Nach dem Schmaus in die Schnapsbrennerei

Weil man stets wissen sollte, worüber man schreibt, haben wir die ins perfekte Licht der Kameralinse zu setzende Lammhaxe nach ihrer Ablichtung auch gegessen. Das Fleisch gut gewürzt und schön mürbe, die Bohnen deftig abgeschmeckt mit Zwiebeln, Speck und abgerundet mit Bohnenkraut, das Püree butterig und angenehm schmelzig in der Konsistenz. Lecker. Und weil wir uns nun nicht weiter durch die Karte des Klosterkrugs in Wöltingerode testen konnten, haben wir mal am Nebentisch gefragt. Antwort: „Wir sind zum ersten Mal da. Und kommen definitiv wieder.“
Kennt man den Klosterkrug, am Rande des Harzes und ganz in der Nähe von Vienenburg gelegen, noch nicht, sollte man unbedingt ein bisschen mehr Zeit mitbringen als es braucht, ein Schnitzel samt ein, zwei gut gezapfter Pils‘ zu verputzen. Zwar außerhalb der Klostermauern gelegen, gehört der Klosterkrug natürlich unbedingt zu dem klösterlichen Ensemble in Wöltingerode. Nach einem Essen aus der gutbürgerlichen Küche könnte man sich zum Beispiel eine Führung in der Schnapsbrennerei gönnen. Seit 1682 werden dort Spirituosen gebrannt. Wer es nicht so mit dem Verdauungsschnaps hat, verzichtet auf eine Verkostung der edlen Brände und sieht sich im Lachs-Center um. Dort erfährt man unter anderem, wie so mancher heimische Fisch nach der Renaturierung der Oker wieder in den Fluss zurückgekehrt ist.

Klare Linie in Rot, Weiß und warmem Holzton

Aber kehren wir noch mal zurück in den Klosterkrug und zu dem Espresso nach der Lammhaxe. Das schmucke Fachwerkhaus war wohl auch mal eine Zeit lang ein Kolonialwarenladen. Aber ansonsten immer eine Gaststätte. Im kernsanierten und vorbildlich restaurierten Gastraum ist es gelungen, Altes und Neues stilsicher zu kombinieren. Der aufgemöbelte Holzfußboden zeigt dezente Spuren der Zeit, man ahnt, dass hier schon mancher Schwof fröhlich beschwingt über die Bretter gewalzert ist. Die Fenster sind groß und geben den Blick gottlob gardinenunverhangen frei auf die Ausläufer des Harzes und an klaren Tagen sogar den Brocken, auf Wiesen und den Biergarten. Die klare Linie setzt sich in minimal eingesetzten dekorativen Elementen fort. Rot, Weiß und ein warmer, dunkler Holzton bestimmen das Farbkonzept. Die Blumen sind frisch, aus den Lautsprechern schnurrt in angenehmer Lautstärke „Wonderful World“ von Frank Sinatra.

Mittwochs ist Schnitzeltag

„Der Schnitzeltag ist unser Renner“, sagt Ramona Annett Bechler, Restaurantleiterin in Wöltingerode. Da ist das Lokal oft ausgebucht, da kommen auch die Vienenburger gern vorbei. Eigentlich ist es nämlich ein Katzensprung von Vienenburg nach Wöltingerode. Wenn da nicht die Sache mit der maroden Brücke wäre. Seit 2015 ein Dauerbrenner in jedem zweiten Stadtgespräch und der lokalen Presse. Seit September nun ist die Brücke geschlossen. Für 18 Monate. Warum das so lange dauert, zehn Meter Brücke auszutauschen, will Martin Rahmann, Geschäftsführer des Klosterguts, nicht so recht einleuchten. Aber was soll er machen. Er muss hinnehmen, dass der Umsatz seit Brückenschließung zurückgegangen ist, weil aus einem knappen Kilometer Katzensprung durch die Umleitung eine 9,4 Kilometer lange Wegstrecke geworden ist.
Der Schnitzeltag ist unser Renner.
Aber Martin Rahmann ist keiner, der sich über die Länge eines Espressos hinaus ärgern will. Er erzählt lieber Erfreulicheres: 320 000 Besucher hat die Klosteranlage – Klosterkrug inbegriffen – im Jahr. Die Gäste kommen aus Braunschweig, Bad Harzburg, Goslar, Wolfsburg, der näheren Umgebung, auch schon mal aus Hannover. Sie schätzen die Kombination aus historisch angehauchtem Entertainment auf der 800 Jahre alten Anlage und gutem Essen. Und wer die Bewegung liebt, marschiert nach dem Essen auf den Harlyturm, umrundet die Fischteiche oder guckt sich bei den Wildgehegen um.

Genau die Richtung „Muttientfernung“

„Wenn Sie aus Braunschweig kommen, haben wir, so nenne ich das immer, genau die richtige ‚Muttientfernung‘“, sagt Rahmann. Und das wäre dann sein Vorschlag für eine Fahrt, nein, eben nicht ins Blaue, sondern nach Wöltingerode mit der Frau Mama: Knappe Stunde Anfahrt, Mittagessen im Klosterkrug, danach auf dem Klostererlebnisweg im Kräutergarten all die Rosmarins, Petersilien und Co. erschnuppern, die das Mittagsmahl verfeinert haben. Und zum Kaffeetrinken nach Goslar. Oder noch mal in den Krug. Kann man sich mal notieren auf der Ausflugsliste.
Im Restaurant nebst Jagdzimmer finden bis zu 110 Gäste Platz, der Biergarten ist nicht nur malerisch gelegen, sondern bietet auf biergartentypischem Kies 100 Ausflüglern Platz. Und kann auf bis zu 280 Sitzplätze erweitert werden. Im Jagdzimmer, das auch separat gemietet werden kann, wurde ein Wandgemälde des Künstlers Fritz Laube freigelegt. Im Kontext einer Feier in den Wirtschaftswunderjahren mag so ein Bild mit Jagdszenen rückblickend irgendwie piefig und muffig anmuten, mittlerweile und wie hier im klar strukturierten Ambiente als Hingucker in Szene gesetzt, ist es kultig wie das heute gern gehangene Hirschgeweih über dem Wohnzimmersofa. Im Jagdzimmer treffen sich Vereine oder Verbände, werden Kommunion und Konfirmation gefeiert, lässt man den Jubilar hochleben oder ehrt die Goldenen Hochzeiter.

Gänse sind derzeit rar auf dem Markt

Die Speisekarte variiert jahreszeitlich. Spargelbüfett im Mai, Grünkohlkarte im November. Matjes, Pfifferlinge, Wildspezialitäten – eben alles, was Jahreszeiten und die Region Harz an Köstlichkeiten zu bieten haben. „Wir haben uns einen guten Ruf mit unseren halben Enten erworben“, sagt Rahmann. Gänse gibt‘s natürlich auch auf des Klosterkrugs Speisekarte. „Aber kriegen Sie mal welche!“ Das sei derzeit extrem schwierig. Nicht nur, dass der Preis sich im Einkauf verdoppelt habe, es gebe schlichtweg auch nicht ausreichend Ware.
Probleme, die die Coronapandemie mit sich gebracht hat. Kein Problem für den Krug sei jedoch, Personal zu bekommen. „Wir zahlen über Tarif, teilweise werden Prämien in das Gehaltsmodell integriert.“
Der Krug hat fünf Gästezimmer, in Vienenburg gibt es noch eine Dependance, die Kloster Remise, mit 28 Zimmern. Das Klosterhotel wiederum verfügt über 55 Zimmer. Zur Dependance sind es eigentlich nur 900 Meter. Wenn, ja, wenn nicht die Brückenschließung wäre. „Wissen Sie“, sagt Rahmann und ordert bei der umsichtigen Servicekraft Kitty noch einen Espresso, „der Krug ist für uns ein Segen.“

Kurioses Phänomen: der Hotelgast speist gern auswärts

Und damit meint er: ein Segen für den Klosterkomplex, der zur Cellerar GmbH gehört. Wieso ein Segen? „Ich bin jetzt seit 40 Jahren im Bereich ‚Essen, Trinken, Schlafen‘ unterwegs. Und da habe ich beobachten können: der Hotelgast geht nicht ins Hotelrestaurant.“ Der gucke auf die Speisekarte, lese zum Beispiel „Tapas“ und denke: „oh lecker“. Und kehrt daraufhin nicht etwa im Hotelrestaurant ein, sondern „guckt, ob es um die Ecke vielleicht ein Tapaslokal gibt“. Ein kurioses Phänomen, das ich, nachdem ich zweieinhalb Espressoschlucke drüber nachgedacht habe, bestätigen muss. Warum auch immer das so ist. Vielleicht weil der Hotelgast das Gefühl hat: so, jetzt muss man mal raus aus der Bude. Ähnlich, wie man ja auch nicht immer zu Hause essen will. Obwohl es da meist am besten schmeckt.
Kurzum: Der Krug ist ein Segen, weil die Tagungsgäste nach getaner Arbeit die Wahl haben, auch mal dort einzukehren. Und die Übernachtungsgäste aus dem Krug sind wiederum ebenso willkommen im Hotelrestaurant. So partizipiert man voneinander. Eine Win-win-Situation.
Und noch eine positive Meldung zum Schluss: Die Theke ist zurück. Zogen sich gerade Tagungsgäste in Vor-Coronazeiten schnell aufs Zimmer zurück, schätzt man jetzt den Plausch mit Kollegen, das Feierabendbier an der Theke.
suja