Pressemitteilung vom 28. April 2023

Auslandsinvestitionen in Baden-Württemberg gedämpft, aber stabil

Südwesten trotzt den Herausforderungen des Welthandels mit Bedacht

BWIHK-Vizepräsidentin Marjoke Breuning: Vertrieb von Produkten Made in Baden-Württemberg als Türöffner im Ausland

Die angespannte Lage im Welthandel ist deutlich in den Investitionsplänen der baden-württembergischen Industrie erkennbar. Zwar bleibt der Anteil der Betriebe, die Investitionen im Ausland planen, nahezu unverändert, doch die Ausgabendynamik hat im Vergleich zum Vorjahr merklich nachgelassen. Im Jahr 2023 will etwas mehr als jedes dritte Unternehmen entweder neu oder weiterhin im Ausland investieren, im Vorjahr waren es nur geringfügig mehr (0,5 Prozent). Das ist das Ergebnis der Sonderauswertung der IHK-Konjunkturumfrage, an der 1.330 baden-württembergische Industriebetriebe teilgenommen haben.
„Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, Chinas Null-Covid-Politik, Lieferketten-störungen, Energiepreissteigerungen und weltweit hohe Inflationsraten hinterlas-sen ihre Spuren“, sagt Marjoke Breuning, BWIHK-Vizepräsidentin und Präsidentin der für die Volkswirtschaft federführenden IHK Region Stuttgart. „Aufgabe der Politik ist es, gerade in einer Zeit der steigenden Energiepreise, des immensen Fachkräftemangels, der bedeutenden Kriege sowie des weltweit zunehmenden Protektionismus, die strukturellen Probleme im Inland ebenso wie die den globalen Handel hemmenden Probleme auf internationaler Ebene weiter anzugehen.“
Baden-Württemberg ist seit Jahren größter Industriestandort und exportstärkstes Bundesland. „Wichtige Schlüssel für die langjährigen Exporterfolge der baden-württembergischen Industrie sind ihre Spezialisierung, ihre Erfahrung und ihre weitverzweigte Präsenz“, so Breuning. „Denn ausländische Märkte werden über die Präsenz vor Ort gesichert oder auch hinzugewonnen.“ Das wirke sich nicht nur positiv auf die Exporte aus, sondern lasse – wenn die Rahmenbedingungen im Inland stimmen – auch die Wettbewerbsfähigkeit und die Investitionen der Muttergesell-schaften im Inland steigen.
Wegen der Höhe der eingesetzten Beträge bleibt der Anteil baden-württembergischer Industrieunternehmen, die im Ausland investieren, auch in Krisenjahren deutlich stabiler als die Exporterwartungen – und als die jeweiligen Investitionsbudgets. „Denn auch wenn der Anteil der investierenden Unternehmen hierzulande im Gegensatz zum Rückgang im gesamten Bundesgebiet konstant bleibt, planen die Betriebe mit Bedacht“, so Breuning. Deutlich weniger Südwestbetriebe weiten ihre Ausgaben aus (35 statt zuvor 49 Prozent) – und deutlich mehr planen sie zu kürzen (elf statt zuvor sechs Prozent).

Vertrieb- und Kundendienst als Hauptmotiv für Auslandsinvestitionen

Anders als im Bundestrend gewinnt in Baden-Württemberg der Auf- und Ausbau von Vertrieb und Kundendienst als Motiv für die Auslandsinvestitionen massiv an Bedeutung. „Der Vertrieb von Produkten „Made in Baden-Württemberg“ im Ausland, die Kundenberatung vor Ort und der After-Sales-Bereich sind auch in schwierigeren Zeiten gute Möglichkeiten, um in ausländischen Märkten präsent zu sein und perspektivisch neue Geschäftsfelder zu erschließen“, erklärt Breuning. 40 Prozent der Unternehmen mit Auslandsinvestitionsplänen und damit merklich mehr als im Vorjahr (34 Prozent) nennen Vertrieb und Kundendienst als Hauptmotiv – während die beiden anderen Motive etwas an Bedeutung verlieren: Die Nennungen von Produktion zwecks Kostenersparnis sinken um zwei auf 33 Prozent und die von Produktion zwecks Markterschließung um acht auf 23 Prozent.
Das zweithäufigstes Investitionsmotiv – die Produktion im Ausland zwecks Kostenersparnis – wurde von 33 Prozent der befragten Unternehmen genannt. Nach dem ersten Pandemie-Jahr setzte sich das Motiv zu Jahresbeginn 2021 mit 37 Prozent der Nennungen an die Spitze der Investitionsgründe (2021: Vertrieb/Kundendienst 33 Prozent). Im vergangenen Jahr lagen die beiden Ziele nahezu auf gleicher Höhe (34 Prozent). Neben der Reduzierung der Arbeitskosten – auch angesichts des zunehmend akuten Fachkräftemangels hierzulande – spielen bei diesem Motiv auch die Umgehung von Handelsbarrieren, die Preise und der Zugang zu Rohstoffen und Vorprodukten und die Produktion vor Ort weiterhin eine Rolle.
Die Markterschließung als Motiv für den weltweiten Auf- und Ausbau eigener Produktionsstätten verlor deutlich an Bedeutung (Rückgang um acht auf 31 Prozent).

Die  Corona-Krise, ein wirtschaftlich schwächelndes China, geopolitische Entwicklungen wie der Krieg in der Ukraine, die Einflüsse des im August 2022 verabschiedeten Inflation Reduction Act (IRA) der US-Regierung sowie der Anfang 2023 vorgelegte Green Deal Industrial Plan der EU-Kommission lassen viele Unternehmen neu bewerten, welche Märkte erschlossen und in welche Anlagen investiert werden sollen. Da es sich in der Regel um langfristige Investitionen handelt, planen die Unternehmen vorsichtig.

Die beiden erstmals abgefragten Investitionsmotive Diversifizierung von Zulieferern und Nearshoring, also die Verlagerung betrieblicher Aktivitäten ins nahegelegene Ausland, wurden trotz der massiven Probleme durch gestörte Lieferketten in den vergangenen Jahren nur von 1,4 und 2,3 Prozent der Befragten genannt.

Meistgenannte Zielregionen: Eurozone, Nordamerika und China

Mit Abstand bedeutendster Investitionsstandort für die baden-württembergische Industrie bleibt die Eurozone (stärkste Zunahme der Nennungen um 16 auf 86 Prozent). Darauf folgen Nordamerika (Anstieg um drei auf 63 Prozent), China (nur noch geringer Anstieg um ein auf 57 Prozent) und die Region Sonstige EU, Schweiz, Norwegen (Anstieg um 10 auf 54 Prozent).
Aus der Region Russland, Ukraine, Türkei, Nicht-EU-Südosteuropa ziehen sich die Unternehmen infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine dagegen zurück. Der Anteil der Unternehmen, die dort investieren wollen, bricht von 31 Prozent (im Januar 2022) auf 19 Prozent ein. Die Investitionsbudgets für die Region werden massiv zusammengestrichen (Saldo von -32 Punkten). In allen anderen Regionen steigt dagegen der Anteil der Südwestbetriebe mit Investitionsabsichten.
„Diese Ergebnisse spiegeln nicht nur den Rückzug aus Russland und eine mögliche Umlenkung dieser Investitionsaktivitäten in andere Regionen wider“, so Breuning. „Sie zeigen auch, dass die baden-württembergische Industrie angesichts der geopolitischen Verwerfungen, den Veränderungen in und um China sowie der Lieferkettenproblematik der vergangenen Jahre ihre Auslandsaktivitäten breiter aufstellt.“ Denn der Anteil der im Ausland investierenden Unternehmen unter den Befragten blieb im Vergleich zum Vorjahr nahezu gleich.

Standorte und Absatzmärkte in Europa gewinnen weiter an Attraktivität

Europa, insbesondere die Eurozone, meisterte die durch die Schocks des russischen Angriffskriegs ausgelösten Preissteigerungen und Energiekrisen im Jahr 2022 erfolgreicher als vorhergesagt. Die europäische Wirtschaft wuchs zu Jahresende schneller als die Chinas oder die der Vereinigten Staaten. Zudem waren viele Südwestbetriebe in den vergangenen drei Jahren von Lieferengpässen betroffen – und dies nicht zuletzt aufgrund von Lockdowns und Containerknappheiten in fernen Häfen wie China. Deshalb gewinnen Standorte und Absatzmärkte in Europa weiter an Attraktivität: Rund neun von zehn Südwestbetriebe (86 Prozent) mit Investitionsabsichten haben bereits Standorte in den Ländern der Eurozone oder planen diese für 2023.
Die Eurozone zementiert damit nicht nur ihren Platz als wichtigste Zielregion für die Auslandsinvestitionen der hiesigen Industrie, sondern verzeichnet damit auch den mit Abstand höchsten Zuwachs der Nennungen (+16 Prozent). Die übrigen Länder Europas (abgefragt als “Sonstige EU, Schweiz, Norwegen”) gewinnen durch diese Umstände ebenfalls weiter an Attraktivität und wurden als vierthäufigste Zielregion von 54 Prozent der Betriebe mit einem Zuwachs von zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr genannt.
Blickt man jedoch auf die geplanten Investitionsbudgets für die beiden bedeutenden Zielregionen, dann zeigt sich ein ganz anderes Bild: Gemäß dem allgemeinen Trend ist der Budgetentwicklungs-Saldo für die Eurozone von 30 auf fünf Saldenpunkte gesunken. Im Vergleich zu anderen Regionen ist dieser Wert niedrig: Die Präsenz der baden-württembergischen Industrie in der Eurozone ist zwar sehr hoch – die Budgets werden in 2023 per Saldo aber nur noch wenig aufgestockt.

Abgesehen von den Regionen „Asien ohne China“ (die von der nachlassenden Attraktivität Chinas profitiert) und Nordamerika zeigt sich die Budgetdynamik allerdings insgesamt sehr verhalten. Baden-Württembergs Unternehmen haben ihre Auslandsengagements für 2023 mit Bedacht ausgerichtet.