BW 07-08/2021 – Schwerpunkt

Prüfsteine für die Politik

Gemeinsam haben IHK Berlin und Branchen- und Fachausschüsse für die Wahl zum Abgeordnetenhaus einen Katalog mit Forderungen und Vorschlägen erstellt – unternehmensnah und konkret
Nichts ist mehr so, wie es war: Die Folgen der Corona-Pandemie haben die Wirtschaft in der Hauptstadt ins Mark getroffen und zu einem dramatischen konjunkturellen Einbruch geführt. Vorbei die Zeit sprudelnder Steuereinnahmen und Haushaltsüberschüsse – jetzt gilt es die Herausforderungen der nahen Zukunft zu meistern. Mit der Wahl des neuen Berliner Abgeordnetenhauses werden am 26. September die politischen und wirtschaftlichen Weichen für die kommenden fünf Jahre gestellt. Auch für diesen Urnengang hat die IHK Berlin wieder Wahlprüfsteine (WPS) erarbeitet, die seit der Abgeordnetenhauswahl 2006 den politischen Akteuren vor jeder Legislaturperiode die Vorstellungen, Anregungen und Forderungen der Berliner Wirtschaft übermitteln und Aufschluss darüber geben, was die Unternehmerschaft von einem neuen Senat erwartet. In diesem Jahr dürften besonders jene Vorschläge interessieren, die aufzeigen, mit welchen Maßnahmen die Stadt wieder auf den Wachstumspfad kommen kann. Dazu gehören vor allem die Erleichterung des Wohnungsbaus sowie Investitionen in Digitalisierung, Infrastruktur und Nachhaltigkeit, aber auch die Modernisierung der Verwaltung und die Deckung des Fachkräftebedarfs. Die Erstellung der aktuellen WPS maßgeblich begleitet haben die sieben Fachausschüsse und acht Branchenausschüsse der IHK. „Insbesondere diese Form der Beteiligung hat dazu geführt, die wichtigsten Forderungen an die Politik unternehmensnah und konkret zu machen“, sagt Dr. Beatrice Kramm, die Präsidentin der IHK Berlin. „Im Ergebnis haben wir damit dem neuen Senat bereits heute ein echtes Arbeitsprogramm für die neue Legislaturperiode mitgegeben.
Im laufenden Wahlkampf werden wir die Positionen der Wirtschaft immer wieder lautstark ansprechen und auf die Aufnahme unserer Vorschläge in einem möglichen Koalitionsvertrag hinarbeiten.“

Wohnungsbau erleichtern, Gewerbe sichern

Steigende Mieten, stockender Wohnungsneubau, immer höhere Preise für Eigentumswohnungen: Die Probleme auf dem Berliner Immobilienmarkt dürften zu einem zentralen Thema des Wahlkampfs werden. Die Politik, so der Vorschlag der IHK, müsse auf die Immobilienbranche zugehen, damit die Engpässe am Berliner Wohnungsmarkt beseitigt werden können – die Schaffung neuen Wohnraums könne nur gemeinsam mit der privaten Wohnungswirtschaft gelingen. Eingriffe wie restriktiveres Baurecht, vermehrter Ausweis von Milieuschutzgebieten, Mietendeckel, Vorkaufsrecht oder drohende Enteignungen von Immobilienkonzernen sollten unterbleiben. Dagegen müssten Beschleunigungspotenziale beim Wohnungsbau genutzt werden: einheitliche Vorgaben bei Planungsprozessen zum Beispiel, ausreichendes Personal in den Planungsämtern oder vereinfachte Bedingungen, um höher und dichter bauen zu können. Gleichzeitig sollten innerstädtische Quartiere gestärkt und die Verdrängung von Gewerbe verhindert werden. „Die Politik könnte Rahmenbedingungen entwickeln, die die Immobilienwirtschaft dabei unterstützen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, sagt Jana Mrowetz, Geschäftsführerin der GIBE Real Estate GmbH und Mitglied der IHK-Vollversammlung. „Wir hören immer nur von der Mietpreisbremse. Wo ist zum Beispiel die Baulandbremse? Warum werden nicht die Preise für Bauland reguliert oder zum Beispiel Projektentwickler unterstützt, die tatsächlich auf ihren Grundstücken bauen, statt diese nur spekulativ weiterzuverkaufen?“ Die teilweise extrem langen und aufwendigen Prozesse in der Verwaltung, so Unternehmerin Mrowetz, führten zudem zu steigenden Kosten, die Wohnungen kaum noch bezahlbar machen. „Bis 2030 nehmen wir uns vor, 200.000 neue Wohnungen zu bauen“, sagt die Spitzenkandidatin der SPD, Franziska Giffey, „das können wir gemeinsam mit allen Partnern erreichen: den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und den Genossenschaften, aber auch den privaten Wohnungsunternehmen.“ Ein starkes „Bündnis für Wohnungsneubau Berlin“ soll auf Zusammenarbeit und nicht auf Enteignung setzen. „Wir müssen aber ebenso dafür sorgen, dass die bereits hier lebenden Berlinerinnen und Berliner nicht aus ihren Mietwohnungen verdrängt werden.“ Auch die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch will „bauen, bauen, bauen“. Das allein reiche aber nicht: „Die soziale Frage wird im Bestand gelöst.“ Deshalb brauche es mehr Mietenregulierung: „Dafür werden wir neue Lösungen suchen.“ Auch Dr. Klaus Lederer, Spitzenkandidat der Linken, würde alle Möglichkeiten nutzen, regulierend in den Wohnungsmarkt einzugreifen. „Wir wollen die öffentlichen Wohnungsbestände durch bezahlbaren Neubau, Ankauf und eine Vergesellschaftung der großen privaten Immobilienkonzerne massiv ausweiten.“ „Untaugliche Instrumente wie Enteignungen und Mietendeckel bringen uns kein Stück weiter“, sagt CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, „stattdessen brauchen wir ein Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen mit Vertretern der öffentlichen und privaten Wohnungswirtschaft, der Mieterinnen und Mieter, der Berliner Bauunternehmen, der Genossenschaften und der Politik und Verwaltung – alle Akteure gehören an einen Tisch, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die für alle funktionieren.“ Bis zum Jahr 2035 will Wegner mit der CDU mindestens 300.000 neue Wohnungen bauen lassen. Dafür brauche es mehr Bauland, weniger Bürokratie und schnellere Baugenehmigungen. Für eine Entrümpelung der Bauordnung spricht sich auch FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja aus – möglich gemacht werden müsse „genehmigungsfreier Dachgeschossausbau, Einführung einer Typenbaugenehmigung, Aktivierung von Bauland in Bundesbesitz, Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsprozessen oder Einführung eines Baulückenkatasters“. Und das Modell der Wohnungsmietergenossenschaften will der Freidemokrat auf Gewerbetreibende übertragen. „Die Investitionsbank Berlin soll die Finanzierung mit 10 Prozent des Kaufpreises über Darlehen unterstützen.“ Um die Wohneigentumsquote in Berlin zu erhöhen, regt die AfD-Spitzenkandidatin Dr. Kristin Brinker an, die Grunderwerbssteuer auf 3,5 Prozent zu senken. „Hinzu kommen einmalige Freibeträge von 100.000 Euro für jeden Erwachsenen und 50.000 pro Kind.“ Eine Senkung der Wohnnebenkosten könnte mit der vollständigen Abschaffung der Grundsteuer und „Kompensation der fehlenden Einnahmen durch Bundesmittel“ erreicht werden.

Wirtschaft und Verwaltung digitalisieren

Die Politik müsse, so heißt es im Wahlprüfstein der IHK, die Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung priorisieren und zur Chefsache machen – zentral gesteuert, koordiniert und umgesetzt in der Staatskanzlei durch einen Chief Digital Officer im Amt eines Staatssekretärs. Kommunale Unternehmen wie das ITDZ sollten stärker in landespolitische Strategien zu E-Government, Digitalisierung und Smart City eingebunden werden. Gleichzeitig müssten die Glasfaserinfrastruktur ausgebaut, die WLAN-Verdichtung vorangetrieben und Verwaltungsservices durch digitale Bürgerämter optimiert werden. Nicht zuletzt sei der Digitalpakt Schule effektiv umzusetzen: alle Schulen ans Glasfasernetz anbinden, Unterrichtsräume vernetzen, Lehrkräfte schulen, die Berliner Lernplattform umfassend mit Personal und Infrastruktur ausstatten. „Die in dieser Legislaturperiode erprobte Querschnittsverteilung der digitalpolitischen Zuständigkeiten ohne zentrale Steuerung hat nach fünf Jahren nicht den gewünschten Erfolg erzielt“, sagt Matthias Patz, leitender IT-Manager bei der Deutschen Bahn sowie Vorsitzender des Kuratoriums der Technologiestiftung Berlin und des IHK-Ausschusses Innovation und Technologie, „eine zentrale Verantwortung und Koordinierung mit Mandat, Ressourcen und Budget sollte künftig die Antwort sein.“ Trotz erkennbarer, aber viel zu langsamer Fortschritte seien die großen Handlungsbedarfe Berlins beim Glasfaserausbau für die Wirtschaft bereits lange ein Bremsklotz, „denn mehr als ein Viertel der Unternehmen sind mit der Breitbandversorgung unzufrieden“. Eine flächendeckende Glasfaserversorgung, so Patz, sei ausschlaggebend für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts. „Berlin hat mit seiner niedrigen einstelligen Glasfaser-Anschlussquote dabei einen großen Aufholbedarf und liegt weit hinter Städten wie Köln, Hamburg und München.“ Für die SPD-Landesvorsitzende Franziska Giffey ist klar: „Zukunftsfähige Politik braucht eine zukunftsfähige Verwaltung, und eine zukunftsfähige Verwaltung braucht eine moderne, standardisierte und leistungsstarke IT-Infrastruktur.“ Deshalb wolle ihre Partei in jeder Behörde eine „Stabstelle Digitalisierung“ einrichten. Noch weiter geht CDU-Chef Kai Wegner, der eine Senatsverwaltung für Digitalisierung und Personal schaffen und eine Personaloffensive starten will. „Zudem wollen wir ein zentrales digitales Bürgeramt auf Landesebene einrichten, damit möglichst alle Behördengänge schnell und bequem vom Sofa oder vom heimischen Schreibtisch aus erledigt werden können.“ So etwas hat auch FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja vor, der ein „Digitales Rathaus“ als alternatives Angebot zu den zwölf Bezirksverwaltungen realisieren will. „Dabei soll dieses ,Digitale Rathaus‘ ein echter digitaler Neubau sein, für den Geschäfts- und Verwaltungsprozesse gänzlich neu gedacht und realisiert werden können.“

Modernisierung der Verwaltung

Die Berliner Wirtschaft wartet seit Jahrzehnten auf die erfolgreiche Modernisierung der Verwaltung, die für wirtschaftliches Wachstum unverzichtbar ist. Um die gegenseitige Blockade zwischen Senat und Bezirken bei einer Vielzahl von Projekten aufzulösen, so die Forderung der IHK, müsse vor allem die Struktur der Verwaltung den Anforderungen einer Einheitsgemeinde angepasst und Aufgaben und Zuständigkeiten von Senat und Bezirken klar geregelt werden. Außerdem sollte die Fachaufsicht des Senats gegenüber den Bezirken wieder eingeführt und die Bezirksbürgermeister mit Weisungsbefugnissen ausgestattet werden. Und das Stellenbesetzungsverfahren müsse weiter verkürzt und die Anzahl unbesetzter Stellen bis zur Hälfte der neuen Legislaturperiode halbiert werden. „Für Unternehmen, die viel mehr Verwaltungskontakte als Bürger haben, sind drei Punkte wichtig“, sagt Sebastian Stietzel, Geschäftsführer der Marktflagge GmbH und Vorsitzender des Kompetenzteams Mittelstand der IHK Berlin. „Erstens brauchen sie einen einfachen Zugang; sofern möglich und gesetzlich zulässig, sollte der Verwaltungskontakt vollständig digital stattfinden können.“ Das schließe auch die Transparenz über den Bearbeitungsstand ein. „Zweitens sollten durch die Digitalisierung der internen Verwaltungsprozesse die Bearbeitungszeiten so kurz wie möglich und dem Anliegen angemessen sein – und drittens sollten speziell in Berlin die Verfahren über alle Bezirke hinweg einheitlich sein, denn viele Unternehmen arbeiten ortsübergreifend.“ Alle diese Anforderungen seien durchaus schon im Onlinezugangsgesetz (OZG) sowie im Berliner E-Government-Gesetz abgebildet, deren Umsetzung aber noch immer auf sich warten lasse. „Wir brauchen eine umfassende Verwaltungsreform“, sagt der CDU-Politiker Kai Wegner. „Der Schlüssel für die erfolgreiche Gestaltung des Wirtschaftsstandortes liegt in einer leistungsfähigen und serviceorientierten Verwaltung mit klaren Zuständigkeiten.“ Diese eindeutigen Verantwortlichkeiten will die FDP, wie andere Parteien auch, mit einer Reform erreichen, die in den Bezirken „Koalitionsregierungen“ zuließe. „Wir fordern“, sagt Sebastian Czaja, „die Direktwahl der Bezirksbürgermeister und -meisterinnen und das politische Bezirksamt, also die Wahl der Bezirksstadträte und -rätinnen durch die Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung.“ Um in den nächsten Jahren Zehntausende Stellen in der Verwaltung neu oder nachbesetzen zu können, müsse, so Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, die Personalentwicklung im Senat deutlich aufgewertet werden – und zwar mit einem Staatssekretariat für Personal.

Bildung und Ausbildung

Nach dem Corona-Schock auf den Arbeitsmarkt wird die Wirtschaft wieder wachsenden Fachkräftebedarf haben. Im Vergleich mit anderen Bundesländern hat Berlin einen enormen Handlungsbedarf in der schulischen Bildung. Vor allem der mathematische, sprachliche und digitale Kompetenzerwerb müsse in den Schulen sichergestellt werden, heißt es im IHK-Wahlprüfstein. Damit die Fachkräftesicherung gelingt, müssten Schüler im letzten Schuljahr von Berufsberatern der Berufs- und Studienorientierungsteams intensiv gecoacht werden. Während Integrierte Sekundarschulen eine solche Berufsorientierung ab der 7. Jahrgangsstufe vorsehen, gibt es an Gymnasien trotz steigender Schülerzahlen kein vergleichbares Schulfach. Deshalb sollte hier der Ergänzungskurs „Studium und Beruf“ flächendeckend angeboten werden. Zudem müssen die berufliche Ausbildung attraktiver und berufliche und akademische Bildung gleichwertig behandelt werden – beispielsweise durch die Schaffung von Azubi-Wohnraum und -Vergünstigungen. Die Zuständigkeiten in der beruflichen Bildung sollten in einer Senatsverwaltung gebündelt und ein Institut für Berufliche Bildung wie in Hamburg geschaffen werden. Und die Berufsschulen müssten zu attraktiven und leistungsstarken Lernorten gemacht und die Oberstufenzentren zu Kompetenzzentren entwickelt werden. „In vielen technischen Berufen sind die Betriebe in der Berufsausbildung darauf angewiesen, dass die Jugendlichen mit den entsprechenden Grundlagenkenntnissen und Kompetenzen aus den Schulen kommen, was sehr oft nicht der Fall ist“, weiß Gerd Woweries, Geschäftsführer des ABB Ausbildungszentrum Berlin. „Grundvoraussetzung für eine gute Schulqualität sind in erster Linie gute Lehrerkräfte – Berlin muss Bedingungen schaffen, dass gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer nicht mehr aus finanziellen Gründen die Stadt verlassen.“ Die Zahl der Jugendlichen, die in Berlin eine duale Berufsausbildung absolvieren, sei seit vielen Jahren rückläufig, weil das Abitur nach und nach zum dominierenden Schulabschluss werde. „Aber gerade diese Fachkräfte werden in den Unternehmen dringend benötigt.“ In den Gymnasien sollte die Schülerschaft nicht nur auf ein Studium vorbereitet werden, sondern auch auf attraktive duale Ausbildungen. SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey findet, dass gerade die berufliche Bildung für den Wirtschaftsstandort Berlin unverzichtbar ist. „Deshalb wollen wir die Berufsbildung für junge Leute in Berlin attraktiver machen, denn sie ist kein Berufsweg zweiter Wahl.“ Aber klar sei auch: „Wir müssen Auszubildenden in Berlin die bestmöglichen Rahmenbedingungen für eine gute und erfolgreiche Ausbildung bieten, zum Beispiel mit gut ausgestatteten Berufsschulen und bezahlbarem Wohnraum.“ Das von der SPD gestartete Neubauprogramm für Studierende und Auszubildende möchte sie zügig vorantreiben und die Zahl der neuen Wohnheime wesentlich erhöhen. Bettina Jarasch von den Grünen will die berufliche Ausbildung auch für Menschen mit Abitur attraktiver machen: „Wir streben eine engere Verzahnung hochwertiger dualer Berufe mit der Hochschulbildung an – dazu sollen mehr Leistungen aus der dualen Ausbildung für ein Studium anerkannt werden.“ Für den Linken-Spitzenkandidaten Klaus Lederer bleibt das Ziel, „dass alle jungen Menschen, die kein Studium aufnehmen wollen, ein Angebot für einen Ausbildungsplatz erhalten“. Und CDU-Chef Kai Wegner will die Bildungskrise auch mit der Wiedereinführung der Vorschulen und der Lehrerverbeamtung in Berlin überwinden.

Klimaschutz und Wirtschaftsverkehr

Die Klimaschutzziele sollen nach dem entsprechenden IHK-Wahlprüfstein durch eine marktwirtschaftliche Lenkung über den CO2-Preis erreicht werden. Eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung setzt auf eine Vereinfachung des bestehenden Ordnungsrechts und die engere Verzahnung von Strategien und Maßnahmen mit Brandenburg. Das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 muss sein Potenzial durch effiziente Managementstrukturen ausschöpfen können. Und weil sich der Wirtschaftsstandort Berlin durch eine Vielzahl von Unternehmen auszeichnet, die innovative Lösungen für Energiewende und Ressourcenschutz entwickeln, sollte ein Cluster Green Economy geschaffen werden. Multimodaler Verkehr schont das Klima und schafft mehr Kapazität für den Wirtschaftsverkehr – dafür braucht es mehr Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), sichere Rad- und Gehwege, neue Mobilitätsangebote und aktives Parkraummanagement, zudem Autobahn- und Brückensanierung, Lieferzonen, Mikrodepots, E-Ladeinfrastruktur, Baustellenkoordinierung und die Tangentialverbindung Ost. Straßennetze und Straßenräume müssen für ein sicheres Neben- und Miteinander von Wirtschaftsverkehr und Umweltverbund umgestaltet werden. Im Schwerverkehr soll es eine Fokussierung auf Wasserstoff geben, und das seit vielen Jahren angekündigte Integrierte Wirtschaftsverkehrskonzept sollte endlich verabschiedet werden. „Die Berliner CO2-Emissionen konnten bis 2019 bereits um über 40 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden“, sagt Lutz Wedegärtner, Leiter der Berliner Niederlassung der Remondis GmbH & Co. KG und Vorsitzender des IHK-Ausschusses Umwelt und Energie. „Einen maßgeblichen Beitrag hat dabei die Berliner Wirtschaft geleistet – mit immensen Klimaschutzinvestitionen der großen Infrastrukturbetreiber sowie dem Engagement der gesamten Unternehmensbreite aus Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen.“ Für den Mobilitätsexperten Tino Richter, Geschäftsführer der ORES Verwaltungsgesellschaft mbH und Mitglied im IHK-Branchenausschuss Verkehr, hätte eine Ausweitung des ÖPNV die Kraft, den Individualverkehr gerade in der Innenstadt zu senken, um den Wirtschaftsverkehr besser fließen zu lassen. „Die Tangentialverbindung Ost soll künftig als kreuzungsarme Schnellstraße Marzahn-Hellersdorf mit Köpenick und Adlershof verbinden“, sagt Richter. „Der geplante Trassenbau ist allerdings umstritten. Während die einen argumentieren, durch die Umlenkung des Verkehrsstroms Wohngebiete zu entlasten und Staus zu reduzieren, befürchten andere eine schleichende Verlegung des Verkehrsstroms weg vom nordöstlichen Berliner Ring mitten durch die Stadt über die Tangente.“ Während Franziska Giffey (SPD) und Klaus Lederer (Linke) auf einen sozialverträglichen Strukturwandel setzen, plädiert FDP-Mann Sebastian Czaja für einen CO2-Preis, den der Markt bestimmt und der nicht vom Staat gesetzt wird. AfD-Politikerin Kristin Brinker lehnt dagegen „die De-Industrialisierung unseres Landes unter dem Deckmantel eines sogenannten Klimaschutzes“ ab und ist auch gegen den massenhaften Umstieg auf Elektrobusse. Stattdessen müsse der ÖPNV massiv ausgebaut werden. „Wir setzen dabei insbesondere auf U-Bahn-Neubauprojekte, da U-Bahnen die meiste Fahrgastkapazität bieten und vom Verkehrsgeschehen im Straßenland entkoppelt und somit sehr störungsarm betrieben werden können.“ Im Bereich Mobilität will die FDP auch innovative Verkehrssysteme berücksichtigen: „Urbane Seilbahnen, automatisch verkehrende People Mover, Monorails – also Einschienenbahnen, die auf oder unter einzelnen schmalen Fahrwegen fahren – oder superschnelle Hyperloop-Verbindungen im überregionalen Personen- und Güterverkehr könnten bei künftigen Infrastrukturinvestitionen als Alternativen ernsthaft in Betracht gezogen werden“, so Sebastian Czaja. Weder für ihn noch für den CDU-Kollegen Kai Wegner kommt eine City-Maut infrage, um den Individualverkehr in der Innenstadt zu reduzieren.
von Almut Kaspar
IHK-Check zur Berlin-Wahl
Die Wahlprüfsteine der IHK Berlin zur Wahl am 26. September sowie
die ausführlichen Positionen und Pläne der Spitzenkandidaten der sechs im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien – Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Grüne), Dr. Klaus Lederer (Linke), Kai Wegner (CDU), Sebastian Czaja (FDP) und Dr. Kristin Brinker (AfD) – online unter:
ihk-berlin.de/wahlpruefsteine
Kandidaten treffen
Bis zur Abgeordnetenhauswahl plant die IHK Berlin diverse Wahlveranstaltungen, darunter Bezirksveranstaltungen sowie Wahlarenen zu fachlichen Themen und mit Spitzenkandidaten aus Land und Bund. Registrierung unter: ihk-berlin.de/wahlinteresse