Juni 2022 - Erweiterung
- I. Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohn
- II. Neue Nachweispflichten für Arbeitgeber ab dem 1. August
- III. BAG: Kein fingiertes Arbeitsverhältnis bei fehlender deutscher Arbeitnehmerüberlassung
- IV. BAG: Entscheidung zum “Stechuhr-Urteil”
- V. Der EuGH stärkt das Deutsche Eilrechtsschutzverfahren in Patentsachen
- VI. Klimaneutrale Marmelade: Irreführende Werbung
I. Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohn
Am 3. Juni hat der Deutsche Bundestag dem Entwurf der Bundesregierung zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns zugestimmt. Danach wird der Mindestlohn zum 1. Juli auf 10,45 € und zum 1. Oktober auf 12 € steigen. Über eine darauffolgende Erhöhung wird dann wieder die Mindestlohnkommission zu entscheiden haben; dies jedoch frühestens zum 1. Januar 2024.
Im gleichen Zuge wurde auch die bisherige Entgeltgrenze für Minijobs von 450 € auf 520 € angehoben; die Grenze für Midijobs wird von 1.300 € auf 1.600 € steigen. Durch eine Umverteilung der Beitragslast zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll der Anreiz zum „Verharren im Minijob“ reduziert werden.
II. Neue Nachweispflichten für Arbeitgeber ab dem 1. August
Die Bundesregierung hat im April einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen aus dem Jahr 2019 vorgelegt. Dieses sieht insbesondere Änderungen im Nachweisgesetz vor, welches die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zur Unterrichtung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über wesentliche Arbeitsvertragsbedingungen verpflichtet.
Der Katalog dieser Vertragsbedingungen wird nach der Gesetzesänderung nunmehr erweitert und enthält folgende weitere Inhalte, soweit Vereinbarungen zu den einzelnen Punkten getroffen wurden:
- das Enddatum des Arbeitsverhältnisses
- freie Wahl des Arbeitsorts durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
- die Dauer der Probezeit
- die Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts (einschließlich Vergütung von Überstunden, Zuschläge, Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen, deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung)
- Arbeitszeit, Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für Schichtänderungen
- die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen
- ein etwaiger Anspruch auf von der Arbeitgeberin bzw. vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
- bei Zusage einer betrieblichen Altersversorgung über einen Versorgungsträger: der Name und die Anschrift dieses Versorgungsträgers; sofern nicht der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist
- das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses einzuhaltende Verfahren
Was gilt für Neueinstellungen?
Standardabläufe im Unternehmen sind so anzupassen, dass ab dem 1. August neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgende Nachweise erhalten:
- am ersten Tag eine Niederschrift mit folgenden Informationen erhalten: Namen und Anschriften der Vertragsparteien, Arbeitsentgelt und seine Zusammensetzung sowie die Arbeitszeit,
- spätestens nach sieben Kalendertagen die restlichen Nachweise.
Was gilt für Bestandsbeschäftigte?
Bereits eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind erst nach Aufforderung durch diese innerhalb einer Frist von
- sieben Tagen über die wesentlichen Arbeitsbedingungen
- einem Monat über Urlaub, betriebliche Altersversorgung, Pflichtfortbildung, Kündigungsverfahren sowie geltende Kollektivvereinbarungen
schriftlich zu unterrichten. Wesentliche Änderungen von Arbeitsbedingungen in bestehenden Arbeitsverhältnissen sind am Tag der Änderung mitzuteilen.
Was gilt bei Verstößen?
Fehlen Nachweise (auch nur teilweise) oder werden diese verspätet vorgelegt, drohen Bußgelder von bis zu 2.000 €. Im Zweifel müssen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auch Tatsachenvermutungen gegen sich gelten lassen, sofern eine Entkräftung nicht gelingt.
III. BAG: Kein fingiertes Arbeitsverhältnis bei fehlender deutscher Arbeitnehmerüberlassung
Das BAG hatte im Fall einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung zu entscheiden, ob ein ungewolltes Arbeitsverhältnis zum Entleiher (einem deutschen Unternehmen) fingiert wird, wenn der Verleiher (ein französisches Unternehmen) über keine deutsche Arbeitnehmerüberlassung verfügt.
Dies hat das BAG erfreulicherweise zurückgewiesen und so die Risiken bei einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung reduziert. So liegt für den deutschen Entleiher in einem solchen Fall weder eine Strafbarkeit wegen vorenthaltener Sozialversicherungsabgaben vor noch wegen einer Steuerhinterziehung.
Von der Entscheidung des BAG unberührt bleiben etwaige Rechtsfolgen gem. § 16 AÜG. Danach werden unerlaubte Arbeitnehmerüberlassungen mit Bußgeldern geahndet, weshalb auch bei grenzüberschreitenden Überlassungen auf eine ordnungsgemäße Gestaltung des Arbeitsvertrages zu achten ist.
IV. BAG: Entscheidung zum “Stechuhr-Urteil”
Ebenfalls unternehmerfreundlich fiel das Urteil des BAG zur Beweislastverteilung im Überstundenprozess aus.
Mit seinem Teilurteil v. 9. November 2020 (2 Ca 399/18) argumentierte das ArbG Emden auf Grundlage der Entscheidung im sog. „Stechuhr-Urteil“ des EuGH, dass eine Nichterfassung der Arbeitszeit eine Beweislastvereitelung durch den Arbeitgeber darstellt, welche eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers zur Folge hat. Es sprach dem Arbeitnehmer die Überstundenvergütung in diesem und zwei weiteren Fällen zu.
Bereits das Berufungsgericht folgte dieser Auffassung nicht; ebenso das BAG. Dieses entschied nunmehr, dass die Beweislast für die Anordnung von Überstunden weiterhin beim Arbeitnehmer bleibt. Die durch das Europäische Recht begründete Verpflichtung zur vollständigen Erfassung der Arbeitszeit lässt sich auf etwaige Darlegungs- oder Beweislastpflichten im Überstundenprozess nicht übertragen.
V. Der EuGH stärkt das Deutsche Eilrechtsschutzverfahren in Patentsachen
Wird ein veröffentlichtes Patent verletzt, besteht für den Inhaber die Möglichkeit, gegen den unbefugten Dritten ein Patentverletzungsverfahren anzustreben und, sofern Eile geboten ist, Eilrechtsschutz zu beantragen.
Bislang war es nach der Rechtsprechung diverser deutscher Oberlandesgerichte für die Gewährung von Eilrechtsschutz erforderlich, dass sich das Patent bereits in einem Einspruchs-, Beschwerde- oder Nichtigkeitsverfahren („Feuerprobe“) bewährt haben musste.
Begründet haben das die Oberlandesgerichte (u. a. auch das OLG München) mit einer mangelnden technischen Beurteilungskompetenz darüber, ob sich das Patent als voraussichtlich rechtsbeständig erweisen wird.
Das Landgericht München I, welches an die obige Rechtsprechung des OLG München gebunden ist, hat diese Rechtsauffassung hinterfragt und die Frage dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt.
Tatsächlich wendet sich der EuGH in dieser Sache gegen die bisherige Rechtsprechung und erleichtert so den Eilrechtsschutz in Patentsachen. Nach der ergangenen Entscheidung bedarf es für die Gewährung des Eilrechtsschutzes in Patentsachen keiner vorherigen „Feuerprobe“, um eine voraussichtliche Rechtsbeständigkeit des Patentes anzunehmen.
VI. Klimaneutrale Marmelade: Irreführende Werbung
Ein Produkt als „klimaneutral“ zu bewerben ist irreführend, wenn ein Hinweis darauf fehlt, dass die Klimaneutralität lediglich bilanziell durch Kompensation erreicht wird.
Dies entschied das LG Mönchengladbach am 25. Februar. Die Beklagte bewarb ihre Marmelade als „klimaneutrales Produkt“ und „klimaneutralen Preis-Leistungs-Klassiker“, obwohl dies beim Herstellungsprozess nichtzutreffend war. Erreicht wurde die Klimaneutralität lediglich durch Kompensation mittels Unterstützung von Aufforstungsprojekten in Südafrika. Die Klägerin (Die Wettbewerbszentrale) nahm die Beklagte auf Unterlassung vorstehender Werbung in Anspruch. Das LG Mönchengladbach gab der Klage statt (8 O 17/21).
Die Beklagte legte vor dem OLG Düsseldorf (20 U 72/22) Berufung ein; die Entscheidung gilt es abzuwarten.