Bisher viele Strategien, aber noch wenig Konkretes
Bereits im Januar hat die Europäische Kommission den Worten ihrer Präsidentin erste Pläne folgen lassen und den „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ vorgestellt. Dieser soll Orientierung geben, um konkrete Maßnahmen an drei Zielen auszurichten: Innovationslücken zu China und den USA schließen, Abhängigkeiten verringern sowie Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit zusammenführen. Um insbesondere Letzteres zu fördern, folgte im Februar die Veröffentlichung des Clean Industrial Deal – ein weiteres Zeichen der Kommission dafür, dass die Wirtschaft eine wichtige Priorität unter von der Leyen II sein soll. Zusätzlich folgten Aktionspläne für bezahlbare Energie, für die Automobil-, die Stahl- und Metallindustrie sowie ein Weißbuch zur Verteidigung und eine Strategie zur Krisenvorsorge mit industriepolitischen Schwerpunkten.
Der Clean Industrial Deal zeichnet das Bild einer zukünftigen europäischen Industrielandschaft. Dabei basieren deren zentrale Elemente neben bezahlbaren Energiepreisen und neuen Märkten für klimaneutrale und recycelte Produkte auch auf einem erleichterten Zugang zu Finanzen, Rohstoffen und Talenten. Diese Ziele sind in vielen Teilen richtig, am Ende jedoch bleibt die Art und Weise der Umsetzung entscheidend. Denn nur wenn die EU es schafft, ihre Maßnahmen technologieoffen, kohärent und bürokratiearm sowie vor allem kostengünstig und ressourcenschonend auszugestalten, können neue Gesetze – wie der für das vierte Quartal 2025 angekündigte Industrial Decarbonisation Accelerator Act oder der für 2026 vorgesehene Circular Economy Act – die Wettbewerbsfähigkeit Europas tatsächlich stärken.
Eingriffe in den Markt – Tendenz steigend
Die derzeitigen Debatten und Andeutungen in den genannten Strategien verstärken allerdings den Eindruck, dass sich die politischen Entscheidungsträger derzeit mehr und mehr einem Ansatz verschreiben, der zunehmend Markteingriffe vorsieht. Dies wäre zwar ein globaler Trend, dem sich die EU beugen würde, gleichwohl sollte finanzielle staatliche Unterstützung höchstens langfristige wirtschaftspolitische Ziele in der Anfangsphase unterstützen und entsprechend restriktiv im neuen europäischen Beihilfenrahmenwerk geregelt werden.
Zukünftige Markteingriffe beschränken sich jedoch nicht nur auf das Feld der Subventionen. Auch die handelspolitische Agenda und die Rufe nach mehr europäischer Souveränität bringen Maßnahmen ins Spiel, die die EU bei ihren Partnern immer wieder kritisiert hat. So skizziert die Kommission wiederholt die Einführung von Local-Content-Kriterien, zunehmende Investitionskontrollen, Initiativen des Reshoring oder Eingriffe in die unternehmerische Freiheit in Krisenfällen. Solche Vorgaben könnten zwar einen Beitrag zur Diversifizierung und zum De-Risking leisten, sie stärken
jedoch nicht die heimische Wirtschaft im globalen Wettbewerb. Dafür bräuchte es weiter starken politischen Willen und einen langen Atem, wie für die Vollendung des Binnenmarktes, den Abbau von Bürokratielasten und den Abschluss von Handelspartnerschaften.
Bürokratieabbau: echter Kurswechsel oder nur Nebelkerzen?
Apropos Bürokratieabbau – zeitgleich mit dem Clean Industrial Deal hat die Kommission ihre ersten Vorschläge zur Vereinfachung von bürokratischen Vorschriften vorgelegt. Im Rahmen eines Omnibuspakets möchte die Kommission insbesondere die Gesetze zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), zu den Sorgfaltspflichten (CSDDD), zum CO-Grenzausgleich (CBAM) sowie Teile der Taxonomie vereinfachen und praxisnäher gestalten. Nachdem bereits der Geltungsbeginn sowie die Umsetzungsfrist bestimmter Anforderungen verschoben wurde, gehen die Debatten mit Blick auf inhaltliche Anpassungen in die heiße Phase. Die Kommission hat mit ihrem Vorschlag einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht, jetzt liegt es an den Co-Gesetzgebern, diesen Vorschlag auch für die Unternehmen praktikabel umzusetzen. Davon unabhängig muss der Bürokratieabbau weiter systematisch und engagiert vorangetrieben werden. Es wurden weitere Omnibuspakete vorgestellt, und einige sind in der Vorbereitung – doch bisher versprechen nicht alle weitreichende Erleichterungen.
Spürbare Verbesserungen vor Ort und für alle Betriebe
Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte die Kommission eine Studie zum industriellen Niedergang in Europa. Das Ergebnis: Deutschlands Regionen sind am stärksten betroffen. Grund dafür ist, dass – neben eine hohen Industriedichte – viele Regionen vom industriellen Rückgang mehrerer Sektoren gleichzeitig betroffen sind. Eine Transformation der Industrie kann daher nur gelingen, wenn die angedeuteten Maßnahmen so umgesetzt werden, dass sie zu konkreten Veränderungen bei den Unternehmern vor Ort führen.
Dabei sollten insbesondere die komplexen Wertschöpfungsketten in Europa inklusive aller Fertigungsschritte im Blick behalten werden. Denn gerade KMUs haben unter der kleinteiligen Regulierung des Green Deal massiv gelitten und werden in den aktuellen Debatten kaum oder nur sehr wenig berücksichtigt. Um der Breite der Wirtschaft gerecht zu werden und die Transformation der Industrie aktiv zu gestalten, muss daher der Industriestandort Europa als solcher gestärkt werden. Denn wie auch die Kommission im Clean Industrial Deal betont: „Die industrielle Basis Europas ist von zentraler Bedeutung für unsere Identität und entscheidend für unsere Wettbewerbsfähigkeit.“
Thorben Petri, Referatsleiter Europäische Wirtschaftspolitik bei der DIHK in Brüssel