Heimisch fühlen im Café [ein]heimisch

Um den passenden Namen für ihr Café am Braunschweiger Steinweg zu finden, setzten sich Ayşenur und Muhammed Demir zum Brainstorming mit Freunden und Familie zusammen. „So richtig klassisch mit Stiften und Ideenwolke“, erinnert sich die 28-Jährige gern an den Moment der Namensfindung. Es kam einiges zusammen in dieser Wolke, doch das Rennen machte schließlich ein Wort, das gleich zu Anfang beim kreativen Gedankenaustausch in die Wolke geschrieben worden war: heimisch. Seit Januar ist das Café [ein]heimisch nun auf dem Steinweg zu Hause.
Wir haben uns vorausschauend an einem Dienstagnachmittag verabredet. Dann ist der Frühstücksansturm – gelegentlich soll es hier schon zu Warteschlangen bis auf den Bürgersteig gekommen sein – abgeebbt und Ayşenur Demir hat ein bisschen Zeit zu plaudern. Montags seien die Tische selbst nachmittags noch gut frequentiert, so die junge Kaffeehausbetreiberin. Könnte daran liegen, spekulieren wir, dass montags traditionell ein gastronomischer Ruhetag ist und die Braunschweiger froh sind, dass diese Traditionen an manchen Standorten aufgeweicht werden. Wie auch immer: Wir müssen noch mal auf den Namen zu sprechen kommen, besonders auf die besondere Schreibweise, die an einen Eintrag im Duden erinnert.

Ein zweiter Ort der Behaglichkeit

„Das Wort einheimisch klingt einfach unglaublich schön“, sagt Ayşenur Demir. Und mit der von ihr gewählten Schreibweise [ein]heimisch lasse sich sowohl in der Speisekarte als auch beim Marketing exzellent spielen. Spricht‘s und muss eben mal schnell an den Tresen huschen, um mit einer Mitarbeiterin etwas zu klären. Da spürt man: Sie ist die Schaltstelle des Betriebs, bei ihr laufen die Fäden zusammen.
„Ich mag es clean und minimalistisch.“
Ayşenur Demir

In einem Café kann man als Kunde, wenn es richtig gut läuft, der Kaffee von ausgewiesen hoher Qualität ist und das Frühstück einen gewappnet für die Zumutungen des rauen Alltags in den Tag einlässt, heimisch werden. Es kann neben der heimischen Sofaecke zu einem zweiten Ort der Behaglichkeit werden. So war es bei Ayşenur Demir auch. In Kaffeehäusern in Göttingen, wo sie Soziologie studierte, Braunschweig und Hannover schrieb sie ihre Bachelorarbeit über antimuslimischen Rassismus. Und so ist es für sie heute auch völlig okay, wenn Gäste ihre Laptops aufklappen und länger als auf einen Flat White verweilen. Das Gewusel, Geplapper und Geklapper – störte sie das nicht beim Verfertigen ihrer akademischen Abschlussarbeit? „Das inspiriert mich eher!“, sagt sie lachend. Mal aufzublicken von der Tastatur, den Blick schweifen zu lassen und dabei neue Gedanken einzufangen, das gelinge ihr im unkomplizierten Kaffeehausambiente am besten.
Aber wie nun kommt eine Frau, die mittlerweile ihren Master in Sozial- und Organisationspädagogik schreibt, freiberuflich als Bildungsreferentin Workshops zu rassismuskritischen und jugendpolitischen Themen hält, vom akademischen Pfad ab? Die Liebe zum Kaffeehaus allein verführt ja nun noch nicht jeden, ein eben solches selbst zu betreiben.

Das Konzept für die Inneneinrichtung: hell!

Wie so oft im Leben kam Kollege Zufall ins Spiel. Sie und ihr Mann Muhammed, der sein Wirtschaftsstudium mittlerweile ruhen lässt und Geschäftsführer des Cafés [ein]heimisch ist, hörten, dass am Steinweg ein Objekt frei wird. So richtig etabliert hat sich an diesem Standort keiner ihrer Vorgänger, was auch der Coronakrise geschuldet sein mag. Aber eben auch der Tatsache, so Demir, „dass der Standort Steinweg für Gastro ein schwieriges Pflaster ist, weil es nicht die klassische Laufkundschaft gibt“. Doch die Bedenken zogen letztlich den Kürzeren: das Ehepaar wagte den Sprung in die gastronomische Selbstständigkeit.
Doch bevor Muhammed als ausgebildeter Barista am 9. Januar seinen ersten Cappuccino zubereiten konnte, war noch allerhand zu tun. Die Räume seien schwarz gestrichen gewesen, die Fliesen waren blau. Mit Hilfe von Freunden und Familie renovierten sie das Café. „Mein Vater ist heute noch der inoffizielle Hausmeister“, sagt Ayşenur Demir dankbar. Sie und ihr Mann, selbst beide in Deutschland geboren, haben keinen familiären gastronomischen Hintergrund, Ayşenurs Vater ist ebenso Akademiker wie sie selbst.
Finanzen, Papierkram und Organisation aller Art fallen in den Zuständigkeitsbereich von Muhammed. Ayşenur ist der kreative Kopf: „Für den Service fehlt mir leider jegliches Händchen, aber zum Aushelfen reicht es.“ Ihr Konzept für die Innenausstattung ist klar: hell! Vom Boden über die Wände, die Lampen und das Mobiliar ist alles in den Schattierungen von Cremeweiß bis Bambusbeige gehalten. „Ich mag es clean und minimalistisch.“ Für die Kinder gibt es eine Spielecke, Hunde müssen draußen bleiben, da die Kinder zwischen den luftig gestellten Tischen gern auf dem Boden rumrobben. Das könnte zu heiklen Begegnungen mit den Vierbeinern führen.
„Mit der von mir gewählten Schreibweise [ein]heimisch lässt sich sowohl in der Speisekarte als auch beim Marketing exzellent spielen.“
Ayşenur Demir

Auf dem Fußboden krabbeln Kinder hundehaarfrei

Im Hinterhof finden auf der Terrasse bis zu 30 Gäste Platz, im Gastraum können 70 Leute bewirtet werden. Anfangs konnte man im Café [ein]heimisch nicht reservieren, weil Ayşenur gerade dieses unkomplizierte Kommen und Gehen schätzt, wie sie es aus Großstädten gewöhnt ist. Auch wenn man mal ein paar Minuten warten muss, meistens findet sich dann doch ein Plätzchen. Mittlerweile werden für die Hälfte der Tischkapazität Reservierungen angenommen. Den Kundenwunsch zu erhören ist eben im Gastrogewerbe die Königsdisziplin.
Ayşenur Demir selbst ist übrigens keine Kaffeetante, sie hat sich diszipliniert, trinkt mittlerweile nur noch zwei Tassen am Tag. Als sie während des Ramadan ihr Café zum Late Night Coffee an drei Tagen auch am Abend geöffnet hatten, war es vielleicht auch mal eine Tasse Kaffee mehr. Schöne Abende seien das gewesen, erinnert sie sich, die Gäste hätten den Tag nach Iftar, dem Fastenbrechen, bei Kaffee und Kuchen bis tief in die Nacht ausklingen lassen.

Stullenzeit und Pancaketraum

Serviert wird im [ein]heimisch „modernes Frühstück mit türkischem Einfluss“. Und das bis 15 Uhr, im Winter noch eine Stunde länger. Auf der Pastirmastulle treffen sich türkischer Rinderschinken vom städtischen Saray Market, Kichererbsen, Granatapfelkerne und noch so allerlei köstliche Kleinigkeiten zum Wohle der morgendlichen Sättigung. Den klassischen Frühstücksteller gibt‘s auch, ebenso wie Rührei auf türkische Art und Omeletts. Für die Stullen liefert die Brotinsel die Laibe, der Kaffee kommt aus der Braunschweiger Rösterei Leogold, Kuchen backen mal die Mütter der Demirs oder die Angestellten. 25 in verschiedenen Teilzeitmodellen sowie als Minijobber beschäftigen sie. Feierabend ist um 17 Uhr.
Bowls und Salate für die Mittagspause finden sich ebenfalls auf der Karte. Süße Hits sind der Pancaketraum und Mo‘s French Toast, der hier als angebratenes hausgemachtes Bananenbrot mit griechischem Joghurt, Beeren und Karamellsauce an den Tisch kommt. Kalorienzähltabellen sollte man also lieber schön zu Hause lassen. Und genießen und sich [ein]heimisch fühlen.
suja
7/2023