Bierbrauen als One-Man-Show

Wie gern hätte ich diesen Text eröffnet mit einem vollmundig geseufzten: „Ahhh, das zischt!“ Aber morgens um neun Uhr an einem nüchternen werktätigen Dienstag kannst du als solides Mitglied der Arbeitnehmerschaft nicht ein kühles Helles wegzwitschern. Nicht mal für nuancierte geschmackliche Investigativrecherchen und schon gar nicht auf halbleeren Magen. Der nächste Termin im Peiner Brauhaus wird also zu einer zum Feierabend-Pils passenden Uhrzeit vereinbart, doch bis dahin lauschen wir hellwach, was Braumeister Martin Härke über das feine Zusammenspiel der Malzmischung und die Aromaprofile von Hopfen zu sagen hat.
Wir treffen den 53-Jährigen in seiner Mikrobrauerei in Stederdorf. Nebenan schieben die Mitarbeiter der KiK-Filiale einige Kleiderständer vor den Laden, ansonsten dominieren ein großer Parkplatz und das Fundament, auf dem einst ein Aldi stand, dieses Ende der Wilhelm-Rausch-Straße. 170 Quadratmeter klein ist der Neuling am Markt der Brauereien, derer es in Deutschland knapp 1500 gibt. Die meisten davon übrigens in Bayern. Obwohl: Neuling? Dieses Wort ist zwar einerseits korrekt, ging es bei Härke in Stederdorf doch erst Anfang dieses Jahres los. Andererseits hat sein Name Klang in Peine und darüber hinaus: bis 2019 war der Braumeister Martin Härke technischer Leiter im Traditionsunternehmen Härke.
Art und Menge des Hopfens bestimmen den Geschmack.
„Jetzt stehen wir in meinem Sudhaus“, sagt Härke und lächelt ein klein wenig schelmisch. Vielleicht, weil er an all die Menschen denkt, die schon mal eine Brauerei besichtigt haben und sich nun an gewaltige Kupferkessel erinnern. Sein Sudhaus: das sind zwei überschaubar große Kessel aus Edelstahl, ein Material, das den traditionellen Sudkessel aus Kupfer mittlerweile auch andernorts ersetzt hat. Egal, ob groß oder klein: Das Sudhaus ist das Herzstück der Brauerei, hier finden die wesentlichen Vorgänge des Brauprozesses statt.

Glücklich die Stadt, die noch Malzzuckergeruch hat

Härke hat sich das schon genau überlegt mit dem Neun-Uhr-Termin: Zum einen gibt es Motivfutter für die Fotografin, wenn er auf die Leiter steigt und die Malzmischung in die Kessel füllt. Zum anderen hat er, wenn alle vier Eimer geleert sind, eine knappe Stunde Zeit für einen Rundgang und das Gespräch. Danach muss er wieder ran an die Kessel. Und dann wird‘s knifflig, will sagen: Höchste Konzentration ist gefordert! Von der Seite anquatschen geht dann nicht mehr.
Als Härke oben auf der Leiter steht und Schippe für Schippe der sorgfältig zusammengestellten Mischung aus vier oder fünf Malzsorten, die er auch selbst schrotet, in das exakt auf 62 Grad temperierte Wasser schaufelt und so dezent schöne Sachen sagt wie, dass es ein gutes Zeichen für eine Stadt sei, wenn Malzzuckergeruch in der Luft liegt, dann merkt man, dass der Mann in seinem Beruf ein glücklicher Mensch ist. Ja, er wollte wieder näher am Brauen, wieder selbstständig sein. Für in Brauangelegenheiten gänzlich Ahnungslose: Malzzuckergeruch ist die ganz spezielle, wirklich unverkennbare Duftnote, die aus Brauereischornsteinen aufsteigt.
Während Härke so vor sich hinschaufelt und wir uns mal ein bisschen umsehen zwischendurch, fällt auf, wie unglaublich sauber und aufgeräumt diese Produktionsstätte ist. Während der Schaufelei stiebt gelegentlich etwas Getreidestaub auf – aber das war‘s auch. Sauber gestapelte Bierkästen und Fässer, blitzblanker Edelstahl, geschrubbter Boden. So bemerkenswert sei das nun nicht, schließlich werde hier ein Genussmittel hergestellt, das zugleich Lebensmittel ist. Und ja, man könne sich den Prozess des Brauens so vorstellen: Den größten Part nimmt das Reinigen ein.

Peiner Pils und Edelhell gingen weg wie warme Semmeln

Härke hat lange nach einem geeigneten Standort gesucht. Die Lage, die Infrastruktur, die Stromversorgung – Kriterien, die zu seinem Projekt passen mussten. Wie nicht selten im Leben war es der Zufall, der ihm glücklich in die Bierdeckel spielte. Dass der angrenzende Parkplatz so groß ist, ist alle 14 Tage sonnabends, wenn Härke sein Edelhell und Peiner Pils direkt in der Produktionsstätte verkauft, ein kundenfreundlicher Pluspunkt. An den ersten Verkaufstagen ging das Bier weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Schon lange vor Verkaufsstart bildete sich eine Schlange, im Nu war das frisch Gebraute ausverkauft. Mit Engelszungen bat der Unternehmer so manchen Kunden doch bitte anstatt der vier oder sechs Kisten zwei Gebinde weniger zu nehmen – damit andere auch noch ein paar Fläschchen abbekommen konnten.
Ein herbes Bier mit Melonenaroma passt zum Sommer perfekt.
Da er von Mengenbegrenzungen absehen möchte, versucht er die Kunden im Gespräch zu überzeugen, dass nur geteilte Bierfreude wahrer Genuss ist. „Schon komisch, wenn man die Kunden beknien muss, nicht so viel zu kaufen“, sagt Härke lächelnd.
Die Kapazitäten hochzufahren – daran ist derzeit aber nicht zu denken. Er führt den Betrieb allein – Brauer, Reinigungskraft, Befüller, Verwalter in Personalunion. „Ich bin ja noch in der Startphase, manche Routinen müssen sich noch einschleifen.“ Was noch kommt, werde man sehen. Anfragen von Restaurants liegen bereits vor. Doch das ist Zukunftsmusik.

Jede Bügelflasche wird von Hand befüllt

Zurück zum Sudhaus: Härke versenkt einen Rührstab im Kessel und verteilt mit gleichmäßigen Bewegungen „das Nest aus Malzschrot“, rührt, damit sich keine Klümpchen bilden. Schaut in den Kessel, ob alles zu seiner Zufriedenheit angerichtet ist. Sieht ein bisschen so aus, als wenn jemand eine Suppe zubereitet. Härke schmunzelt. So ähnlich sei dieser Vorgang auch und ja, auch er arbeite hier streng nach Rezept.
Verfüllt wird das Bier in Bügelflaschen und Fässer. Bestimmt ein automatisierter Prozess, oder? Stimmt nur teilweise, auch hier ist wieder die One-Man-Show gefragt: Flaschen und Fässer werden händisch gefüllt. Heißt: Martin Härke stellt jede Flasche, jedes 10- oder 20-Liter-Fass in die Mikrobefüllungsanlage, nachdem das Bier drin ist, hebt er jede Flasche, jedes Fass wieder heraus. Knochenjob. Zwei Zehn-Stunden-Tage braucht er für eine Rutsche frisch Gebrautes. Ein paar Tage bringt er dann noch mit Reinigen der leeren Tanks zu. Um alles wieder tippitoppi in Schuss zu haben, damit der Kreislaufprozess aus Brauen, Befüllen, Reinigen reibungslos schnurrt. Vier bis fünf Wochen reift ein neues Bier in den Tanks.
Klar, die Ablagerungen werden mit Natronlauge und Frischwasserspülungen automatisch gelöst. Aber trotzdem: ein Knochenjob. Und der Fußboden reinigt sich nun wahrlich nicht automatisch. Ach ja, die zurückgebrachten Pfandflaschen kommen in eine Art Geschirrspüler, aber fürs Ein- und Ausräumen hat Härke keinen Roboter. Sondern nur seine zwei Hände. Und manchmal die von Familienmitgliedern, die zu Stoßzeiten helfen. Aber trotz der Plackerei beim Reinigen: Stellen Sie sich Martin Härke weiterhin als glücklichen Menschen vor.

Aromaprofile des Hopfens geben dem Bier seinen Charakter

Mit acht 500-Liter-Tanks kann der Braumeister in seiner Brauerei arbeiten. Die in den Kesseln gewonnene Bierwürze wird in den Tanks mit Hopfen versetzt. Hopfen rein, hernach noch Hefe, Deckel zu und fertig ist die alkoholische Gärung – so einfach ist die Rezeptur mitnichten! „Art und Menge des Hopfens bestimmen den Geschmack“, erläutert Härke. Da gebe es fantastische Aromaprofile. Citra-Hopfen gibt eine, wie der Name schon erahnen lässt, zitronige Note. Beeren- und Pfirsicharoma können den Charakter eines Bieres ebenso abrunden. Und weil ich wohl ein bisschen skeptisch gucke, sagt Härke mit freundlichem Nachdruck: „Glauben Sie es mir, ein herbes Bier mit Melonenaroma passt zum Sommer perfekt.“
Ich bin ja noch in der Startphase, manche Routinen müssen sich noch einschleifen.
Er selbst ist eingefleischter Pilstrinker, mag herbe Biere. So schmeckt sein Peiner Pils markant herb. Das Edelhell sei vollmundiger, malzaromatischer. Malze prägen neben dem geschmacklichen Charakter auch die Farbe. Paradox dabei: Das Edelhell ist goldgelb bis messingfarben, also dunkler als das stroh- bis goldgelbe Pils. Ideen für Einzelsude hat er schon ausbaldowert, neue Rezepte kreiert, „wo die Reise geschmacklich hingehen soll“. Aber wie gesagt: Er steht mit seinem Betrieb am Anfang. Da sollen Peiner Pils mit dem grünen Etikett und das rot etikettierte Edelhell erstmal reichen. Etikettieren, Sie ahnen es schon, übernimmt der Chef natürlich auch in Eigenregie.
Bei seinem Produkt handelt es sich um unfiltrierte Biere. Naturbelassen und darob reicher an Geschmack und Aromastoffen. Die Haltbarkeit verkürzt sich so zwar auf zwei Monate, aber der Geschmack ist voller. Vier Euro kostet ein Liter in der Bügelflasche. Wer nicht gleich einen ganzen Liter trinken möchte, kann die Flasche mit dem Bügelverschluss perfekt schließen. Und das Bier wird nicht plörrig. Oder man teilt sich gleich eine Flasche mit einem lieben Menschen. Ist ja auch geselliger.
suja
3/2025