
Damit der Job zum Leben passt
Ob bei Kinderbetreuung oder Pflege – die Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt für immer mehr Menschen eine zentrale Rolle bei der Wahl des Arbeitsplatzes. Für Arbeitgeber bedeutet das oft einen organisatorischen Mehraufwand. Doch wer hier attraktive Angebote macht, profitiert am Ende nicht zuletzt im Rennen um Fachkräfte.
Text: Stephan Köhnlein
Mütter und Väter stellen mit rund 11,6 Millionen Personen ein Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland. Darüber hinaus pflegen 2,5 Millionen Erwerbstätige Angehörige, Tendenz steigend. Der Umfang der Erwerbstätigkeit dieser Bevölkerungsgruppe hängt damit maßgeblich von der guten Vereinbarkeit von Beruf und Familie ab, wie aus der „Attraktivitätsstudie“ des Prognos-Instituts aus dem Jahr 2024 hervorgeht. Für das Unternehmensprogramm „Erfolgsfaktor Familie“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wurde darin untersucht, was Müttern, Vätern und pflegenden Angehörigen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig ist und was Unternehmen tun können.
Zentrales Ergebnis: Betriebliche Familienfreundlichkeit ist aus Sicht der Mehrheit aller Beschäftigten mit familiärer Verantwortung ein Muss. Erwartet wird dabei eine grundsätzliche Rücksicht auf Vereinbarkeitsanforderungen. So gehört für etwa 80 Prozent der Befragten mindestens einer der folgenden Aspekte zu den fünf wichtigsten Merkmalen eines Arbeitgebers: Flexibilität für geplante oder spontane Auszeiten und Arbeitszeitunterbrechungen sowie keine Benachteiligung der Karriere durch Vereinbarkeit.
Arbeitszeitkonten und Teamgeist

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie habe für ihre Agentur oberste Priorität. Für Verena Schumacher ist das auch persönlich ein gewachsenes Thema. Mit ihrem Mann hat sie zwei Kinder, die mittlerweile 16 und 19 Jahre alt sind. „Wir haben Beruf und Familie immer gemeinsam miteinander gehabt und da auch immer Lösungen gefunden“, sagt sie.
Das Arbeiten in einem kreativen Beruf ermöglicht dabei eine gewisse Flexibilität. „Wenn jemand meint, dass er um vier Uhr nachts was wegschaffen muss, dann kann er das machen. Umgekehrt kann er auch tagsüber mal eine Stunde weggehen“, sagt sie. Und wenn ein Kind zum Beispiel nicht bei der Tagesmutter bleiben will, dann kann die Mutter es wieder mit nach Hause nehmen und ihre Arbeitszeit im Lauf des Tages nachholen.
Wir sind flexibel. Wenn einer meint, dass er um vier Uhr nachts was wegschaffen muss, dann kann er das gern machen. Umgekehrt kann er auch tagsüber mal eine Stunde weggehen.Verena Schumacher
Bei Schumacher haben alle Beschäftigten ein Arbeitszeitkonto, auf das sie die Zeiten für die Projekte einbuchen. Dabei achte man auch genau darauf, dass die Aufgaben der Stundenzahl entsprechen. „Teilzeitkonten sind bei uns auch Teilzeitkonten“, betont die Agentur-Chefin. Es gebe aber auch Regelarbeitszeiten. „Wir arbeiten sehr eng zusammen. Das heißt, da braucht es gemeinsame Zeiten. Ganz so auf der grünen Wiese stehen wir da also auch nicht.“
Damit das bei allen Freiheiten auch funktioniert, hat die Agentur Unternehmenswerte formuliert. Dabei stehen Teamgeist, Vertrauen und Verbindlichkeit im Mittelpunkt. „Wir haben ein starkes Team. Wenn jemand ausfällt, fangen die anderen das auf. Und wir vertrauen einander. Wenn jemand schreibt, er oder sie müsse sich um sein Kind kümmern, dann ist das so. Dann zweifeln wir das nicht an.“
Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde in den vergangenen fünf bis zehn Jahren deutlich stärker nachgefragt, hat Verena Schumacher beobachtet. „Es gibt bei den Neueinstellungen viele, die gar nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen. Und es gibt Bewerber, die zwar gerne in Vollzeit einsteigen wollen, aber die Familienplanung schon auf dem Radar haben und fragen: Wie flexibel seid ihr?“
All das stellt das Unternehmen vor Herausforderungen. Mit den vielen Teilzeitkräften müsse man mehr Interessen berücksichtigen, sich besser abstimmen, als wenn man nur Vollzeitkräfte habe. „Das Thema ist kein Selbstläufer – auch wenn ich denke, dass wir das hier gut geregelt haben“, sagt Verena Schumacher. „Aber wir müssen immer wieder aufs Neue individuelle Lösungen finden.“
Vertrauen ist ein prägender Wert in der Zusammenarbeit bei Schumacher.
Teure Maßnahmen gar nicht nötig
Ein Thema hat für Schumacher dabei weniger Bedeutung als noch vor einigen Jahren angenommen: Dass die Menschen ihre Kinder zur Arbeit mitbringen können. „Das brauchen die Leute in Zeiten von zunehmendem Homeoffice nicht mehr so“, sagt die Agentur-Chefin. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Ergebnissen der „Attraktivitätsstudie“ von Prognos. Demnach sind kostenintensive Maßnahmen für Arbeitgeber wie betriebliche Kinderbetreuung oder Ferienprogramme für Schulkinder nur für 16 Prozent beziehungsweise 18 Prozent der Befragten besonders wichtig.
Große Unternehmen arbeiten zum Teil schon lange daran, ihren Angestellten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Das Darmstädter Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck hat bereits 1968 den Merck’schen Kindertagesstätten-Verein gegründet. In diesem Jahr bringt Merck für seine Mitarbeiter*innen das „Caregiver Leave Benefit“-Programm auf den Weg. Damit gewährt es die weltweit finanziell abgesicherte Freistellung von mindestens zehn Tagen für die Pflege schwer oder im Endstadium erkrankter direkter Familienmitglieder.
„Wir bei Merck sind uns der wichtigen Rolle pflegender Angehöriger bewusst und verstehen, was es für sie heißt, diese Aufgabe zusätzlich zu den alltäglichen Anforderungen ihres Familienlebens und ihren beruflichen Verpflichtungen zu übernehmen“, sagt Belén Garijo, Vorsitzende der Merck-Geschäftsleitung. „Wir sehen es als Teil unserer Verantwortung als Arbeitgebender, unsere Mitarbeitenden zusammen mit dem pflegebedürftigen Familienmitglied zu unterstützen.“
Einen praxisnahen Blick auf das Thema Pflege hat Sabine Heil. Sie leitet das Seniorenhaus Rheinblick in Biebesheim mit 66 Pflegeplätzen und insgesamt rund 60 Mitarbeiter*innen in den verschiedenen Bereichen. Sie verzeichnet eine steigende Nachfrage nach Plätzen in der Kurzzeitpflege, weil diese Aufgaben von vielen Angehörigen nicht mehr aufgefangen werden können. Das stellt Sabine Heil vor Herausforderungen.
Neue Herausforderungen für die Pflege

Eigentlich müssten in jedem Pflegeheim zehn Prozent der Plätze der Kurzzeitpflege vorbehalten sein. De facto könne das häufig aber gar nicht umgesetzt werden. „Oft stellt sich nämlich heraus, dass eine Person danach nicht mehr nach Hause zurückkehren kann, weil dort die Versorgung nicht gewährleistet oder der Aufwand schlichtweg zu groß ist“, erklärt sie. „Und dann werden die Kurzzeitbetten, die man eigentlich vorhalten sollte, sukzessive mit Langzeitbewohnern belegt.“
Zudem macht den Heimbetreibern die Bürokratie zu schaffen. „Für jeden Gast in der Kurzzeitpflege haben wir denselben logistischen und administrativen Aufwand wie für jemanden, der dauerhaft bleibt“, sagt sie. Das mache gerade die Kurzzeitpflege für die Heime unattraktiv. Hier wünscht sie sich Erleichterungen vom Gesetzgeber: „Wenn jemand nur für 14 Tage kommt, sollte man doch auf einen großen Teil des Schreibkrams verzichten können.“
Die Sozialarbeiter wählen sich die Finger wund, weil sie fieberhaft Plätze für die Betroffenen suchen, die aus dem Krankhaus raus müssen.Sabine Heil
Eine kurzfristige Alternative für wenige Tage sei das Krankenhaus. Aber dort werde die Dauer des Aufenthalts auf ein Minimum gekürzt. Unter dem Strich gebe es einfach zu wenige Kurzzeitplätze. „Die Sozialarbeiter wählen sich die Finger wund, weil sie fieberhaft Plätze für die Betroffenen suchen, die aus dem Krankenhaus raus müssen.“ Oft landeten diese Menschen dann fernab ihrer Heimat, weil es in der Nähe keine Betreuungsplätze gebe.
Die Pflege von älteren Angehörigen rückt bei Angestellten immer stärker in den Fokus.
Aber auch die Betreuung von Kindern der Beschäftigten ist im Seniorenhaus ein Thema. Im Gegensatz zur Designagentur von Schumacher hat Sabine Heil in der Pflege deutlich weniger Spielraum. Halbe Tage oder flexible Arbeitszeiten sind da in aller Regel nicht möglich. „Wir brauchen Leute, die im Grunde 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche arbeiten können“, sagt sie.
Und doch bemüht auch sie sich im Rahmen der Möglichkeiten um ihre Mitarbeiter*innen mit Kindern. Denn rund 40 Prozent ihres Personals sind Eltern. „Durch die Anpassung unserer Schichten an die Arbeitszeiten der Partner lassen sich sowohl Teilzeit- als auch Vollzeitstellen realisieren“, sagt sie. Zudem sei die Mischung aller Mitarbeitenden-Altersgruppen wichtig, um eine stabile Versorgung der Bewohner zu gewährleisten.
Unter anderem führte Sabine Heil einen sogenannten Mutti-Dienst ein, bei dem die Morgenschicht mit Beginn der Kinderbetreuungszeit startet. Aber nicht alle Heimbewohner wollen erst nach acht Uhr gewaschen werden und aufstehen. Zudem sind die Schichten begehrt. „Gerade ist eine Kollegin in Elternzeit, die danach gerne den Mutti-Dienst hätte. Der ist allerdings gerade von einer anderen Mutti besetzt, die eben erst aus der Elternzeit zurückgekommen ist. Da kommen wir natürlich an Grenzen.“
In der Verwaltung sei das dagegen einfacher, da könne die Kollegin, die zwei Kinder habe, den Dienst sehr flexibel gestalten und auch mal aus dem Homeoffice arbeiten. „Was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie angeht, haben wir in unserem Haus alles eingebracht, was möglich ist“, konstatiert die Heimleiterin.
Männer fordern mehr Familienfreundlichkeit
Auch bei Männern spielt eine immer größere Rolle, Familie und Beruf gut unter einen Hut zu bringen, wie Laura Odenwälder beobachtet hat. Sie ist Geschäftsführerin von Odenwälder Baumaschinen mit Sitz in Mörlenbach, ein Familienbetrieb in der vierten Generation. „Vom Nagel bis zum Kran – alles, was man auf der Baustelle benötigt, kann man bei uns mieten, kaufen oder reparieren lassen“, sagt Laura Odenwälder, die im Jahr 2021 ins Unternehmen ihrer Eltern eingestiegen ist. Rund 130 Menschen arbeiten an fünf verschiedenen Standorten in Deutschland.

Die Besonderheiten der Branche schränkten an manchen Punkten ein. „Eine Baumaschine kann man eben nicht aus dem Homeoffice reparieren, sondern das passiert in der Werkstatt“, sagt sie. Und auch die Monteure, die auf Baustellen unterwegs seien, könnten nicht einfach ihre Arbeit stehen und liegenlassen, um ihr Kind aus der Kita abzuholen.
Dennoch versuche man, auch hier mit Absprachen, Flexibilität und Teamgeist auf die Wünsche der Mitarbeiter*innen einzugehen. „Wenn jemand sagt, er muss aus familiären Gründen schon um 15 Uhr zu Hause sein, versuchen wir, das zu ermöglichen. Gegebenenfalls schicken wir einen anderen Kollegen in den Außendienst und er erledigt interne Arbeiten“, sagt sie.
Es fehlen Betreuungsplätze
In der Verwaltung habe man deutlich mehr Möglichkeiten. „Eine Mitarbeiterin hat ihre Zwillinge auch mal ins Büro mitgebracht, weil es nicht anders ging.“ Das sei zwar keine Lösung auf Dauer. „Aber in dem Fall war es besser, als wenn die Mitarbeiterin dann gar nicht gekommen wäre oder spontan einen Tag Urlaub hätte nehmen müssen.“
Ich erlebe immer wieder, dass Frauen gerne mehr arbeiten würden, es aber wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten nicht schaffen.Laura Odenwälder
Insgesamt gibt es aus der Sicht von Laura Odenwälder in Deutschland zu wenige Betreuungsplätze. „Ich erlebe immer wieder, dass Frauen gerne mehr arbeiten würden, es aber wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten nicht schaffen. Auch mit Blick auf den Fachkräftemangel machen wir uns da das Leben schwer. Denn gerade bei Frauen haben wir meiner Meinung nach ein riesiges Potenzial, einen Schatz, den wir noch heben können.“
Beim Thema Familie und Beruf sei man als Familienunternehmen natürlich besonders in der Verantwortung, sagt Laura Odenwälder. Sie selbst ist Anfang 30, da könnten auch für sie Kinder in absehbarer Zeit ein Thema werden. „Ich werde schon manchmal gefragt, wie das denn gehen soll in meiner Position“, sagt sie. „Wie das dann konkret aussehen würde, weiß ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Aber ich weiß, dass es auf jeden Fall Lösungen gibt. Wenn das in meiner Position nicht machbar ist – wo soll es dann möglich sein? Ich habe da eine Vorbildfunktion.“
Odenwälder Baumaschinen ist ein Familienbetrieb mit Sitz in Mörlenbach.
Veranstaltungen in der IHK
Die IHK Darmstadt lädt zum „Forum Personalkultur: Erfolgsfaktor Vereinbarkeit“ ein. Am 27. August 2025 von 14 bis 17 Uhr widmet sich die Veranstaltung dem Thema Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege. Keynote-Speakerin ist Corinna Schwedhelm, Projektreferentin von Erfolgsfaktor Familie. Weitere Infos und Anmeldung.
Die IHK Darmstadt lädt zum „Forum Personalkultur: Erfolgsfaktor Vereinbarkeit“ ein. Am 27. August 2025 von 14 bis 17 Uhr widmet sich die Veranstaltung dem Thema Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege. Keynote-Speakerin ist Corinna Schwedhelm, Projektreferentin von Erfolgsfaktor Familie. Weitere Infos und Anmeldung.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin „Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 2/2025. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die „Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
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Matthias Voigt
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