Führung in der hybriden Arbeitswelt

Mit der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen breiten Einzug von mobiler Arbeit in viele digitalisierbare Tätigkeitsbereiche ist mobile Arbeit im Wechsel mit Arbeit in Büropräsenz breite Realität geworden.
Weitgehend wird heutzutage nur noch über das „Wie“, nicht mehr über das „Ob“ hybrider Arbeitswelten gesprochen. Sehr viele Arbeitgeber haben nach Beendigung der Corona- Krise damit begonnen, das „Neue Normal“ in der Gestaltung ihrer Arbeitswelt umzusetzen. Ausgestattet mit Betriebsvereinbarungen und mehr oder minder strikten Regeln, wieviel von wo aus gearbeitet wird. Allein: Der große, nach der Pandemie erwartete Strom der Mitarbeitenden zurück ins Büro – er findet vielerorts nicht statt. Auslastungs- und Belegungsquoten von 10 bis 20 Prozent sind zumindest an manchen Wochentagen keine Seltenheit.

Implikationen der Hybridität auf Führungsarbeit

Führung über Distanz verändert Anforderungen an und Möglichkeiten von Kontaktaufnahme, die Gelegenheiten direkter Beobachtung und Betreuung von Mitarbeitenden durch die Führungskräfte, die unkomplizierte Umsetzung auch informeller Kontakte und die Rahmenbedingungen von Koordination, Delegation und Leistungsüberprüfung beziehungsweise Feedback. Recht einhellig ist die Feststellung, dass Führung in der Hybridität insbesondere die zeitlichen Aufwände für Kommunikation aus Sicht der Führungskräfte nach oben treibt. Das bedeutet: mehr Zeitaufwand, Veränderungsstress für die Führungskräfte und die Mitarbeitenden aufgrund neuer Umgebungen. Im Zweifel wird zu wenig kommuniziert. Denn noch immer erscheint es nicht angemessen, „einfach so“ mal anzurufen, um nachzufragen, wie es so läuft – im täglichen Miteinander des gemeinsamen Büros war dies ausgesprochen niederschwellig und „nebenher“ möglich. In vielen Befragungen wird sowohl Mitarbeitenden als auch Führungskräften eine ungebrochen positive Einschätzung der persönlichen beziehungsweise mitarbeiterseitigen Produktivität konstatiert – die mindestens gleichgeblieben, teilweise sogar gewachsen und nur in sehr wenigen Fällen rückläufig sei. Gleichzeitig aber lassen sich Effekte feststellen, die wir unter dem Sammelbegriff der „sozialen Erosion“ zusammengefasst haben. Dazu gehören Effekte wie eine abnehmende Bindung, ein schwierigeres Onboarding, weniger Zutrauen in das Engagement der Kollegen.

Bewältigungsstrategien für den Umgang mit der hybriden Führungssituation: Aufbau von Führungspräsenz

Mit Blick auf die unleugbaren Veränderungen und Herausforderungen für Führungsarbeit haben wir gemeinsam mit vielen Praxispartnern geeignete Vorgehensweisen und Handlungshilfen für diese Gruppe erarbeitet. Definiert wurden vier Anforderungsbereiche, denen sich Führungskräfte in der hybriden Arbeitswelt stellen müssen:
  • Vertrauen: die Fähigkeit, vertrauensorientiert zu führen und selbst auch Vertrauen von den Mitarbeitenden zu erhalten;
  • Empathie: die Fähigkeit, empathisches Verhalten zu entwickeln, ohne die notwendige professionelle Distanz zu verlieren;
  • Führungspräsenz: die Fähigkeit, auch über Distanz, in hybriden Situationen echte Führungspräsenz zu zeigen und
  • Wahrnehmung, Information, Kommunikation: die Fähigkeit, über verschiedenste Medien adäquat zu kommunizieren und zu moderieren, Menschen einzubinden, sowie die Selbstreflektionsfähigkeit, das eigene Wahrnehmungsverhalten mit Blick auf die veränderten räumlichen und medialen Gegebenheiten anzupassen.

Welche Rahmenbedingungen für die Führungsarbeit in der hybriden Arbeitswelt es sonst noch braucht

Wirksame Führung findet in faktisch implementierten Führungssystemen statt. Zu betrachten sind also auch Rahmenbedingungen und „Spielregeln“, die das Handeln der Führungskräfte strukturieren oder gar determinieren: Führungssysteme, die sich im Fall wirtschaftender Unternehmen, zum Beispiel über Zielvereinbarungs- und -bewertungssysteme, formalisierte Entwicklungsrahmen der Mitarbeiterentwicklung, Anreizsysteme, Führungsspannen oder auch Kommunikationsroutinen und -kulturen, zum Ausdruck bringen und wirksam sind für Motivation und Verhalten der Führungskräfte. Bilden sie nicht das ab, was an Führungshandeln und prioritären Handlungsansätzen von Seiten der Unternehmensleitung gewollt ist, werden sich Führungskräfte nicht so verhalten.
Ein Beispiel: Die Formel „Mitarbeiter sind unsere wichtigste Ressource“ wird häufig verwendet. Wenn es dann aber in der Beurteilung der Leistung von Führungskräften keine Rolle spielt, ob diese gut für die Entwicklung und Gesundheit ihrer Mitarbeitenden sorgen, dann wird das tatsächlich gezeigte Verhalten der Führungskräfte dieser Maxime nur eingeschränkt entsprechen. Bisher folgen klassische Bewertungssysteme ganz überwiegend ertrags- und gewinngesteuerten Kennzahlen und Bewertungsverfahren.

Das Unternehmen als sozialer Ort braucht Engagement von allen

Ein Zurück zur Arbeitswelt mit selbstverständlicher Präsenzorientierung wird es nicht geben. Selbst wenn nicht zu übersehen ist, dass die Bemühungen für ein „Zurückholen“ größer werden, wird schon allein die parallel stattfindende weitergehende zeitliche Flexibilisierung die Herausforderungen für Führung und Zusammenarbeit eher wachsen lassen. Wir werden uns aktiv damit auseinandersetzen müssen, wer für das Ziel eines motivierenden und leistungsfähigen Miteinanders am Arbeitsplatz welchen Beitrag leisten kann.
Dr. Josephine Hofmann, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart