Eine Obstplantage mit Kuchentresen

Warum nun gerade dieses Café? Der Apfelweinkuchen ist schon sehr fein im Geschmack, gut austariert das Spiel zwischen Süße und Säure. Das muss man sagen, aber sagen muss man im nächsten Atemzug dann auch, dass ein leckerer Apfelkuchen noch kein Alleinstellungsmerkmal in der Café-Szene ist. Was dieses Café aber unbedingt einen Ausflug wert macht, ist seine ungewöhnliche Lage. Es liegt jwd: janz weit draußen. Mitten im Feld, irgendwo im Nirgendwo zwischen Süpplingen und Süpplingenburg.
Wenn man sich dem Feldcafé auf der Obstplantage der Familie Jasper nähert, dann lässt man vielleicht nicht gleich die Zivilisation hinter sich, so doch aber ihre in Stein und Beton, Klinkerputz und Jägerzaun gegossene Infrastruktur, Lebens- und Wohnkultur. Wenn man das letzte Haus hinter sich gelassen hat, ist da links und rechts des Feldwegs, wie der Name schon nahe legt, nichts als Feld. Und weil das Feldcafé eben keines ist, an dem man täglich auf dem Weg ins Büro vorbei kommt, wo man sich mal einen Kaffee holt, mal ein Teilchen, und es zudem im Sommer nur sonntags geöffnet ist, ist es in besonderer Weise geeignet für eine Auszeit vom Alltag.
Katharina Jasper hat die Obstplantage 2017 von ihrem Vater gepachtet, der sie vor nunmehr 24 Jahren angepflanzt hatte. 3000 Bäume stehen hier auf zwei Hektar Land, vorwiegend Äpfel, aber auch Birne und Pflaume. Katharina Jasper (41) hatte nach der Schule zunächst andere Pläne, sie entschied sich für ihren Traumberuf, wurde Physiotherapeutin. Als ihre Mutter an Krebs erkrankte und starb, verlor die junge Frau den Enthusiasmus für diesen Beruf. Und sattelte konsequent um.

Das Café liegt jwd: janz weit draußen

Wir sitzen gut beschattet vor der großen Lagerhalle, Jaspers Tochter Marlene (5) hat sich gerade entschieden, sich erst mal eine dicke belgische Waffel zu holen – exzellente Entscheidung übrigens! Die fröhliche und ungemein umtriebige Frau rafft die ersten Jahre als Plantagenpächterin kurz zusammen: „2017 Frost, 2018 Dürre, 2019 Dürre und Frost, na und 2020 …“ Das C-Wort muss sie gar nicht erst sagen. Und obwohl die Jahre nicht ganz leicht waren, hat sie dennoch den Traum, den sie und ihre Mutter lange hegten, verwirklicht: ein Café direkt an der Obstplantage.
Frische Blumen stehen auf den Tischen, Plastik­mobiliar hat sich hierher nicht verirrt, geschmackvoll harmoniert Holz mit grünen und grauen Sitzkissen. Zweisamkeit kann man in einer besonders charmanten Version des Strandkorbs genießen, die hier aus Paletten zusammengezimmert wurde. Wenn es den Jüngsten bei der dritten Tasse Kaffee der Eltern allmählich langweilig wird, können sie dem Gequassel auf einem sehr gepflegten und abwechslungs­reichen Spielplatz entfliehen.

Kuchen backt sie mit der Tante nach Mutters Rezepten

Wenn die Apfelfrau so erzählt, dann wird deutlich, dass der „Familien­betrieb“ hier nicht nur klug inszeniertes Markenbranding ist, das mit der derzeit hoch im Kurs stehenden Nostalgie spielt. Mit Tante Ulrike backt sie die Kuchen nach Rezepten ihrer Mutter, die Schwester der verstorbenen Mutter steht auch im Kuchenwagen und reicht Stachelbeerbaiser, Käsestreusel und viele Stückchen mehr an die Gäste. Katharina Jaspers Schwiegervater hilft beim Schnitt der Bäume, Freunde und Bekannte und ein paar Saisonkräfte aus der Umgebung helfen ab August bei der Apfelernte. Jasper ist froh, dass sie dabei auf Freunde zählen kann. Sie hatte da schon mal Helfer, die den einzelnen ­Apfel solange gedreht hätten, dass ihr beim Zusehen ganz blümerant wurde. Ist halt nicht jedermanns Job …
Ihr Mann, der hauptberuflich bei der Feuerwehr ist, ihr Sohn Frederick (11) und ihr Vater sind natürlich auch dabei, wenn es ab Februar an den Baumschnitt geht und ab Juni an Ausdünnung und Mehltauschnitt. Nicht zu vergessen: mähen, mähen, mähen. Ab November ist dann Zeit, sich um den Hofladen zu kümmern, die Vermarktung. Die Äpfel gibt es an einigen Verkaufsstellen in der Region.

Äpfel werden heutzutage nicht mehr eingekellert

Mittlerweile hat Jaspers Mann Martin (40) das Tor zum Gelände geöffnet, vor dem die ersten Gäste schon geduldig warteten. Als ich später heimfahre, werden trotz der Hitze, der man eher mit der Flucht ins Freibad oder den kühlen Keller die Stirn hätte bieten können, mehr als 10 Räder und mindestens ebenso viele Autos auf dem Parkplatz stehen.
„Im Herbst“, erzählt Jasper, „ist es manchmal ganz verrückt. Dann steht schon ein richtiger Pulk vorm Tor, dann ist die Schlange vorm Kuchenhäuschen in Nullkommanichts 20 Meter lang.“ Die knappe Stunde Wartezeit verplaudern die Leute ohne zu murren. Herbst ist auch die Zeit der Selbstpflücker. Doch auch hier haben sich die Zeiten geändert: „Früher holten sich viele 20 bis 30 Kilo Äpfel, die sie einkellerten.“ Ein Brauch, der verloren gegangen ist. Aber Jasper ist das Klagen fremd: „Heute nehmen die Leute ein bis zwei Kilo mit. Dafür kommen sie dann jede Woche.“
Wer seinen Geburtstag gern an einer Kaffeetafel feiert, kann sich auf der Obstplantage einen Tisch reservieren. Für Gruppen ab 40 Personen gibt es auch Zeiten außerhalb der regulären Öffnung. Sie könnte hier auch Hochzeiten und große Feiern ausrichten, die Nach­frage sei da, aber „ehrlich, das schaffen wir nicht“. 50 Plätze hat das Café, im Spätsommer und Herbst, wenn das Café am besten besucht ist, kümmern sich bis zu sieben Mitarbeiter um das Wohl der Gäste.
Sie selbst arbeitet in der Woche vormittags als Hauswirtschafterin in einem Kindergarten, bereitet dort gemeinsam mit den Kindern das Mittagessen zu. Qualität und Regionalität sind ihr dabei ebenso wie in ihrem Café und am privaten Abendbrottisch wichtig.
Einen Hofladen hat es hier natürlich auch. Dort gibt es, logisch, Äpfel und Produkte von befreundeten Herstellern aus der Region: Kartoffeln, Honig, Wildsalami, Eier, Wein, Erdbeeren und „ein bisschen Deko und Chichi“.

Es gibt auch Flammkuchen und Salami mit Brot

Sieben bis zehn Kuchen gehen an so einem Cafétag im Feld über den Selbstbedienungstresen. Für Veganer hält Jasper heute Schokobrownies bereit. Und derweil ich mir so mit Blick auf die Apfelbäume Kühlung mit einem Eiscafé verschaffe und notiere, dass so eine Plantage mit ihrer handfesten Arbeit und noch dazu für ein paradiesisches Produkt doch auch unglaublich bereichernd sein muss, stelle ich schnell noch, bevor Katharina Jasper in die Küche muss, denn sie ist die Frau fürs Kaffeekochen und Geschirrspüler einräumen, die Frage aller Fragen: Was essen Sie am liebsten? „Ehrlich? Ich mag es lieber deftig.“ Und drum gibt’s im Café auch Flammkuchen. Und Salami mit einem ordentlichen Kanten Brot.
suja
5/2023