und um konkrete Lösungen zu finden.
Gegenüber einer Gründung könne eine Übernahme Vorteile haben, sagt Schröder und vergleicht das mit Wohnimmobilien. „Brauche ich den Neubau mit höheren Kosten, aber auch der Ungewissheit, ob alles funktioniert? Oder greife ich auf den Bestand zurück, der sich schon seit Jahren etabliert hat?“ Wer auch so denkt, kann sich auf der Internetplattform „Nexxt-Change“ umsehen. Sie bringt Unternehmen und potenzielle Nachfolger*innen zusammen. Dabei handelt es sich um eine Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, an der unter anderem die KfW Bankengruppe, die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) beteiligt sind.
Über Nexxt-Change hat auch Oliver Falk sein Unternehmen Tea Time in Bensheim gefunden. Rund ein Vierteljahrhundert war er Investmentbanker, hat später einen Online-Handel und eine Beratungsagentur für Online-Marketing und Automatisierung gegründet. Auf Dauer habe der Spagat zwischen hauptberuflicher Anstellung und den verschiedenen Unternehmungen jedoch nicht mehr funktioniert und ihn vor allem nicht mehr befriedigt. „Deswegen habe ich nach einem Unternehmen gesucht, das mir die Freiheit gibt, flexibler zu arbeiten“, sagt er. Es sollte zudem in der Nähe seines Wohnorts sein und einen persönlichen Bezug zu seinen Vorlieben haben. So stieß er nach längerer Suche auf Tea Time – einen Teeladen mit angeschlossenem Bistro. „Ich liebe Tee, trinke ihn schon lange in rauen Mengen“, sagt er und fügt schmunzelnd an: „Künstliche Fingernägel hätte ich dagegen nicht verkaufen können.“
Nach der ersten Kontaktaufnahme sei es schnell zu einem Treffen mit dem damaligen Besitzer gekommen. Bis zur Vertragsunterzeichnung dauerte es außergewöhnlich kurze zwei Monate. Dabei lagen die Preisvorstellungen zunächst deutlich auseinander. Der Vorbesitzer unterbreitete einen Vorschlag, den er mit einem Experten errechnet hatte. Oliver Falk kam mit seiner persönlichen Expertise zu einem wesentlich niedrigeren Preis. Für die Einigung hätten beide dann Abstriche gemacht. Womöglich hätte er noch einen Gastronomieexperten und einen Steuerberater hinzuziehen sollen, weil er einige Punkte übersehen habe. „Aber dann wären wir eventuell nicht zusammengekommen“, sagt Oliver Falk. „Man muss auch respektieren, dass dort 25 Jahre lang gute Arbeit geleistet wurde. Es gab einen Kundenstamm und ein Thema, das funktioniert hat. Das hätte ich nicht so schnell aufgebaut.“

Unvorhergesehene Ausgaben

Zum Januar 2024 erfolgte der Übergang, aber die Modernisierung ist für Oliver Falk bis heute nicht abgeschlossen. „Ich arbeite immer noch mehr im Unternehmen statt am Unternehmen“, sagt er. Während sein Vorgänger eher intuitiv das Geschäft geführt habe, sei er selbst ein zahlengetriebener Mensch. Anders angehen würde er heute die Finanzierung. „Mein Fremdkapitalanteil war zu gering. Dadurch habe ich mich selbst beschnitten, viel Eigenkapital investiert, weil ich Zinskosten sparen wollte“, sagt er. Es kämen aber immer wieder unvorhergesehene Ausgaben, bei denen manchmal Tausende Euro fällig würden. „Das habe ich ehrlich gesagt ein bisschen unterschätzt“, räumt Oliver Falk ein.
Eventtechnik
Die Kreuter Eventtechnik Group aus Trebur hat den Hessischen Gründerpreis gewonnen. © Thomas Neu - IHK Darmstadt
Ein Leuchtturmprojekt für Unternehmensnachfolge ist die KE Group, wobei das KE für Kreuter Eventtechnik steht. Michèle Kreuter, ihr Bruder Frédéric sowie Mitstreiter Luca-Alexej Dessauer wurden kürzlich mit dem Hessischen Gründerpreis in der Kategorie „Zukunftsfähige Nachfolge“ ausgezeichnet. Gerade 23 Jahre alt ist Michèle Kreuter, ihr Bruder nur vier Jahre älter – ein Thema, mit dem sie lange hinter dem Berg hielten, weil sie die Vorbehalte von Kunden und Mitbewerbern fürchteten. „Aber mittlerweile gehen wir das mit Stolz an, weil wir sagen können: Es hat funktioniert!“, sagt sie.
Nach dem Abitur hatte Michèle Kreuter ihren Bachelor in Eventmanagement gemacht, dann folgte ein Master in Eventmarketing. Und nebenher baute sie die Firma mit auf. Heute ist sie primär für die betriebswirtschaftlichen Belange verantwortlich, ihr Bruder Frédéric als ausgebildeter Veranstaltungstechniker für die technischen Themen. „Er hat einen unbändigen Unternehmergeist und ihm war schon früh klar, dass er gerne mal sein eigenes Unternehmen hätte“, erzählt Michèle Kreuter. Als er jedoch nach der Ausbildung beim Inhaber seines Betriebs mit der Idee vorstellig wurde, den Laden zu übernehmen, erhielt er zunächst eine Abfuhr.
Ich glaube, der Notar hat sich damals gedacht: Die zwei rennen ins Unglück.

Michèle Kreuter

Zum ersten Unternehmen kamen die Geschwister dann über ihren ehemaligen Musiklehrer. Der kannte ein Ehepaar mit einem Veranstaltungstechnikunternehmen, das händeringend einen Nachfolger suchte. 2018 – Michèle Kreuter ging damals noch zur Schule – führten sie die ersten Gespräche. Als 2020 die Corona-Pandemie ausbrach, wollten die beiden Besitzer – Anfang 60 und Ende 50 – diese Krise nicht auch noch durchkämpfen.
„Mein Bruder hat da ein Urvertrauen. Er hat gesagt: Ist doch super. Du wirst Betriebswirtin. Ich bin der Techniker. Lass uns das zusammen machen“, erinnert sich die Jung-Unternehmerin. Zum 1. Juli 2020 ließen sie die Übernahme beurkunden. „Ich glaube, der Notar hat sich damals gedacht: Die zwei rennen ins Unglück. Immer wieder hat er gefragt, ob wir uns wirklich bewusst seien, was wir da tun“, erzählt sie. „Aber es war eine riesige Chance, und wir waren sicher, dass es Veranstaltungen weiter geben wird. Vielleicht war da auch ein bisschen Naivität dabei. Denn natürlich haben wir damals nicht gewusst, dass Corona so lange dauern wird.“
Ein Vorteil für die Kreuters war ihre Spezialisierung auf eher kleinere Events. „Wir hatten viele Kunden im Geschäftsbereich, die Seminare anbieten und nicht alles wegfallen lassen konnten.“ So habe man sich schnell auf Online-Lösungen fokussiert. Glückliche Fügung: In der Lagerhalle der Kreuters saß ein Unternehmen, das auf Videotechnik und Streaming spezialisiert war. So hätten sich schnell Synergien ergeben. „Ein gutes Netzwerk ist unfassbar wichtig“, sagt Michèle Kreuter.
Eine Wendung gab es Mitte 2021, als der ehemalige Ausbildungsbetrieb von Frédéric Kreuter überraschend doch wegen einer Übernahme anfragte. Als Grund vermutet Michèle Kreuter, dass der Inhaber Vertrauen gefasst habe, nachdem er gesehen hatte, wie sich das Unternehmen seines früheren Azubis in schwierigen Zeiten behauptete. 2023 übernahmen die Kreuters auch dieses Unternehmen. „Wir hatten sehr viele Synergieeffekte. Aber es war auch ein Herzensprojekt, weil in diesem Betrieb damals der Wunsch meines Bruders aufgeflammt ist, irgendwann mal sein eigenes Unternehmen zu haben.“

Eine Buchhandlung als Herzensprojekt

Ihren ehemaligen Ausbildungsbetrieb haben auch Katrin Röttgen und Sonja Reimann übernommen. Die beiden sind Geschäftsführerinnen von Buch Meyer, einer Buchhandlung in Reinheim, die gerade ihr 125-jähriges Jubiläum feierte. Sonja Reimann hatte nach dem Abitur ein Lehramtsstudium begonnen, aber schnell gemerkt, dass das nicht das war, was sie wollte. Beim Bewerbungsgespräch in der Buchhandlung hatte sie der damalige Inhaber nicht einmal mit den wenig attraktiven Arbeitszeiten abschrecken können. „Ich habe früher oft mit einer Freundin Friseurladen, Busunternehmen und Buchhandlung gespielt. Für mich war dann später Buchhändlerin die beste Variante“, sagt sie schmunzelnd.
Nach der Ausbildung arbeitete sie auch mal ein Jahr für eine Bank, stieg dann aber wieder in der Buchhandlung ein, erst aushilfsweise, dann voll und mit der Option, diese zu übernehmen. Im Jahr 2007 zog sich dann der Inhaber vor allem aus Altersgründen zurück. Ihre heutige Geschäftspartnerin Katrin Röttgen hatte sie noch selbst mit ausgebildet. „Wir zwei können sehr gut zusammenarbeiten. Es passt menschlich und von den Arbeitsabläufen sehr gut“, sagt Sonja Reimann. „Wir kannten das Geschäft. Wir kannten unsere Kundschaft. Wir haben das als große Chance gesehen.“
Wir kannten das Geschäft. Wir kannten unsere Kundschaft. Wir haben das als große Chance gesehen.

Sonja Reimann

Gerade die treue Kundschaft hilft den beiden Buchhändlerinnen, sich in einem schwierigen Marktumfeld zwischen großen Ketten und Versandriesen zu behaupten. Oft komme es vor, dass die Leute sagten: „Wir recherchieren im Internet bei Amazon und bestellen dann bei euch.“ Sieben Menschen beschäftigt die Buchhandlung heute. In Vollzeit ist aktuell niemand. Sonja Reimann hat mittlerweile ein Kindergartenkind und ein schulpflichtiges Kind, ihr Mann arbeitet im Schichtdienst, weswegen sie auch von zu Hause arbeitet. „Ich bin zwar Buchhändlerin, aber Bücher verkaufe ich im Moment relativ wenig“, sagt sie. Stattdessen kümmere sie sich um die Buchhaltung, pflege den Online-Shop und die Homepage, schreibe Newsletter, bespiele Instagram und WhatsApp. „Das gehört heute eben auch dazu.“
Für Sonja Reimann ist die Buchhandlung eine Herzensangelegenheit. „Ich persönlich stelle es mir schwierig vor, wenn man ein Unternehmen übernimmt, das man gar nicht kennt“, sagt sie. Allerdings hätten sie und Katrin Röttgen auch nie in einer anderen Buchhandlung gearbeitet. „Manchmal denke ich, das ist vielleicht ein kleiner Nachteil“, räumt sie ein. „Aber dann sage ich mir: Wir scheinen doch viel richtig zu machen. Denn sonst würde es nicht schon so lange und so gut funktionieren.“
Veranstaltungen

Um Unternehmer*innen und potenzielle Nachfolger zu informieren und zu beraten, bietet die IHK Darmstadt etliche Veranstaltungsformate an.
Eine Übersicht zum Thema Nachfolge findet sich auf unserer Webseite. Darunter ist auch das neue Format Kräppelfrühstück am 25. Februar 2025. Nach dem Check-in bei Kräppel und Kaffee beleuchtet die Beraterin Cornelia Hildebrandt die zentralen Aspekte einer gelungenen Betriebsübergabe.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 1/2025. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit