IHK-Umfrage: Lieferkettengesetz belastet Mittelstand stärker als erwartet
Claus Paal: Abhängigkeit des Mittelstandes von wenigen Ländern wächst
„Der Mittelstand bleibt außen vor“ – damit hatte die Bundesregierung bei der Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes geworben. Das Gesetz sei vor allem auf große, international tätige Konzerne zugeschnitten, die über die nötigen Strukturen verfügen. Eine IHK-Umfrage unter Mitgliedsbetrieben zur Lieferkettenregulierung zeichnet ein anderes Bild: Die Anforderungen ziehen sich durch alle Wertschöpfungsketten, die Umsetzung kostet viele Ressourcen, und besonders Geschäftsbeziehungen in sogenannte Risikoländer geraten ins Wanken.
Die hohen Bürokratiekosten sowie wachsende Haftungs- und Reputationsrisiken überfordern viele kleine und mittelgroße Unternehmen im Umgang mit Lieferanten aus Hochrisikoregionen – wie etwa alle Länder des globalen Südens, Vietnam, Indien oder Bangladesch. Laut Umfrage hat bereits rund ein Drittel der betroffenen Mittelständler Geschäftsbeziehungen ganz oder teilweise beendet, weitere planen den Rückzug. „Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir wollen“, sagt IHK-Präsident Claus Paal. „Damit droht das politische Ziel einer diversifizierten Lieferkette zu scheitern – und die Abhängigkeit des Mittelstands von wenigen Ländern wächst.“
An der Umfrage haben sich im August 2025 rund 480 Mitgliedsunternehmen der IHK Region Stuttgart beteiligt. Die Umfrage wirft nicht nur einen Blick auf das vor zweieinhalb Jahren gestartete deutsche Lieferkettengesetz, sondern soll auch die derzeit laufende Reformdiskussion zur EU-Lieferkettenrichtlinie CSDDD begleiten. Demnach geben zwei von fünf kleinen oder mittelgroßen Unternehmen an, durch das deutsche Gesetz mittelbar über ihre Lieferbeziehungen an die Einhaltung bestimmter Informations- und Sorgfaltspflichten gebunden zu sein. Durch die geplante Reform auf EU-Ebene dürften künftig noch mehr kleine und mittlere Betriebe betroffen sein. Claus Paal bringt es auf den Punkt: „Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz belastet besonders mittelbar betroffene kleinere und mittelgroße Unternehmen mit Bürokratie, Kosten und Haftungsrisiken. Das schwächt ihre Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Paal. „Wir brauchen deshalb eine echte Strukturreform: klare, EU-weit einheitliche Regeln, spürbare Entlastungen für kleine und mittelgroße Betriebe und keine zivilrechtliche Haftung. Nur so bleiben Lieferketten nachhaltig, ohne den Mittelstand zu überfordern.“
Deutliche Unterschiede bei der Umsetzung
Rund drei Viertel (74 Prozent) der betroffenen Unternehmen haben Maßnahmen nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zumindest teilweise umgesetzt oder planen dies. Auffällig sind jedoch die Unterschiede: Während zwei Drittel der direkt verpflichteten Unternehmen bereits weitgehend konform sind, haben bei den mittelbar betroffenen Betrieben noch über ein Drittel (34 Pro-zent) gar nicht begonnen. „Viele Mittelständler stoßen hier an ihre Grenzen – es fehlt an Ressourcen für die komplexen Anforderungen“, sagt Paal und warnt. „Kleine und mittelgroße Betriebe riskieren Wettbewerbsnachteile ge-genüber größeren Unternehmen, wenn sie – sich aus dem Lieferkettensorg-faltspflichtengesetz ergebende – Nachhaltigkeitsstandards ihrer Kunden nicht erfüllen können. Deshalb müssen wir auf europäischer Ebene für klare, verschlankte Vorgaben sorgen, damit mittelbare Betroffenheit nicht wie eine direkte Verpflichtung wirkt.“
Klagen über viel Bürokratie und hohe Kosten
Nahezu alle Unternehmen klagen über hohen Verwaltungsaufwand (95 Prozent) und steigende Kosten (88 Prozent). Hinzu kommen Probleme bei der Datenerhebung, Mehraufwände mit internationalen Zulieferern sowie Rechtsunsicherheiten und Wettbewerbsnachteile. Besonders mittelbar betroffene Betriebe leiden unter Haftungsrisiken und sinkender Wettbewerbsfähigkeit. Nur drei Prozent sehen keine Risiken.
Kritik aus der Wirtschaft – Reform in Planung
Nach massiver Kritik aus Wirtschaft und Politik – insbesondere wegen der hohen Bürokratiekosten und der Belastungen für kleine und mittelgroße Betriebe – hat die EU-Kommission Anfang 2024 eine „Omnibus-Reform“ vorgeschlagen. Sie soll die CSDDD verschlanken, vereinfachen und praxistauglicher machen. Die Umfrage-Ergebnisse zeigen: Die geplante Reform stößt bei den Unternehmen auf breite Zustimmung. Besonders kleine und mittelgroße Unternehmen fordern spürbare Entlastungen – nicht durch längere Fristen oder mildere Sanktionen, sondern durch klare Strukturreformen. Erwartet werden schlanke Informationspflichten, eine Fokussierung der Sorgfaltspflichten auf direkte Zulieferer und der Verzicht auf ein EU-weites zivilrechtliches Haftungsregime. Ebenso wichtig ist eine strikte EU-Harmonisierung, damit für alle Unternehmen die gleichen, verständlichen Spielregeln gelten.
Hintergrund zur Umfrage:
- An der Umfrage der IHK Region Stuttgart zur Lieferkettenregulierung haben 476 Mitgliedsunternehmen teilgenommen. Sie wurden zwischen dem 11. und 25. August 2025 befragt.
- Zwölf Prozent der Teilnehmenden fallen direkt in den Anwendungsbereich des LkSG
- Weitere 33 Prozent der befragten Unternehmen sind KMU, die nicht direkt in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, aber im Rahmen ihrer Lieferbeziehungen zu Großkunden mittelbar zur Einhaltung bestimmter LkSG-Pflichten verpflichtet werden.
- 55 Prozent der befragten Unternehmen sind hingegen weder aufgrund ihrer Größe noch über ihre Lieferantenbeziehungen bisher vom LkSG betroffen – in der Regel handelt es sich hierbei um kleine Dienstleistungsunternehmen mit wenigen Mitarbeitenden und überschaubarer Kundenzahl.