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Kochen im Einklang mit der Region
Demnächst wird es auch Eis geben! Dass es in einer Waldwirtschaft, wo sich im Sommer, wenn der Laden so richtig brummt, Hunderte von Ausflüglern tummeln, auch Speiseeis gibt, ist vom Nachrichtenwert eher, naja, sagen wir mal so – dürftig. Könnte man meinen. Denn dieses Eis, das ab Ostern auf dem Tetzelstein manufakturiert wird, soll eben nicht nur als VanilleSchokoErdbeerÜbliches in die Waffel kugeln. Es könnte als Sesameis einen Humus begleiten oder als Avocadovariante einen Tomatensalat krönen. Diese Nachricht, mit der Dr. Isabell Pott beim Besuch des Waldrestaurants Tetzelstein aufwartete, lässt dann doch aufhorchen, verspricht sie doch, dass auf dem Tetzelstein mehr geboten wird als Pommes-Schranke und Bockwurst mit Kartoffelsalat.
Dr. Isabell Pott in „ihrem“ Sessel unter der Holztafel, ein Geschenk von Freunden und Nachbarn.
© Claudia Taylor
Den Tetzelstein kann man schon ohne Übertreibung als das Ausflugsziel im Elm beschreiben. Hier haben schon Generationen von Familien ihre Sprösslinge im Kinderwagen über den Kies karriolt, haben Wanderer die müden Glieder ausgestreckt und die trockenen Kehlen besänftigt. Als der ehemalige Betreiber des Lokals verstorben war, kam mit der promovierten Lebensmittelingenieurin Isabell Pott nicht nur eine neue Geschäftsführerin, sondern gewissermaßen gleich eine neue Zeit auf den Hügel. Diese neue Ära übertitelt man sowohl, was den Um- und Ausbau als auch das Konzept der Gaststätte angeht, am griffigsten mit einem Wort: Nachhaltigkeit.
„Boah, ist das schön geworden!“
Wenn man sich vom großen Parkplatz nähert, der geblieben und der nach wie vor kostenlos ist, sieht man sogleich: hier ist mit Fingerspitzengefühl zu Werke gegangen worden. Das Gebäudeensemble wurde behutsam in seinen Urzustand zurückversetzt, kernsaniert und von Grund auf renoviert. Sogar der 100 Jahre alte Kiosk kommt wieder frisch herausgeputzt daher.
Im großzügigen Thekenbereich setzt Holz unter der Decke schöne Akzente.
© Claudia Taylor
„Boah, ist das schön geworden“, sagt ein Mann, der zufällig von seinem Spaziergang nur mal kurz hereinschneit. Das stimmt. Schon im Eingangsbereich, der die Theke integriert und den Blick in die Küche freigibt, dominiert Holz. Das passt, wir sind ja schließlich mitten im Wald. Saal und Wintergarten sind mit Holzgestühl und Holztischen möbliert, die Fenster entsprechen den Rahmenmodellen, die man auf alten Postkarten vom Tetzelstein aus den Anfangsjahren gefunden hat. Moderne Lampen setzen Akzente, auf dekorative Überladung und Firlefanz aller Art wurde mit Weitsicht verzichtet. Der Blick in den Buchenwald ist Augenweide genug.
Clou in der Profiküche ist eine Lüftungsdecke
Seit Frühjahr 2021 lief der Umbau, ein paar Restarbeiten werden noch erledigt. Die Hülle ist geblieben, ansonsten ist alles neu: Wasserrohre, Stromleitungen, die Heizungsanlage (Luftwärmepumpen), die Toiletten, Solartechnik auf dem Dach. Es gibt Sozialräume, WC und Dusche für die Mitarbeiter. Eigentlich Standard, aber der Tetzelstein hinkte da wohl etwas hinterher. Die Küche stammte noch aus den 60er-Jahren. Die Lüftung bestand schlicht aus einem Loch in der Wand. „Das Gesundheits- und Veterinäramt in Wolfenbüttel ist sehr dankbar“, sagt Isabell Pott beim Blick in die Küche, die von MKN aus Wolfenbüttel kommt. Clou in der sehr geräumigen Profiküche: eine Lüftungsdecke. Hier kann ohne unangenehme Zugluft oder die Gefahr, dass man sich den Kopf alle naselang an Dunstabzugshauben beult, gearbeitet werden.
Nicht nur die Küche kommt aus der Region, auch die anderen Gewerke sind alle dicht dran. Der Fußboden aus Dahlum, Dachdecker und Maurer aus Sickte, die Tischler (Möbel sowie Fenster und Türen) aus Braunschweig, Elektrik aus Räbke, Sanitär aus Schöppenstedt. Nicht nur in der Küche wurde auf modernste Technik gesetzt, auch die energetische Sanierung trägt dem Nachhaltigkeitsanspruch Rechnung. Ein Kreuzstromwärmetauscher bringt ständig Frischluft in die Räume, die wiederum von der Abluft gewärmt wird. Der Wärmeverlust liegt bei diesem System bei nur 8 Prozent.
Tagestouristen kehren von der Ferienstraße Alpen-Ostsee ein
Der Tetzelstein ist in der Ausflugsszene schon ein Schwergewicht. Und das nicht erst seit gestern. So erinnerte sich ein Gast, wie Isabell Pott erzählt, dass er als Lehrling Mitte der 50er-Jahre in einer Tischlerei in Königslutter die Stühle schreinerte, die hier heute noch stehen. Gelegen an der Ferienstraße Alpen-Ostsee L290, war das Lokal schon immer beliebt, auch bei Tagestouristen von auswärts. Oder bei Radlern, die von Köln nach Berlin unterwegs waren. Apropos Berlin: Für West-Berliner war der Elm neben dem Westharz vorm Mauerfall das erste Naherholungsgebiet nach dem Eisernen Vorhang. Zu Ferienzeiten frequentierten die Berliner in Scharen die Region, wovon noch alte Postkarten zeugen, die die Berliner dem Tetzelwirt schickten. In der Fernsehwerbung gab es sogar Ausflugstipps für den motorisierten Berliner. Der Elm und sein Tetzelstein tauchten da mehrfach auf.
Hier lässt es sich gut tafeln: Blick in den Wintergarten.
© Claudia Taylor
Gestartet ist das Team um Isabell Pott im Lockdown 2020. Mit der Feldküche auf dem Parkplatz, später ging es dann unter die Veranda. Heiße Getränke, Kichererbsencurry und Erbsensuppe. Da gaben sich die Handwerker und das Team, zu dem 10 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit zählen, noch die Klinke in die Hand. Mittlerweile ist freitags bis sonntags geöffnet, Ziel ist ein Vier-Tage-Betrieb. Der Biergarten kann maximal 500 Gästen Platz bieten, der Saal mit dem Wintergarten ist bestuhlt für 110, die beheizbare Veranda fasst 40 Gäste. Wer sich mehr abseits treffen möchte, ist in der Tetzelstube (10 Gäste) oder dem Waldstübchen (40 Gäste ) im Fachwerkhaus richtig.
Und wo soll die Reise auf dem Teller hingehen? „Wir sind eine Waldgastronomie mit einem Biergartenkonzept“, sagt Isabell Pott. Hier sei der Hundegänger ebenso willkommen wie der Reiter, der sein Ross auf der Wiese „parken kann“. Ebenso wie der Wanderer, der mal eben verschnaufen will. Oder die Herrentruppe, die klammheimlich im Buchenwald, übrigens dem größten Norddeutschlands, nächtigt und mittags ein spätes Frühstück genießt.
Vom Elfenpfad zum Tetzelstein wandern
Es gibt auch Currywurst mit Pommes. Aber eben nicht die aus der 10er-Plastikpackung, sondern eine Bratcurrywurst vom Metzger. Die Pommes sind keine TK-Ware, schlechte Ökobilanz, sondern kommen gekühlt daher, was vorteilhaft für die Energiebilanz ist. Formschnitzel und Chicken Nuggets werden es auf den Tetzel auch nicht schaffen. Saisonal gibt es Braunkohl oder Schmorwurst, Quiche oder auch mal Senfeier. Aber eben keine Eier, die seit Stunden in der Mehlschwitze rumdümpeln. Sauerbraten könnte es auch mal geben, auch so ein wesentliches Element deutscher Küche, das es heute oft nicht mehr auf die Karte schafft, weil in der Gastro gemeinhin Kurzgebratenes angesagt sei.
Der 100-jährige Kiosk. Ebenfalls frisch restauriert.
© Claudia Taylor
Die Eismanufaktur soll ebenso ein Aushängeschild des Tetzelsteins sein. Zudem sind die Räume tauglich für Veranstaltungen aller Art. Von der Wiege bis zur Bahre ist alles an Familienfeiern möglich einschließlich Beamer, Discokugel und DJ-Pult. Der FriedWald Elm ist fußläufig erreichbar. Ebenso der Elfenpfad Langeleben. Veranstaltungstechnik ist zudem für Konferenzen und Tagungen sowie Firmenevents aller Art vorhanden. Des Weiteren soll der Tetzelstein auch eine Art Salon sein, eine Begegnungsstätte, ein Ort auch für Vorträge, Lesungen. Alles ist möglich, „nur Parteiwimpel möchten wir hier nicht auf den Tischen sehen“.
Das Abendmahl für Gaumenfreuden und Kommunikation
Nach Ostern wird es neben dem Biergarten zudem das Restaurant geben. Hier soll nicht um Sterne und Punkte gekocht werden. „Surf and Turf braucht dieser Ort nicht.“ Aber schon eine ambitionierte Kelle: Kochen im Einklang mit der Region. Das Motto soll „Abendmahl“ lauten. Idee dahinter ist, dass es keine Karte gibt, sondern der Gast, der für den Abend reserviert hat, lässt sich auf die Speisenfolge des Küchenchefs ein. Klingt hochpreisig, sei es aber nicht: „Es gibt bei uns keine soziale Segregation an der Weinkarte.“ Aber auch keine Mondscheinkalkulation. Will heißen: es wird vernünftig kalkuliert.
Nicht monatelang das Gleiche auf der Speisekarte
Mit dem Abendmahl muss man sich das so vorstellen: ein paar Leute sitzen am Tisch, serviert wird in lockerer Folge ein Tellergericht, das alle gemeinsam beäugen und verkosten. Das stiftet Austausch und Kommunikation. Und ist: nachhaltig. Da nur nach vorheriger Reservierung gekocht wird, gibt es keine bis wenige Reste. „Das Küchenpersonal hat an so einem Konzept auch Spaß“, ist Pott überzeugt. Denn monatelang immer das Gleiche zu kochen, kann auch lähmend sein.
Schmorwürstchen mit Apfel und Majoran, Spitzkohl und Kartoffel-Senfstampf. Total lecker.
© Claudia Taylor
Bisschen ab vom Schuss ist der Tetzelstein freilich schon. „Stimmt“, sagt auch Isabell Pott. Eine Bushaltestelle wäre vortrefflich. Zumal sie gern Menschen mit geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung sozialversicherungspflichtig beschäftigen würde. Aber ohne Busverbindung ist das ein schier aussichtsloses Unterfangen.
Die Lage war für Spitzenköche jedenfalls kein Manko: der Chefkoch stand zuvor im Zucker in Braunschweig am Herd, ein Koch kommt aus dem Steigenberger, einer aus der Sternegastronomie im Harz. Zum interdisziplinären Team gehört vielleicht bald auch ein Archäologe, der sich auf die Archäologie des Essens spezialisiert hat. Ich sage nur: Tetzel. Luther. Wittenberg. Zimt-Huhn. Man sollte schon mal reservieren.
suja