SECHS JUNGE UNTERNEHMEN, technisch orientiert, schon etwas gereift und deshalb im strengen Sinne keine Startups mehr. Aber gerade an ihnen lässt sich gut erkennen, was das „Ökosystem“ der Region Stuttgart ausmacht und wie der Mittelstand davon profitiert.
Es ist kein Zufall: Alle Startups, die wir hier vorstellen, beschäftigen sich mit der Digitalisierung von Unternehmen und Dienstleistungen. „Die Nähe zur Industrie und zu den technisch orientierten Hochschulen ist eine Stärke des Ökosystems in Baden-Württemberg“, sagt Adrian Thoma, Geschäftsführer der Gründermotor GmbH und selbst erfahrener Startup-Gründer. Das gilt ganz besonders für die Region Stuttgart, wo Automobilindustrie, Zulieferer und Maschinenbau mit Hochdruck an der digitalen Fabrik und am „Internet of Things“ arbeiten. Aufgabe des Gründermotors ist es, Startup-Gründungen aus den Hochschulen zu fördern und zu begleiten, an denen es in der Region noch etwas hapert. Dass neue Firmen hier meist anders entstehen, zeigen unsere Beispiele.
Der Hidden Champion: Softwarehelden
Es ist alles da: Der Tischkicker, die offene Kaffeetheke, das Open-Space-Büro und die Nischen zum konzentrierten Arbeiten. Auch der Name Softwarehelden GmbH passt ins Bild. Doch dann ist Schluss mit der Startup-Romantik: Firmenchef und Gründer Ulrich Held empfängt nicht im grauen Hoodie, sondern gediegen in Hemd und Sakko. Ganz wie man es von einem ehemaligen Porsche-Entwickler auch erwarten würde.
Denn das ist typisch für Startups in der Region Stuttgart: Viele Gründer sind keine Greenhorns, sondern haben schon Erfahrung in der Industrie gesammelt, bevor sie den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, meist mit einer konkreten Idee im Kopf. So war es auch bei Ulrich Held. Als Entwickler in der Automobilindustrie wunderte er sich oft, dass manche Abläufe sehr lange dauerten. „Bei der Vorbereitung einer Fahrzeugerprobung stand das Auto teilweise wochenlang in der Werkstatt herum, weil für diesen Vorgang notwendige Informationen sehr mühsam und zeitaufwendig beschafft werden mussten.“
Held erkannte darin ein Problem bei vielen Prozessen: Wichtige Informationen sind in verschiedenen Datenbanken im Unternehmen gespeichert, die Mitarbeiter wissen aber nicht, wo sie diese finden und haben auch nicht immer Zugriff darauf. „Was man braucht, ist eine Meta-Datenbank, die alle Daten im Betrieb integriert und auf einer Benutzeroberfläche per Klick verfügbar macht.“ Held entwickelte ein solches Datenbank-System und setzte es bei Porsche ein. Der Autobauer blieb einer seiner wichtigsten Kunden, seit sich der Informatiker vor zehn Jahren abnabelte und die Softwarehelden gründete.
Die Sache ist so komplex, dass ich keinem raten kann, ein Geschäftsmodell darauf zu gründen
Die Datenplattform vermarktete Held zunächst unter dem Namen „Cleverle“. Mittlerweile heißt sie, marktgängiger und weniger schwäbisch „Cluu“. Die Unternehmen erhielten damit „einen Gamechanger“, schwärmt der Gründer, ein Tool zur umfassenden Digitalisierung des Betriebs. Der Clou – oder Cluu – ist, dass die Daten zwar zentral abgerufen werden können, aber an ihrem Speicherort bleiben, in Oracle,- SAP-, Microsoft- oder anderen Systemen. Für seine Meta-Datenbank sei das egal, betont Held. Sie integriert alles, ohne dass dafür Kopien gemacht werden müssten – und vermeidet die damit verbundenen Beschränkungen und Fehlerquellen. „Ich bekomme in drei Minuten Informationen, für die ich früher drei Tage durch die Firma laufen musste“, hätten ihm Kunden rückgemeldet.
Die Sache sei allerdings komplex, räumt er ein. „So komplex, dass ich eigentlich keinem raten kann, darauf sein Geschäftsmodell zu gründen.“ Die Geschichte der Softwarehelden legt allerdings das Gegenteil nahe. Nicht nur, dass die Firma jetzt ihr zehntes Jahr erlebt, sie hat auch noch vom ersten Tag an schwarze Zahlen geschrieben. Am Anfang half eine befreundete Unternehmerin mit einer Kapitalbeteiligung. „Danach haben wir nie mehr einen Investor gebraucht.“
Hört auf Euer Bauchgefühl. Das mache ich bis heute.
Es gäbe derzeit genug Geschäft für 100, nicht nur für 30 Mitarbeiter, sagt der Firmenchef. Allerdings: In Stuttgart ist man den Kunden aus der Automobilindustrie zwar nah, man muss aber auch mit ihren Gehältern konkurrieren. Um die „Käpsele“ für sich zu interessieren, die das IT-Unternehmen braucht, beteiligt Held seine Mitarbeiter am Unternehmenserfolg – mit Boni, die mit denen seines ehemaligen Arbeitgebers durchaus mithalten können.
Die Unabhängigkeit von Kapitalgebern ist ungewöhnlich – „und bringt eine große Ruhe rein“, so erlebt es Ulrich Held. „Man tritt mit einem gewissen Selbstbewusstsein auf, auch gegenüber den ganz Großen.“ Jungen Startup-Gründern gibt er deshalb zwei Ratschläge auf den Weg: „Wenn ihr nicht geschluckt werden wollt, schaut dass ihr möglichst schnell auf eigenen Beinen steht.“ Und, fast noch wichtiger: „Ihr solltet immer auf euer Bauchgefühl hören, das mache ich heute noch.“
Die Senkrechtstarter aus dem Stuttgarter Westen: Vialytics
Auf sein Bauchgefühl hat auch Patrick Glaser gehört. Und das sagte ihm, dem Angestelltensohn, dass er unbedingt Unternehmer werden wollte.Wie und mit welchem Geschäftsmodell, das war dem Maschinenbauingenieur allerdings noch alles andere als klar, als er nach drei Jahren bei einem oberschwäbischen Autozulieferer, bei dem er auch international Erfahrung gesammelt hatte, beschloss „etwas Eigenes zu machen.“
Zunächst galt es, zu lernen, wie man überhaupt ein Unternehmen gründet. Glaser wählte ein Aufbaustudium Innovationsmanagement an der Hochschule Ludwigsburg. Nach seinem Abschluss 2017 wurde er in das Startup-Förderungsprogramm „Activatr“ aufgenommen, hinter dem große regionale Unternehmen standen. Mit zwei Kollegen sollte er für den Energiekonzern EnBW eine innovative Geschäftsidee im Bereich des autonomen Fahrens entwickeln. Daraus wurde nichts: „Bei allen Problemen, die wir lösen wollten, zeigte sich, dass sie in der Praxis nicht entscheidend waren.“
Bei allen Problemen, die wir lösen wollten, zeigte sich, dass sie nicht entscheidend waren
Trotzdem war das Startup-Programm für Glaser „ein Glücksfall“. Denn mit seinen Mitstreitern Danilo Jovicic-Albrecht und Achim Hoth gelang ihm wenige Tage vor der Abschlusspräsentation doch noch der Durchbruch. „Wir saßen im Biergarten beim Brainstorming und spannen die Mobilitätsthemen weiter“, erinnert sich der Gründer. „Da kam uns die Idee, automatische Bilderkennung mit KI zu kombinieren und damit Straßenschäden zu identifizieren.“
Doch gab es dafür überhaupt einen Bedarf? Ein Besuch beim Straßenbauamt Ludwigsburg zeigte schnell, dass das Gründertrio ins Schwarze getroffen hatte, denn die Erfassung von Straßenzuständen und möglichem Reparaturbedarf erfolgt meist noch wie vor einem halben Jahrhundert. „Die Ämter schicken ihre Leute raus, alle Daten werden auf Papier gesammelt“, so Glaser. Manchmal fahren auch Ingenieurbüros mit speziellen Messfahrzeugen die Straßen ab. “Das ist nicht nur teuer, sondern kann auch bis zu neun Monate dauern, denn die Fotos werden im Ausland von Hand ausgewertet.” Bis die Ergebnisse vorliegen, sind sie also manchmal schon veraltet.
„Die Kommunen waren sehr offen, obwohl wir eigentlich noch gar kein richtiges Produkt anbieten konnten“, sagt der Gründer. Drei Kunden, kleinere Gemeinden, waren trotzdem bereit, sich auf das Trio einzulassen. Das bedeutete zunächst sehr viel Arbeit: Nachdem das Straßennetz abgefahren und durch Smartphone-Fotos alle vier Meter dokumentiert war, mussten die drei zunächst alle Bilder sichten und die darauf erkennbaren Straßenschäden klassifizieren. „Mit den Ergebnissen haben wir den Algorithmus zur automatischen Erkennung gefüttert, und dadurch wurde das System immer leistungsfähiger“, erklärt Glaser.
Die Kunden waren sehr offen, noch bevor wir ein richtiges Produkt anbieten konnten
Das war im Jahr 2018. Mittlerweile ist aus dem Startup Vialytics mit drei Gründern ein Unternehmen mit 85 Mitarbeitern und einer Zweigstelle in Paris geworden, das gerade in die USA expandiert. Nach der Gründung konnte das Unternehmen durch eigene Umsätze schnell wachsen. In einer ersten Finanzierungsrunde beteiligten sich der VC-Fonds der EnBW, EnBW New Ventures und ein norwegischer Risikokapitalgeber. Zuletzt stieg auch der schwedische Nutzfahrzeughersteller Scania mit 10 Millionen US-Dollar ein.
„Investoren zu finden, war nicht unbedingt einfach“, räumt Patrick Glaser ein. Seit etwa eineinhalb Jahren ist es noch erheblich schwieriger. Unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs und anderer geopolitischer Verwerfungen ist der Markt für Risikokapital praktisch zusammengebrochen. Dabei waren noch im Rekordjahr 2021 laut dem Beratungsunternehmen KPMG gut 19 Milliarden Euro in deutsche Startups investiert worden . Viele Startups nehmen deshalb Abschied von einer forcierten Wachstumsstrategie und versuchen früher als geplant profitabel zu werden. So auch Vialytics: „Wir haben den Break-even für 2024 geplant“, sagt Patrick Glaser. „Letztes Jahr hatten wir ihn noch bewusst hinausgeschoben, weil es uns wichtiger war, weiter zu wachsen.“
Schon auf der Schwelle zum Mittelstand: LaserHub
Ganz ähnlich die Entwicklung bei der Laserhub GmbH, die in Stuttgart seit 2017 in rasantem Tempo eine Online-Plattform mit Metallteilen für die Industrie aufgebaut hat. „Die Zeit des Wachstums um jeden Preis ist vorbei“, sagt Gründer und Geschäftsführer Christoph Rößner. „Ab Sommer 2024 wollen wir profitabel werden.“ Die Investoren, insgesamt vier VC-Fonds aus Deutschland und Finnland, bleiben im Boot, weitere Kapitalrunden sind aber nicht mehr zwingend geplant.
Demzufolge ist die Mitarbeiterzahl in den letzten eineinhalb Jahren von 120 auf jetzt noch 90 gesunken. Aus Frankreich hat sich Laserhub im letzten Jahr zurückgezogen und konzentriert sich jetzt ganz auf den deutschsprachigen Markt, wo das Unternehmen fast 9000 kleine und mittlere Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie aus der Metallverarbeitung zu seinen Kunden zählt. Auch wenn in Sachen Vertrieb und Kundenservice die digitalen Kanäle eine wichtige Rolle spielen, setzt Laserhub aktuell auch vermehrt auf die Erfahrung und das Wissen von Vertriebsexperten im direkten Kontakt mit den Kunden.
In die Gründung gerutscht: Invisium in Göppingen
Nicht alle Startup-Gründer erfüllen sich einen lang gehegten Traum. Stefan Zweigler zum Beispiel dachte eher an ein zweites Standbein, als er vor vier Jahren in das Unternehmen eines Bekannten einstieg, das sich mit elektronischer Bilderkennung befasste, aber in akuten finanziellen Schwierigkeiten war. „Es zeigte sich, dass sich mit dem bestehenden Geschäftsmodell nicht profitabel weitermachen ließ“, so Zweigler. Zukunft versprach aber eine Innovation: ein multifunktioneller Scanner, mit dem Euro-Paletten, Gitterboxen oder Kisten in Sekunden digital erfasst werden.
„Es ist kaum zu glauben, aber das findet bisher nirgendwo statt“, wundert sich der Gründer. Die Behälter werden, wenn überhaupt, per Sichtkontrolle erfasst, was viele Minuten dauert und Personal bindet. Ausnahme ist seit diesem Frühjahr ein Warenlager des Lebensmitteldiscounters Netto. Dort ziehen Lagerarbeiter Hubwagen mit gestapelten Obstkisten durch den mannshohen Invisium-Scanner, der mit mehreren leistungsfähigen Kameras ausgestattet ist und 3-D-Aufnahmen an einen Rechner überträgt. Über eine KI-basierte Software werden Objekte erkannt, QR-Codes gelesen, Abstände vermessen und Schrifttypen oder Herstellerlogos erkannt.
Bevor es so kam, musste Stefan Zweigler jedoch erst zum Startup-Unternehmer werden. „Es war klar, dass es nicht nebenher gehen würde, zumal mein Geschäftspartner diesen Weg nicht mitgehen wollte.“ Der Wirtschaftsingenieur kündigte seinen gutbezahlten Job bei der Diehl-Gruppe, um sich ganz seiner neuen Firma zu widmen. Er steckte nahezu seine ganzen Ersparnisse in das Projekt, einen sechsstelligen Betrag, nahm hohe Kredite auf, unter anderem bei der landeseigenen L-Bank. Nicht immer konnte der heute 43-Jährige gut schlafen, zumal er nur noch halb so gut verdiente wie bei seinem letzten Arbeitgeber und sich obendrein Familienzuwachs ankündigte. Immerhin hatte Zweigler inzwischen wieder einen Partner mit Erfahrung als IT-Unternehmer mit im Boot.
Man braucht Geduld, aber die zahlt sich aus
Um Kunden zu gewinnen, musste der Gründer „den klassischen Weg“ gehen, seine Idee in zweiminütigen Pitches auf Gründer-Events vortragen, potenzielle Interessenten auf Logistik-Messen und -kongressen ansprechen. „Man braucht Geduld“, weiß Zweigler. „Aber die zahlt sich aus.“ Mit dem Domizil im Göppinger Böhringer-Areal, wo Invisium mit fünf Mitarbeitern auf 120 Quadratmetern in der ehemaligen Druckerei als „Kellerkind“ sitzt, ist der Startup-Unternehmer sehr zufrieden, zumal er nach dem Pilotprojekt mit Netto eine weitere große Handelskette als Kunden in Aussicht hat.
Mit einer Konzernmutter im Hintergrund: Zoi
Auch das gibt es: Ein Startup, das von einem der zahlreichen Marktführer in der Region Stuttgart gegründet wurde. 2017 entschloss sich der Reinigungsgerätehersteller Kärcher aus Winnenden, einen Teil der IT-Beratungsgesellschaft ITM zu kaufen, mit der er bereits seit langem zusammengearbeitet hatte. Der neu erworbene Unternehmenszweig wird seitdem unter dem bisherigen ITM-Geschäftsführer Benjamin Hermann und dem Kärcher-Manager Dr. Daniel Heubach als selbstständiges Unternehmen geführt, das nicht nur für die Muttergesellschaft, sondern auch am Markt für Kunden wie Festo, Mahle, Scania oder Merck tätig ist.
Wegen des eingespielten Geschäftsmodells hat Zoi von Anfang an schwarze Zahlen geschrieben. „Unsere Zielkunden sind Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Umsatz“, erklärt Benjamin Hermann. Für sie entwickelt und kombiniert Zoi Cloud-basierte IT-Architekturen zur weltweiten Digitalisierung ihrer Prozesse. Genutzt werden hierbei die Cloud- Ressourcen der Internet-Riesen Amazon, Google und Microsoft. Besonders stolz sind die Stuttgarter, als eines von nur drei deutschen Unternehmen die höchste Zertifizierungsstufe bei Amazon erreicht zu haben.
Aber ist das überhaupt noch ein Startup? Was die Kultur angeht, auf jeden Fall. „Bei uns gibt es fast keine Hierarchien, und Vielfalt ist mehr als ein Lippenbekenntnis.“ Der Frauenanteil ist mit 30 Prozent ungewöhnlich hoch für die IT-Branche, die Beschäftigten stammen aus 35 Nationen. Rund 120 Zoi-Beschäftigte arbeiten in der Zentrale im Stuttgarter Gründerzentrum Wizemann-Areal, 220 weitere in den Niederlassungen in Berlin und den Ländern Spanien, Portugal, Vietnam, Mexiko und – demnächst - Rumänien.
Ziel war es, einen nerdigen Arbeitgeberin der Region aufzubauen
„Ziel war es von Anfang an, einen nerdigen Arbeitgeber in der Region aufzubauen“, so Hermann. Viele junge IT-Fachkräfte, vor allem Softwareentwickler und -entwicklerinnen, wollen gerne an der digitalen Transformation der Industrie mitwirken, ziehen aber die Freiheit einer Startup-Organisation den Konzernstrukturen vor. „Wir bieten ihnen beides“, sagt Hermann. Natürlich inklusive eines marktüblichen Gehalts.
Der Standort Stuttgart habe einiges zu bieten und sei durchaus auch für die Startup-Klientel interessant, sagt Hermann. „Das Problem ist nur, dass zu wenige davon wissen.“ Im Selbstmarketing habe sich die Schwabenmetropole eben immer schwergetan. Viel wäre nach Ansicht des Firmenchefs schon gewonnen, wenn Fachkräfte aus dem Ausland wenigstens nicht abgeschreckt würden. „Wenn die beste Informatik-Absolventin Venezuelas von der Ausländerbehörde die Aufforderung erhält, binnen drei Tagen ihr Visum zu verlängern, stärkt das nicht unbedingt die Bindung an den Standort.“
“Wiederholungstäter” aus der IT-Branche: Peakboard
Dass das „Ökosystem“ für Startups in Stuttgart unterschätzt wird, findet auch Patrick Theobald. Mit der Gründung von Theobald Software um die Jahrtausendwende war er schon Startup-Unternehmer, als der Begriff erst noch im Entstehen war. „Ich würde es immer wieder in der Region Stuttgart machen“, sagt er. „Hier sitzen die Kunden, die für B2B- Geschäfte interessant sind, und auch die Hochschulen sind super.“
Als er sein erstes Unternehmen gründete, war der gebürtige Backnanger noch Physikstudent. Seinen Abschluss hat er bis heute nicht gemacht, denn nebenbei hatte der computeraffine Student schon beim Künzelsauer Schraubengroßhändler Würth angeheuert und half bald hauptberuflich, die Logistik des Schraubenkonzerns zu digitalisieren. Das Programmieren und die Physik haben aber viel gemeinsam, so Theobald: „Man lernt, ein großes Problem in so viele kleine zu zerlegen, dass sie lösbar werden.“
Als Theobald dann sein erstes Unternehmen gründete, wandte er dieses Prinzip auf die Integration von Daten im SAPSystem an. Das gelang ihm gut. Zu seinem ersten Kunden Würth gesellten sich bald andere, die Firma expandierte nach Asien und in die USA. Um gegenüber chinesischen Geschäftspartnern besser auftreten zu können, hat Theobald sogar fließend Mandarin gelernt.
Anfang 2022 hat der Unternehmer seine erste Gründung für einen zweistelligen Millionenbetrag an einen Investor verkauft. Mit einer Ausnahme: Die Tochterfirma Peakboard. Diese war sechs Jahre zuvor als eine Art Corporate Startup gegründet worden und beschäftigt sich mit der Digitalisierung von Produktion und Logistik in Industrieunternehmen. „In Produktion und Logistik müssen die Mitarbeiter ständig mit der IT interagieren“, sagt Theobald. „Oft wird dort aber die älteste Hardware eingesetzt, die anderswo niemand mehr will, Schichtpläne werden in einer Excel-Datei eingetragen und ausgedruckt.“
In Berlin gibt es viel zu viel Ablenkung. Hier kannman sich dagegen mehr auf die Kunden konzentrieren.
Peakboard fasst den Wildwuchs in ein einheitliches System, das die Mitarbeiter per Touchscreen mit leicht bedienbarer Oberfläche nutzen können. „Unser Ziel ist es, die Bedienung so einfach zu machen wie bei einem iPhone.“ Dazu müssen Daten verarbeitet, bereinigt, vernetzt und aggregiert, neusortiert und gefiltert werden. Mit den Millionen aus dem Verkauf finanziert der Gründer die Entwicklung der nun unabhängigen Firma, die durchaus noch Kapitalzufluss benötigt.
„Das Geschäft ist technisch sehr anspruchsvoll, in vielen Fabrikhallen stehen praktisch noch historische Maschinen.“ Peakboard hat insgesamt 270 Kunden, überwiegend kleine und mittlere Unternehmen aus Süddeutschland, aber auch große Marktführer wie Mahle, Siemens, Bizerba oder Bosch. Angesichts des Potenzials ist Patrick Theobald für die Zukunft zuversichtlich. „Das Umfeld ist hier in der Region einfach ideal“, wiederholt er. Gerade auch deshalb, weil Stuttgart einen etwas weniger glamourösen Ruf hat als zum Beispiel die Startup-Szene der Bundeshauptstadt: „In Berlin gibt es viel zu viel Ablenkung. Hier kannman sich dagegen mehr auf die Kunden konzentrieren. Das entspricht ja auch
der schwäbischen Seele.“
Walter Beck, Redakteur Magazin Wirtschaft für Titelthema 9-10.2023