„Emotionale Kompetenz ist wichtig – und nachgewiesen erlernbar.“

Arbeitgeber möchten ihren Mitarbeitenden mit größtmöglicher Flexibilität, was Arbeitszeit und -ort angeht, entgegenkommen. Können sie dadurch auch das psychische Wohlbefinden der Mitarbeitenden fördern?
Flexibles Arbeiten bedeutet erstmal, dass ich Handlungsspielraum habe – also in gewissen Grenzen selbst entscheiden kann, wann ich welche Aufgabe erledige, und/oder wo. Das hat grundsätzlich einen sehr positiven Einfluss auf die Gesundheit, denn Kontrollerleben ist für nahezu alle Säugetiere ein Resilienzfaktor und gesundheitsförderlich. Im Umkehrschluss
kann man sagen: e höher die Anforderungen einer Aufgabe sind und je geringer der mit deren Bearbeitung verbundene persönliche Handlungsspielraum, also umso weniger ein Gefühl der persönlichen Kontrolle besteht, desto höher ist auf Dauer das Risiko von Demotivation und Krankheit. Ein gefühlt größerer Handlungsspielraum und mehr Kontrolle kann jede subjektive Arbeitsbelastung verringern und die Motivation und Kreativität fördern.
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass ein zu starrer Rahmen beziehungsweise ein zu enges Regelkorsett im Job einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden haben?
Es gibt Menschen, die können gut in einem festen Rahmen arbeiten und möchten das auch. Wir sind nicht alle gleich. Aber evidenzbasiert und auf der Basis vieler Studien kann man als Faustregel sagen: Mehr Handlungsspielraum, mehr Gesundheit. Eines ist mir besonders wichtig: Wir sind unser Körper! Bis zu 70 Prozent aller seelischen Erkrankungen und Belastungen äußern sich initial körperlich. Das ist wichtig zu wissen, denn: Schlafstörungen, der Bandscheibenvorfall, die Migräne, der Rückenschmerz oder Magenbeschwerden, die einfach nicht weggehen wollen – ein guter Teil davon ist stressassoziiert, und viele Menschen wissen das nicht. Man geht eher mit dem Rückenschmerz zum Arzt und denkt gar nicht unbedingt darüber nach, wann das angefangen hat und was in der Zeit vorher eventuell Wichtiges geschehen ist. Wenn ein Mensch aber Zusammenhänge zwischen der Veränderung persönlicher Lebensumstände und dem Auftreten von körperlichen Beschwerden miteinander in Verbindung bringen kann, eröffnen sich oft ganz neue Möglichkeiten, aus eigener Kraft auch wieder beschwerdefrei zu werden.
Welche Konsequenz sollten Unternehmen daraus ziehen?
Gerade aufgrund der aktuell vielen herausfordernden Entwicklungen wie Digitalisierung vielen Betrieben eine große Notwendigkeit zu Transformation. In einem BMBF-finanzierten, klinischen Forschungsprojekt für Führungskräfte haben wir erneut gelernt, dass gerade Führungskräfte in kleinen und mittleren Unternehmen oft besondere Verantwortung tragen, unter anderem, weil sie nicht selten keine großen Unterstützungsstäbe haben und den Folgen des Transformationsdrucks ungefiltert ausgesetzt sind. Eine Lehre aus dem Projekt ist, gerade bei der Selbst-Steuerungsfähigkeit und Gesundheit dieser Führungskräfte anzusetzen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Hebel zur eigenen Resilienz jede einzelne Führungskraft erlernen kann. Die Chefs sollten bei sich selbst anfangen und sich fragen: Geht es mir eigentlich selbst – auch körperlich – gut? Und dann auch lernen gegenzusteuern, wenn sie merken, dass sie an der Grenze ihrer seelischen und körperlichen Belastbarkeit sind Denn wenn ein Chef seine eigenen Belastungen im Griff hat, dann strahlt das auf die anderen auch ab. Das ist ein wichtiger Einflussfaktor für die gesamte Organisationskultur.
Worauf kann eine Führungskraft achten, um die Bedürfnisse des einzelnen Mitarbeiters zu erkennen und richtig einzuschätzen?
Für die Mitarbeitenden ist entscheidend, dass ein Klima der psychologischen Sicherheit herrscht: Das bedeutet, die Mitarbeitenden sollten das Gefühl haben, offen über das sprechen zu können, was ihnen auch im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen durch den Kopf geht, was sie Kraft kostet und was sie sich anders wünschen. Das wird dann nicht immer, aber manchmal zu beeinflussen sein. Diese Kultur der psychologischen Sicherheit – „Ich darf am Arbeitsplatz sagen, was mich beschäftigt, auch wenn es eventuell unangenehm ist“ – ist nach vielen Studien ein wichtiger Einflussfaktor für die Gesundheit der Teammitglieder und auch für den Erfolg des Teams bei der Bearbeitung der gemeinsamen Aufgabe.
Wer sich sicher fühlt, äußert seine Ideen auch …
Genau, und die Gruppe ist meistens stärker als der Einzelne. Um diese „Kraft“ zu aktivieren, braucht es den offenen Austausch als Grundlage für die Entscheidungsfindung durch die Vorgesetzen. Solche Fragestellungen sind ein Beispiel für das, was uns forschungsmäßig beschäftigt: Entwicklung und Evaluation von in der betrieblichen Praxis hilfreichen Interventionen am Arbeitsplatz. Oft heißt das, „Werkzeuge“, die wir in der Behandlung unserer Patienten nutzen, in veränderter Form für den betrieblichen Alltag nutzbar zu machen: Dabei geht es viel um gelingende Kommunikation, Konfliktlösung, Team- und Vertrauensbildung. Dies setzt Kräfte frei für die persönliche Gesundheit und die bestmögliche Bewältigung einer gemeinsamen Arbeitsaufgabe, letztlich für die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit.
Haben Sie einen Tipp, den Sie Unternehmerinnen und Unternehmern mitgeben möchten?
In Betrieben ist das rationale und sachbezogene Denken oft führend, was natürlich auch komplett Sinn macht. Aber auch im Hinblick auf Mitarbeiterführung und das Miteinander in der täglichen Arbeit sind es oft kleine emotionale Momente, die ausmachen, ob jemand bleibt oder geht, ob er oder sie Lust hat mitzuarbeiten, oder sich zurückzieht. Das hat schon der kürzlich verstorbene Nobelpreisträger Daniel Kahneman mit „Thinking fast and slow“ beschrieben. Deshalb ist es wichtig, als Führungskraft eine Sensibilität für solche emotionalen Schwingungen zu entwickeln, um das mitzubekommen. Emotionale Kompetenz ist am Ende privat wie beruflich wichtig – und sie ist nachgewiesen erlernbar.
Interview: Christin Krauß