Bodenständig schlemmen unterhalb der Burg

Manche Träume erfüllen sich eher als geplant. Eigentlich sollte ihre Expertise aus der Gastronomie und Eventbranche erst mit 50plus in einem „Megaprojekt“ zur vollen Entfaltung kommen. Solange wollten sie sich Zeit lassen, um in ihren Lebenstraum hineinzuwachsen. Doch es kam anders. Der Zufall servierte Nicole (38) und Philip (43) Schwalm mitten im Lichtenberger Wald unterhalb der Burgruine die Chance, die Kombination aus Hotel und Restaurant, Event- und Wellnesslocation schon eine gute Dekade früher in Angriff zu nehmen. Und so entschieden die beiden so, wie sie es stets gehalten haben: Einfach machen! Seit April 2022 lässt sich im Burghaus in Salzgitter-Lichtenberg speisen. Und auch der Wanderer findet hier einen unkomplizierten Rastplatz.
Als ich an einem herbstlich anmutenden, sturmgezauselten und regenverhangenen Nachmittag Anfang August den Burgberg hinauffahre und nach der kurvenreichen Strecke oben vor dem Hotel- und Restaurantkomplex stehe, kann auch das miese Wetter den ersten Eindruck nicht trüben: Angenehm abseits von Autobahn und Alltags­gewese, verwunschen gelegen unterhalb dieser Burg auf steiler Bergkuppe, auf der schon Heinrich der Löwe herumgestakst ist, die schon Barbarossa und seine Truppen ins Visier nahmen. Und von der nach dem Schmalkaldischen Krieg nicht mehr als eine Ruine zurückblieb.

Über den Spirituosen röhrt der Hirsch stilsicher

Aber lassen wir diese historischen Metzeleien ruhen und wenden uns lieber dem bestens erhaltenen Fachwerkgebäude zu, in dem das Restaurant Burghaus seine Gäste bewirtet. Sogar das gegenüberliegende Hotel, in den 70er-Jahren gebaut, die ja eher durch architektonische Irrwege in Beton in schlechter Erinnerung sind, hat mit Giebeln und Klinkeroptik die Formsprache des Fachwerkhauses gekonnt aufgenommen.
Betritt man das Burghaus, denkt man schon nach weniger als drei Schritten: hier war aber jemand mit stilsicherem Händchen am Werk. Warmes Licht über der massiven Holztheke und an den tannengrün gestrichenen Wänden. Tannengrün? Macht das einen Raum nicht schwer und dunkel? Gar nicht! Im Gegenteil: Tanne kontrastiert hervorragend mit den taupefarbenen Wänden und zusammen mit der dezenten, aber aussagestarken Dekoration und so feinen Details wie dem Stuck an der Decke, fühlt man sich wohl wie bei Freunden am aufmerksam, aber nicht überkandidelt gedeckten Esstisch.
Das Mobiliar ist aus hellem Holz, wer mit einer Wand im Rücken sitzt, lehnt sich an weiches, dunkelbraunes Ledergeflecht. Sehr apart anzusehen, sehr bequem zu sitzen. Und selbst der mittlerweile inflationär gehängte Hirsch – hier oberhalb des Spirituosentischs, röhrt er ungemein passend.

„Teller tragen musste ich noch lernen“

Die Inneneinrichtung trägt die Handschrift von Nicole Schwalm, die Wirtschaftsjuristin ist und auch ein paar Semester Architektur studierte. Nur Teller tragen, „das musste ich noch lernen“, sagt die junge Frau und Mutter von zwei Töchtern im Grundschul- und Kitaalter lachend. Philip Schwalm, Speditionskaufmann und Betriebswirt, holt derweil schnell einen Unterteller für meinen Ingwerteebeutel.
Die Schwalms sind Macher – mittlerweile kann man sich als Gastronomieküken von ihnen beraten lassen – und klassische Quereinsteiger. Aber in der Gastro- und Eventbranche natürlich längst keine unbeschriebenen Blätter mehr. 2009 starteten sie mit dem ersten Phils, mittlerweile beschäftigt der in Braunschweig ansässige Veranstaltungsplaner Phils Events und Catering 43 Mitarbeiter.
Und nun das „Megaprojekt“. Burghaus und Peak-Hotel. Von April bis November fast jedes Wochenende Hochzeiten, das Jahr über runde Geburtstage, Jubiläen, Feiern aller Art. Firmenmeetings unter der Woche, Restaurantbetrieb, am Wochenende schon ab mittags. Schleicht da manchmal doch die klamme Frage um den Burgberg herum, ob es nicht doch zu früh, zu gewagt, vielleicht zu viel war? Die beiden strahlen mich an: „Nö! Das ist zwar verdammt viel Arbeit. Aber das alles hier – das ist unsere Leidenschaft.“ Ohne die Leidenschaft, gepaart mit Humor, einem Quantum Lässigkeit und dem Vertrauen darauf, auch mal an die Mannschaft delegieren zu können, würde so ein Megaprojekt wahrscheinlich auch schnell zum Monster(projekt). Zudem haben beide „starke Eltern“ im Hintergrund, was besonders in den Ferien bei der Kinderbetreuung Gold wert ist.

„Bodenständige Küche auf hohem Niveau“

Auf der Homepage zum Burghaus kann man lesen, dass „bodenständige Gerichte, modern interpretiert“ serviert werden. Mit Verlaub: bisschen ausgenudelte Sprechblase. Philip Schwalm grinst. Sieht er ähnlich, hat er mittlerweile vielleicht schon geändert. „Bodenständig auf hohem Niveau“, so würde er die Speisekarte, die von Sauerfleisch über Bowl und Burger, bis hin zu Zürcher Geschnetzeltem und Falafel-Bällchen und Spätzle für jeden Geschmack etwas bietet, definieren. Die Karte bietet saisonal Spargel, Pfifferlinge, Braunkohl. Die Schnitzel werden hier noch geklopft, paniert wie es sein soll und ausge­backen. „Da steckt viel Liebe drin“, zollt er seinem erfahrenen Küchenchef Respekt. Auf der Karte findet sich auch Chateaubriand, „kein alltägliches Gericht“, so Schwalm. Aber eines, das auch die Köche frohlocken lässt. „Die freuen sich jedes Mal, wenn es bestellt wird.“

Das „Megaprojekt“ stiftete im Team Identifikation

70 Plätze verteilen sich im Burghaus auf Kaminzimmer und Esszimmer, auf Terrasse und im Biergarten können nochmal 100 beziehungsweise 40 Gäste bewirtet werden. Zwei Köche, zwei Hilfsköche, eine Spülkraft und eine Bäckerin sind im Herzstück des Restaurants tätig. Im Service beschäftigt das Ehepaar drei Vollzeitkräfte und zwölf in Teilzeit. Ganz im Sinne des Mottos des Unternehmerpaars – „nicht lange fragen, einfach machen“ – packen die Köche laut Schwalm auch mal mit an, wenn es im Service klemmt und umgekehrt. „Service und Küche, das ist ein Team“, so Philip Schwalm. Und Mitarbeitende des Veranstaltungsplaners aus Braunschweig, die mal Lust auf einen Tapetenwechsel haben, können dank flexibler Arbeitsmodelle auch mal im Burghaus reinschnuppern. So seien Hotel und Restaurant auch ein Corona­projekt gewesen: Ab Oktober 2021 haben alle Mitarbeitende mit angepackt, das hat zusammen­geschweißt, Identifikation mit dem Projekt gestiftet.
Und dann hat sich der Herbstregen an diesem Augusttag doch noch getrollt. Der Blick von der Terrasse auf Salzgitter ist wie blank gewienert, der Himmel spannt sein blaues Tuch, von der Burg könnte man jetzt bestimmt bis Braunschweig und zum Brocken gucken. Ein schöner Flecken Erde hier. Hahn Johnny hat der Regen eine steile Punkfrisur verpasst, auf die Stimme ist ihm das Wetter nicht geschlagen. Er kräht volle Pulle. Soll er, stört hier oben niemanden.

Farbklecks: Die Eier der Araucanahühner sind türkis

Die Araucanahühner legen türkisfarbene Eier. Am Frühstücksbüfett im Hotel wird eigens darauf hingewiesen, dass das in Ordnung ist. Innen sind die Eier wie alle: weiß und gelb. Im Hotel quartieren sich unter der Woche viele Geschäftsreisende der „Big five“, wie Nicole Schwalm sagt, aus Salzgitters Industrie ein. Ansonsten sind die Gäste des Hotels und der über Airbnb angebotenen Wohnungen bunt gemischt. Durchreisende von Süddeutschland nach Dänemark oder Gäste, die ein Yoga- oder Golfpaket gebucht haben.
Nicht lange fragen, einfach machen.
Der selbst gebackene Frankfurter Kranz wird nicht nur von Gästen geschätzt, die nachmittags zu Kaffee und Kuchen kommen, sondern auch von Jubilaren, die hier ihren 70. oder 90. Geburtstag feiern. Neulich beging eine betagte Dame hier ihren Geburtstag und erinnerte sich: „Mensch, hier habe ich schon meine Hochzeit gefeiert!“ Heiraten kann man in der Burgruine übrigens auch.
Als wir an der imposanten, prächtig blühenden Hortensie vorbei am Duft von Salbei und Co. aus dem Kräuterbeet zurück gehen, erzählen die Schwalms, dass sie noch viel vorhaben hier oben unterhalb der Burg. Eine Außensauna an der Burg für den Nahtourismus, so dass man nach Wanderungen durch den Höhenzug oder einer Mountainbiketour auf dem vielfältigen Wegenetz ausspannen kann. Einen Abenteuerspielplatz, „weil das hier auch ein Ort für Familien sein soll“, der regelmäßige Betrieb des Biergartens. Und die Ritterspiele, die soll es 2024 auch wieder geben. Friedliche natürlich, auf denen kein Barbarossa was verloren hat.
suja
6/2023