Die Organisation rund um die Ausbildung wird komplett digital

Im Juli 2024 hat der Gesetzgeber das Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz (BVaDiG) beschlossen. Was als wenig einprägsamer Zungenbrecher daherkommt, ist eine Novellierung des für alle ausbildenden Betriebe sehr wichtigen Berufsbildungsgesetzes.
Text: Dr. Marcel Walter
Das BVaDiG wird sich auf die Ausbildungspraxis stark auswirken. Es nimmt Änderungen in zwei Hauptbereichen vor, die sich aus dem Namen des Gesetzes ableiten lassen: Der Va-Teil des Gesetzes eröffnet mit der Validierung einen neuen Weg zum Berufsabschluss. Der Di-Teil des Gesetzes sorgt dafür, dass der gesamte Organisationsprozess rund um Ihre Azubis ab sofort medienbruchfrei digital möglich ist. Hier die wichtigsten Aspekte zusammengefasst:

1. Digital von A bis Z

Künftig kann die gesamte Organisation rund um Auszubildende für den Betrieb digital ablaufen. Was heißt das für die Ausbildungspraxis im Betrieb? Es wird vor allem einfacher. Medienbrüche sind nicht mehr nötig.
So muss der Ausbildungsvertrag künftig nur noch per Mail vom Betrieb an den Wunsch-Azubi gesendet werden. Der Azubi bestätigt den Empfang ebenfalls per Mail – fertig! Es sind keinerlei Unterschriften nötig. Auch die Übermittlung zur IHK erfolgt ohne Papier.
Mobile Ausbildung (zum Beispiel im Homeoffice) war zwar bereits vorher schon gelebte Praxis, nun ist sie aber auch ins Gesetz überführt worden. Die Anforderungen sind unbürokratisch und für die allermeisten Betriebe in der mobilen Arbeit von Fachkräften längst eingeübt: Die Ausbildungsinhalte müssen für mobiles Ausbilden geeignet sein, und Auszubildende haben Anspruch auf eine entsprechende technische Ausstattung zu Hause. Den Umfang des mobilen Ausbildens legt der Betrieb fest.
Das Berichtsheft, offiziell »Ausbildungsnachweis«, kann künftig nicht nur digital geführt, sondern auch der IHK digital zur Verfügung gestellt werden – ohne Unterschrift auf Papier.
Das Gesetz ermöglicht zudem digitale Prüfungsverfahren. Zwischen- und Abschlussprüfungen werden künftig immer häufiger an digitalen Endgeräten abgenommen werden. Zwar werden die Prüfungen an sich auf absehbare Zeit weiterhin in Präsenz stattfinden. In begründeten Ausnahmen dürfen Prüfer*innen nun künftig digital zugeschaltet werden. Dies wird die ohnehin schon seltenen Prüfungsausfälle weiter verringern, weil im Notfall einfacher Prüferersatz organisiert werden kann.
Und nach der Ausbildung können Betriebe ihren Azubis künftig auch das Ausbildungszeugnis digital ausstellen. Voraussetzung ist hier lediglich eine qualifizierte elektronische Signatur, die heute sehr unkompliziert umgesetzt werden kann. Wir gehen als IHK Darmstadt mit gutem Beispiel voran und stellen den Absolventinnen und Absolventen ab sofort ein digitales Abschlusszeugnis zur Verfügung, dessen Echtheit online überprüft werden kann.
Von A wie Ausbildungsvertrag bis Z wie Zeugnis: Der gesamte Prozess ist nun also digital gedacht. Die IHK Darmstadt kann das Gesetz mit ihren digitalen Serviceangeboten schon heute umsetzen:
  • Im ASTA-Infocenter erstellen Betriebe mithilfe eines geführten Formulars einen fehlerfreien Ausbildungsvertrag. Nach Absenden des Formulars erhält der Wunsch-Azubi automatisch den Vertrag zur Vertragsannahme, die er per Mausklick bestätigt. Den Empfangsnachweis dokumentieren wir automatisch. Zudem lassen sich im Infocenter die Daten des Ausbildungspersonals bequem online pflegen.
  • Die Azubis melden sich über das AZUBI-Infocenter zu ihren Zwischen- und Abschlussprüfungen an. Im AZUBI- Infocenter stellt die IHK Darmstadt außerdem eine digitale Variante des Abschlusszeugnisses zum Download bereit.

Mit den folgenden Schritten machen sich Betriebe fit für ihren digitalen Ausbildungsprozess:

  1. Infoangebot rund um die digitale Ausbildungsstrecke.
  2. Ausbildungsverträge werden künftig über das geführte Onlineformular im ASTA-Infocenter erstellt.
  3. Azubis pflegen ihr Berichtsheft digital. Ausbildungsbetriebe halten es für eine etwaige Abfrage durch die IHK digital bereit. Eine kostenfreie digitale Berichtsheftvariante, die jeder Betrieb für sich adaptieren kann, findet sich im Internetportal der IHK Darmstadt.
  4. Am besten nutzen Azubis vom ersten Ausbildungstag an das AZUBI-Infocenter, um ihren Teil der Organisationspflichten zu erfüllen.
Ausbilder-Praxis-Workshops
In den kommenden Ausbilder-Praxis-Workshops (APW) werden die Neuerungen thematisiert. Sie wenden sich an Ausbilder, Personalverantwortliche oder ausbildende Inhaber. Die Teilnahme an den Workshops ist kostenfrei, aufgrund der begrenzten Teilnehmeranzahl ist eine Anmeldung erbeten. Die Termine sind Wiederholungstermine.

- 31.01.2025: Validierungsverfahren
- 12.03.2025: Neuerungen im Berufsbildungsgesetz
- 19.03.2025: Validierungsverfahren

2. Validierung: Ein neuer Weg zum Abschluss

Mit dem BVaDig wird ein komplett neuer Weg in den Beruf geschaffen. Ab Januar 2025 hat jede/-r Bürger/-in das Recht, seine Kompetenzen validieren zu lassen. Mit einer Validierung soll folgende Frage beantwortet werden: Kann Person X das, was sie nach der Ausbildung in einem Beruf können müsste – obwohl sie die Ausbildung selbst nie gemacht hat? Ermittelt wird das nicht über die klassischen Kammerprüfungen, sondern über Fachgespräche und mehrtägige Arbeitsproben im Betrieb. Ist die Validierung erfolgreich, erhält die Person den entsprechenden Berufsabschluss. Reichen die Kompetenzen nicht für eine vollständige Anerkennung aus, wird festgehalten, was zum Berufsabschluss noch fehlt. Später kann auf dieser Basis ein erneuter Validierungsanlauf stattfinden.
Die Konsequenzen der sogenannten Validierung sind weitreichend: Wer eine Validierung erfolgreich durchlaufen hat, dem stehen dieselben Anschlüsse offen wie regulären Ausbildungsabsolventen, zum Beispiel die Zulassung zu Fachwirt- und Meisterprüfungen. Um jungen Menschen keine Fehlanreize zu setzen, nach der Schule lieber zu jobben, anstatt eine Ausbildung zu starten, hat der Gesetzgeber das Mindestalter für eine Validierung auf 25 Jahre gelegt.

Die organisatorische Umsetzung liegt bei den Kammern – und hat es in sich.

Die duale Ausbildung hat in der ganzen Welt einen guten Ruf, weil sie für Fachkräfte sorgt und dabei hoch standardisiert ist. Betriebe von Flensburg bis München können sicher sein, dass ein Kfz-Mechatroniker überall das Gleiche gelernt hat und nach demselben Standard geprüft wurde. Die Validierung steht vor der Herausforderung, diesen Standardisierungsanspruch mit einem komplett neuen Prüfungsverfahren einzulösen. Weil das eine zeitaufwendige Zusatzaufgabe ist, müssen in jeder Region Berufsprofis für Hunderte Berufe gewonnen werden, die bereit sind, mehrtägige Beobachtungen im Arbeitsalltag vorzunehmen. Außerdem müssen sie von ihren eigenen Arbeitgebern auch noch freigestellt werden. Die Kammern müssen diese Prüfer*innen nicht nur gewinnen, sondern den ganzen Validierungsprozess orchestrieren und den Prüfenden ihren Zeitaufwand vergüten. Damit ist die Validierung auch kostenintensiv.
Nimmt man diese Herausforderungen jedoch an – Zeitaufwand, Bedarf der Prüfer*innen, Kosten –, bleiben praktisch nur Vorteile. Zum einen wäre da die Modernisierungsfrage. Machen wir uns mal ehrlich: Zum Renommee der Ausbildung gehört auch, dass sie im Vergleich zu anderen Qualifizierungsformen sehr unflexibel ist. Das machen Hochschulen schon lange besser. Neue Wege zum Berufsabschluss sind im nichtakademischen Bereich damit durchaus zu begrüßen.
Und zum anderen wäre da der Fachkräftemangel. Durch das für den Prüfling niedrigschwellige Prüfungsverfahren spricht die Validierung besondere Zielgruppen an:
  • Langjährige Praktiker*innen, für die eine Ausbildung nicht mehr infrage kommt.
  • Arbeitskräfte, für die eine Externenprüfung keine Option ist, weil ihnen die Zeit fehlt, sich neben Beruf und Familienarbeit mit Prüfungsvorbereitungen auseinanderzusetzen, oder weil sie Sprach- und/oder Lerndefizite haben.
  • Die Validierung ist auch für Betriebe interessant, die Mitarbeiter*innen eine Perspektive geben möchten. Ohne formalen Berufsabschluss bleibt der Zugang zur Führungsebene in der Regel versperrt. Mit einer Validierung kann dieser ›Makel‹ geheilt werden.
Die Finanzierung der Validierungsverfahren kann sowohl bei der Fachkraft liegen als auch beim Betrieb – und überall dazwischen. Wir dürfen optimistisch sein, dass Arbeitsagenturen und Jobcenter Sie und Ihre Arbeitskräfte unterstützen.
Für uns als IHK Darmstadt bleibt unterm Strich: Wir freuen uns über den neuen Pfeil im Köcher zur Fachkräftesicherung. Gerne beraten wir Betriebe und ihre Fachkräfte zum Verfahren.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin “Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 6/2024. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die “Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
Patrick Körber
Geschäftsbereichsleiter, Pressesprecher
Bereich: Kommunikation und Marketing