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Neapolitanische Pizza aus der Ein-Meter-Küche
„Genügend Platz gibt es auch in der kleinsten Küche“, smalltalkt man mitunter mit gefährlich schlagseitigem Rotweinglas in eben einer solchen, wenn man sich wie die sprichwörtliche Ölsardine an die kalte Platte zu winden und dabei noch ohne Pladderei bella figura zu wahren versucht. Möbelexperten verblüffen die geneigte Kundschaft gern damit, dass selbst auf nicht mal sieben Quadratmetern mit Schwenk- und Karussellsystemen wahre Stauraumwunder aus dem Küchenkatalog gezaubert werden können. Optimal verstaut und maximal effektiv verwahrt ist ja gut und prima – wenn es dann noch mit dem Kochen in badehandtuchkleinen Nischchen klappt. Ein Meister der Bespielung einer gerade einmal ein Meter breiten Arbeitsfläche ist Simon Salamone, Inhaber des Il Siciliano an der Wendenstraße.
Simon Salamone bringt neapolitanische Pizzen mit besonderem Kick nach Braunschweig.
Ich muss wohl ein paar Bauklötze gestaunt haben, als er mir den Platz zeigte, an dem er allabendlich zwischen 80 und 120 Pizzen kreiert. „Und wo ist die Küche?“, bauklötzelte ich noch ein paar Fragezeichen hinterdrein. Salamone lacht: „Mehr Küche ist nicht. Aber mehr braucht es eigentlich auch nicht.“
Als wir uns im Il Siciliano treffen, ist das kleine Lokal noch nicht geöffnet. Ruhe vor dem Sturm. Abgedroschene Klischeeformulierung, okay, aber hier mal echt zutreffend. Das kleine Restaurant, das im Juni vor drei Jahren als Panini- und Espresso-Bar öffnete, gilt nicht nur unter Kennern als sehr gut besucht. Wer nicht gleich einen der Plätze im Innenraum ergattert, wartet einen Moment draußen, nippt schon mal eine Limonata oder ein Birra Moretti. Im Sommer wird sich die Lage entspannen, dann kommen zu den knapp 20 Innen- noch 30 Außenplätze. Allerdings: An manchen Tagen ist sogar schon vor Restaurantschluss Feierabend, weil der Teigvorrat des Tages bereits verbacken und restlos verputzt ist. Dann nützt einem auch das schönste Plätzchen am Tisch mit dem dick mit Kerzenwachs betropften Kerzenständer nix. Ciao und bis zum nächsten Mal.
Die Miniküche im gemütlichen Ambiente tut der Qualität keinen Abbruch.
Es begann als Panini- und Espressobar
„Panini- und Espressobar“ klebt immer noch an der Scheibe, dabei hat sich das kleine Lokal längst zum angesagten Ort für neapolitanische Pizza entwickelt. Das Wort neapolitanisch dürfte man in diesem Text niemals rausredigieren, denn genau darauf komme es bei dem Teig an. Salamone verarbeitet Mehl der Marke Caputa aus Neapel, das besonders fein gemahlen ist. Zum Mehl kommen Wasser, Salz und ein wenig Hefe. Und: ganz viel Ruhe! So entsteht ein fluffiger Teig, der dicke Rand steht sinnbildlich für den typisch neapolitanischen Stil.
Genügend Platz gibt es auch in der kleinsten Küche.
Simon Salamone ist 1988 in Braunschweig geboren. Sein Vater kam Anfang der 70er-Jahre als Gastarbeiter aus Italien nach Deutschland. Zusammen mit ihm kehrte Simon im Alter von zehn Jahren zurück in die Heimat des Vaters, nach Messina auf Sizilien. Zurück auch in die Küche der Nonna. Das hat ihn kulinarisch geprägt, da kann er beim Erzählen so manches Gericht auftischen, dass dir das Wasser im Mund zusammenläuft. Aber es sind auch die einfachen Genüsse, an die sich Salamone fast noch lieber erinnert: Brot mit Tomate, beträufelt mit Olivenöl, gewürzt mit Salz, Pfeffer und Oregano.
Wilder Oregano – ein unvergleichlicher Duft
„Moment mal“, sagt er, dreht sich kurz von unserem Stehtisch weg und greift Tomaten vom Tresen und wilden Oregano. Kleiner Einschub: Das ist auch so typisch „italienische Bar“, der Gastraum ist zugleich auch ein bisschen Stauraum, Vorratskammer. Warum auch nicht!? Molto sympatico. An den Wänden trifft italienische Keramik auf Schwarz-Weiß-Fotografien, und wer sich hier zum Essen trifft, der kommt am besten zu zweit, maximal zu viert. Zurück zum Oregano. Vergleiche mit den Trockenstreuseln aus den gängigen Kräuterdosen verbieten sich von selbst, aber selbst der frische Oregano aus dem handelsüblichen, in Zellophan geschlagenen Kräutertopf kann gegen den Wilden nur die olfaktorischen Segel streichen. Die Tomaten schmecken, süß, vollmundig, wahrhaft nach Sonne (nicht sonnengereift, wie uns manche Mogelpackung glaubhaft machen will). Wenn man so bedenkt, was für Wasserleichen im Kleide von Tomaten man schon vorgesetzt bekommen hat …
Die Zutaten werden fast ausnahmslos aus Italien geliefert.
Mit 15 Jahren kam er dann nach Deutschland zurück. Und machte nach dem Schulabschluss alles Mögliche: Gerüstbau, VW, Zulieferer von VW. „Und ich habe immer viel in der Gastro gearbeitet.“ Nie im Service, immer in der Küche. Al Duomo und Lindenhof in Braunschweig sind nur zwei seiner Stationen. „Bei jedem Laden habe ich natürlich etwas gelernt, etwas mitgenommen.“ Als die Ersparnisse dann endlich reichten, verwirklichte er sich seinen Traum vom eigenen Laden.
Zutaten machen den Unterschied
Der Sonntag gehört seiner 12-jährigen Tochter, ansonsten arbeitet er jeden Tag. Das Il Siciliano – das ist Simon Salamone. Jeden Tag kauft er ein, bereitet vor und mischt den Teig. Im Service hat er einen festen Mitarbeiter und eine Aushilfe. Die Produkte, die er von einem Braunschweiger Importeur bezieht, kommen fast ausnahmslos aus Italien. Der Thunfisch sei handgeangelt, das Fleisch aus der Mittelgräte sehr aromatisch. Tomaten und Wildoregano direkt aus Sizilien, die Sardellen kommen aus Kantabrien, eine Region an der Nordküste Spaniens. Das merke gewiss nicht jeder Gast, aber wenn einmal einer bemerkt, dass diese Sardellen geschmacklich der Knaller sind, dann freue ihn das schon.
Ich achte sehr auf meine Produkte.
„Ich achte sehr auf meine Produkte“, sagt Salamone ein ums andere Mal. Dieses besondere Augenmerk gilt natürlich auch für den Käse. Seine Pizzen bestreut er mit Fior di Latte – eine ideale Käsesorte, weil sie während der sehr kurzen Backzeit von maximal zwei Minuten schön schmilzt, aber nur wenig Flüssigkeit abgibt, so dass der Boden knusprig und locker bleibt.
Salame e Cipolla Rossa mit Rosmarinhonig
Die Pizza Margherita wird gern bestellt, Salamone gibt als Geschmacksverstärker noch Parmesan drauf. Mein Favorit: Salame e Cipolla Rossa. Auf San Marzano Tomatensauce gehen luftgetrocknete Salami aus Napoli und Balsamico-Zwiebeln, beträufelt mit Rosmarinhonig, eine köstliche Koalition ein. Wir müssen noch einmal auf die Ein-Meter-Arbeitsfläche zu sprechen kommen. „Nein“, schwört Salamone lachend, „es gibt wirklich keine Hinterzimmerküche.“ Das Handling des Teiges passiert alles auf diesem einen, kleinen Meter. Übrigens: reine Handarbeit, eine Teigrolle hat hier rein gar nichts verloren. Zeit für Hobbys hat er nicht. Alles andere würde auch den Verdacht nähren, er verfüge über ein Kontingent an 48-Stunden-Tagen. Früher hat er mal Musik gemacht, heute spielt er nur noch welche ab – Hip-Hop, Pop-Jazz, Italo-Pop, je nach eigener Laune und Stimmung der Gäste. Klar wird auch zu Hause gekocht. Ab und zu. Trüffeltagliolini mit grünem Spargel und Lammfilet. Ja, er liebe Pasta, wollte eigentlich immer eine Pasta-Bar eröffnen. Wer weiß, eines Tages vielleicht …
suja
4/2025