Infoletter Recht

Ausgabe 2/2023

11. GWB-Novelle im Bundestag verabschiedet

Am 07.11.2023 ist die 11. GWB-Novelle (Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer Gesetze, BGBl. 2023 I Nr. 294) in Kraft getreten. Bereits am 06.07.2023 hatte der Bundestag die 11. GWB-Novelle verabschiedet. Mit ihr erhält das Bundeskartellamt zusätzliche Kompetenzen. Unter anderem soll das kartellbehördliche Instrument der Sektoruntersuchung umgestaltet und ausgeweitet werden. So soll etwa das Bundeskartellamt auf Basis einer Sektoruntersuchung unabhängig von klassisch kartellrechtswidrigem Verhalten Maßnahmen gegen Unternehmen einleiten können, sofern auf bestimmten Märkten eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festgestellt wird. Gegebenenfalls soll die Wettbewerbsstörung gar Ausgangspunkt einer eigentumsrechtlichen Entflechtung sein können. Ein rechtswidriges Verhalten des Unternehmens ist dafür nicht Voraussetzung. Das Gesetz enthält zudem eine Beweiserleichterung für das Bundeskartellamt in Zusammenhang mit der Vorteilsabschöpfung bei Kartellverstößen (§ 34 Abs. 4 GWB) und die Möglichkeit des BKartA, die EU-Kommission bei der Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA) durch eigene Ermittlungen zu unterstützen.
Mit den einschneidenden Änderungen am Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beschreiten die Regierungsfraktionen einen ungewissen Sonderweg außerhalb der EU-Vorgaben. In Deutschland aktive Unternehmen müssen künftig selbst dann mit gravierenden Eingriffen des Bundeskartellamts wie Verhaltensvorgaben und Preisfestsetzungen rechnen, wenn sie sich völlig rechtmäßig verhalten. Das GWB verstärkt neben dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und den zunehmenden Investitionsprüfungen die Tendenz, rechtlich korrektes Verhalten von Unternehmen als mögliche „Hochrisiko-Aktivität“ einzustufen. Davon können gerade auch für die Klimatransformation oder die Digitalisierung relevante Märkte betroffen sein.
In einer Marktwirtschaft ist aber nicht der Staat entscheidender Garant gegen hohe Preise, sondern insbesondere ein funktionierender Wettbewerb selbst. Leider entfernt sich das neue GWB nun von diesem Ziel. Denn es setzt hiesige Unternehmen und Investoren aus Drittstaaten einem weiteren Standortrisiko aus. Daran ändern auch die beschlossenen Änderungen am Regierungsentwurf wenig. Das Bundeskartellamt kann nun sogar ohne großen Aufwand auf die Anwendung des bisherigen Wettbewerbsrechts verzichten. Es gibt zwar Fortschritte, etwa die geplante Anbindung der „Störung des Wettbewerbs“ an das Verhalten der Unternehmen und deren Bedeutung für die Marktstruktur. Die Gesetzesformulierungen bleiben aber leider zu unbestimmt. Weitere neue Anpassungen, wie die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen, sind eher selbstverständlich angesichts möglicher schwerer Eingriffe in rechtmäßig handelnde Unternehmen. Insgesamt fehlen der Novelle damit rechtssichere Vorgaben. Gravierende europarechtliche Zweifel bestehen fort.

GWB: Nach der Novelle ist vor der Novelle

Noch am Tag der Verkündung der 11. GWB-Novelle hat das BMWK die öffentliche Konsultation für eine mögliche 12. GWB-Novelle gestartet (Öffentliche Konsultation zur Modernisierung des Wettbewerbsrechts - Wettbewerb weiter stärken). Ein Entwurfstext liegt noch nicht vor.
Anhand der einleitenden Worte zur Konsultation und des versandten Fragebogens wie auch der Wettbewerbspolitischen Agenda des BMWK bis 2025 lassen sich auch ohne Entwurfstext bereits einige Themen ablesen, die vermutlich zum Gegenstand der 12. GWB-Novelle werden. Dazu gehören:
  • Neue Bewertungskriterien in der Fusionskontrolle
  • Änderungen in Zusammenhang mit der Ministererlaubnis
  • Kartellrechtliche Erleichterung von Nachhaltigkeitskooperationen (s. hierzu auch die entsprechende vom BMWK in Auftrag gegebene Studie der HHU Wettbewerb und Nachhaltigkeit in Deutschland und der EU)
  • Durchsetzung von Verbraucherschutzrecht durch das Bundeskartellamt
  • Erleichterung der Durchsetzung von Kartellschadensersatz
  • Erweiterung des Katalogs verbotener Praktiken nach § 19a Abs. 2 GWB (für Unternehmen mit überragender, marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb).
Der Fragenkatalog lässt einen stark verbraucherschutzorientierten Fokus des BMWK erkennen und einen Bruch mit der bisherigen Aufteilung – behördliche vs. privatrechtliche Rechtsdurchsetzung – befürchten: Das Bundeskartellamt soll neben der Bundesnetzagentur zu einer Verbraucherschutzbehörde unter Fachaufsicht des BMWK ausgebaut werden. Die Berücksichtigung von „Nachhaltigkeit“ bzw. „ESG“ ist ein offenes Feld, in dem es letztlich auf die Definitionen ankommen wird. Ein wesentlicher Punkt wird auch sein, inwiefern das Konzept und der Nachweis „kollektiver Vorteile“/ „out of market efficiencies“ im Verhältnis zur bisherigen Verbrauchermetrik genutzt werden.

Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie in nationales Recht

Mit Verabschiedung des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (VRUG) am 07.07.2023 hat der deutsche Gesetzgeber eine neue Klageart in Gestalt einer kollektiven Abhilfeklage geschaffen.
Das neue Klageinstrument sieht vor, dass Ansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmen gebündelt geltend gemacht und durchgesetzt werden, um so die Rechtsposition der Verbraucher zu stärken und die Justiz in Massenverfahren zu entlasten. Die DIHK hat den Gesetzgebungsprozess gemeinsam mit 13 weiteren Wirtschaftsverbänden intensiv begleitet und sich dafür eingesetzt, dass entgegen der während des Verfahrens zunehmenden Tendenz eines sehr einseitig die Verbraucher bevorzugenden Entwurfs ein Kompromiss gelungen ist, der die Interessen der Unternehmen nicht ausblendet.
Klageberechtigt sind qualifizierte Verbraucherverbände, die in die Liste nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) eingetragen sind. Die im Referentenentwurf vorgesehene Mindesteintragungsdauer von vier Jahren hat den politischen Beratungen nicht Stand halten können, sodass auch kurzfristig gegründete Verbraucherverbände klageberechtigt sein werden. Klagende Verbände müssen für die Zulässigkeit nur nachvollziehbar darlegen, dass von der Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sein können. Klagen mehrere Verbände gemeinschaftlich, genügt es bereits, wenn sie die mögliche Betroffenheit von insgesamt 50 Verbrauchern darlegen. Darüber hinaus ist der späteste Zeitpunkt für den Anschluss der Betroffenen an das Verfahren sehr spät gewählt: Er soll bis zu drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung möglich sein. Ebenfalls kritisiert hatten die Wirtschaftsverbände die geplante Einführung eines Streitwertdeckels in Höhe von 410.000 Euro. Diese Grenze wurde nun sogar auf 300.000 Euro abgesenkt.
Positiv ist aus Unternehmenssicht hingegen zu bewerten, dass die Verjährungshemmung nicht für alle potentiell betroffenen, sondern nur für jene Verbraucher eintritt, die sich auch tatsächlich zur Verbandsklage angemeldet haben. Darüber hinaus müssen die Verbände – sollten sie sich eines Prozessfinanzierers bedienen – die Finanzierungsvereinbarung offenlegen und dürfen dem Finanzierer nicht mehr als 10 % des Erstrittenen versprechen. Diese Regelungen zur Einhegung und Transparenz in der Drittfinanzierung sollen dafür sorgen, dass Sammelklagen nicht zum Investitionsobjekt profitorientierter Unbeteiligter werden.
Der deutsche Gesetzgeber hat die Verbandsklagenrichtlinie mit einiger Verspätung in deutsches Recht umgesetzt: Die Richtlinie sah eine Umsetzung bis zum 25.12.2022 und das Inkrafttreten bis zum 25.06.2023 vor. Die EU-Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland (und weitere verspätete Mitgliedstaaten) eingeleitet.

Neues einheitliches Patentsystem gestartet

Am 01.06.2023 startete bereits das neue einheitliche Patentsystem, welches aus zwei Säulen besteht: einem EU-Einheitspatent und einem Einheitlichen Patentgericht (EPG). Mit dem Einheitspatent soll es Unternehmen erleichtert werden, ihre Innovationen in Europa zu schützen und ihr geistiges Eigentum zu nutzen. Auch die Errichtung eines Mediations- und Schiedszentrum für Patentsachen ist im Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) vorgesehen. Aus Sicht der Kommission wird das Einheitspatent die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Union stärken und den Binnenmarkt für Patente vervollständigen.
Das Einheitspatent wird einen „one-stop-shop“ für die Registrierung und Durchsetzung von Patenten zur Verfügung stellen. Ziel ist es, die Kosten und bürokratischen Belastungen vor allem für KMUs zu reduzieren.  Das Einheitspatent ermöglicht es innovativen Unternehmen, ein einziges "einheitliches" Patent für ihre Erfindungen zu erhalten, das in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten gültig ist. Es wird nicht mehr notwendig sein, sich in den komplexen Regelungen von nationalen Patentgesetzen und Patentverfahren zurechtzufinden. Erhalten kann man das Einheitspatent durch einen Antrag auf einheitliche Wirkung beim Europäischen Patentamt (EPA), nachdem ein europäisches Patent gemäß den bestehenden Regeln des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) erteilt wurde.
Das neue Einheitliche Patentgericht besitzt eine Zuständigkeit bezüglich Fragen der Rechtsgültigkeit und der Verletzung von EU-Einheitspatenten sowie von klassischen europäischen Patenten. Mit dem Einheitlichen Patentgericht soll es Unternehmen ermöglicht werden, ihre Patentrechte effektiver durchzusetzen. Eine einzige Klage vor dem Einheitlichen Patentgericht wird mehrere parallele Verfahren vor nationalen Gerichten ersetzen.
Zunächst werden 17 Mitgliedstaaten, die das am 01.06.2023 in Kraft getretene Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) bereits ratifiziert haben, am Einheitspatent und am Einheitlichen Patentgericht, einem internationalen Gericht, teilnehmen. Dazu gehören Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Slowenien. Weitere EU-Mitgliedstaaten können in der Zukunft hinzukommen.
Darüber hinaus sieht das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht die Einrichtung eines Mediations- und Schiedszentrum für Patentsachen mit Sitz in Laibach und Lissabon vor. Das sogenannte „Zentrum“ stellt Dienste für Mediation und Schiedsverfahren in den dem EPGÜ unterfallenden Patentstreitigkeiten zur Verfügung. Artikel 82 EPGÜ, welcher Regelungen zur Vollstreckung der Entscheidungen und Anordnungen des EPGs enthält, gilt entsprechend für Vergleiche, welche durch die Inanspruchnahme der Dienste des Zentrums erreicht wurden – auch im Wege der Mediation. Zu beachten ist, dass in Mediations- und in Schiedsverfahren ein Patent weder für nichtig erklärt noch beschränkt werden darf.

Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen tritt in Kraft

Am 01.09.2023 trat das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in Kraft. Ratifiziert wurde das Abkommen bisher durch die Europäische Union und die Ukraine, sodass es zunächst nur zwischen diesen zwei Vertragsparteien Wirkung entfalten wird (innerhalb der EU bindet das Abkommen alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks). Weitere fünf Staaten haben das Abkommen bislang unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert: Costa Rica, Israel, Russland, die USA und Uruguay.
Ziel des Abkommens ist es, die Anerkennung und Vollstreckung zwischen den Vertragsstaaten zu vereinfachen und den multilateralen Handels- und Investitionsverkehr zu erleichtern. Die praktischen Auswirkungen werden sich jedoch aufgrund der noch sehr geringen Anzahl der Vertragsparteien zunächst in Grenzen halten. Sollten weitere Staaten – insbesondere die USA – bald nachziehen und das Abkommen ebenfalls ratifizieren, sind deutlich mehr Anwendungsfälle zu erwarten.
Das Abkommen verpflichtet Staaten, gerichtliche Entscheidungen, die in dem Staat, in dem sie ergangen, in Kraft getreten und vollstreckbar sind, in einem anderen Vertragsstaat nach den Regeln des Übereinkommens anerkannt und vollstreckt werden können. Die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung ist nur aus den im Übereinkommen selbst genannten Gründen möglich. Eine abschließende Aufzählung solcher Versagungsgründe ist Art. 7 des Abkommens zu entnehmen. Zu ihnen zählen bspw. die betrugsweise Erlangung der Entscheidung oder ein Verstoß gegen den ordre public des ersuchten Staates.
Eine erneute Prüfung der Sachentscheidung im ersuchten Staat ist nicht zulässig. Anwendbar ist das Abkommen nach Art. 1 Abs. 1 auf Zivil- und Handelssachen, nicht jedoch auf Steuer- und Zollsachen sowie auf verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Ausgenommen vom Anwendungsbereich sind auch diverse Teilgebiete des Zivilrechts, so z.B. das Familien- und Erbrecht, das Insolvenzrecht, Streitigkeiten auf dem Gebiet des geistigen Eigentums sowie Teile des Kartellrechts, vgl. Aufzählung in Art. 2 Abs. 1a) – q).
Gerichtliche Vergleiche können im ersuchten Staat wie eine Entscheidung vollstreckt werden, sofern sie auch im Ursprungsstaat in derselben Weise wie eine Entscheidung vollstreckbar sind.
Weitere Einzelheiten können Sie dem Volltext des Abkommens auf der Seite der Hague Conference on Private International Law (HCCH) entnehmen.

Richtlinienvorschlag für einen europäischen Verein

Die European cross-border association (ECBA) soll für Vereine eine zusätzliche europäische Rechtsform bieten, die grenzüberschreitende Tätigkeiten ermöglicht, aber auch voraussetzt. Die eigenständige Rechtsform der ECBA kann als juristische Person grundsätzlich von natürlichen Personen, die Unionsbürger sind oder ihren Wohnort in der EU haben, sowie von juristischen Personen ohne Erwerbszweck, gegründet werden. Zur Gründung müssen sich mindestens drei Personen zusammenschließen.
Eine ECBA ist entsprechend ihrer Satzung in mindestens zwei Mitgliedstaaten aktiv und verfügt auch über Gründungsmitgliedern aus mindestens zwei Mitgliedstaaten. Die europäische Vereinigung darf keinen Erwerbszweck haben. Gewinne sind ausschließlich für den Vereinszweck zu nutzen, vgl. u. a. Art. 3, 1 des Richtlinienentwurfs.
Ein in einem Mitgliedstaat eingetragener europäischer Verein ist in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen. Vorgaben für die Registrierung enthält u. a. Art. 20 des Richtlinienentwurfs. Nach der Registrierung erhält die europäische Vereinigung ein (auch digitales) Zertifikat, das sie in anderen Mitgliedstaaten zum Nachweis ihrer Existenz vorlegen kann, vgl. Art. 21 des Richtlinienentwurfs. Der Richtlinienvorschlag enthält zudem Mindestanforderungen an die Satzung und Governance des europäischen Vereins. Dieser hat eine Geschäftsführung sowie ein Gremium, welches die Entscheidungen trifft (Vorstand aus mindestens drei Personen), vgl. Art. 7. Darüber hinaus ist die Auflösung des Vereins in den Art. 24 ff. des Entwurfs geregelt. Bestehende Vereine nach Mitgliedstaatenrecht sollen die Möglichkeit haben, sich mittels Formwechsel zu einem europäischen Verein zu entwickeln, vgl. Art. 17 des Entwurfs. In den Artikeln 21 ff. wird die grenzüberschreitende Sitzverlegung des europäischen Vereins geregelt.
Nach Verabschiedung der Richtlinie durch Rat und Parlament sollen die Regelungen innerhalb von 2 Jahren von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden, vgl. Art. 31 des Richtlinienentwurfs.
Mit dem Richtlinienvorschlag für eine europäische Vereinigung wurde auch ein Vorschlag zur Änderung bzw. Ergänzung des Binnenmarktinformationssystems und des einheitlichen Digitalen Zugangstors vorgelegt.

EU-Kommission legt Vorschlag für neue Zahlungsverzugsverordnung vor

Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für eine Verordnung  zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr vorgelegt, die die bisherige Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7/EU ablösen soll.
Der Vorschlag der Kommission steht im Zusammenhang mit dem kürzlich aufgelegten KMU-Entlastungspaket und zielt vorrangig auf den Schutz der KMU ab. Diese seien überproportional von den negativen Folgen verspäteter Zahlungseingänge betroffen und müssten sich aufgrund der stärkeren Verhandlungsmacht häufiger unfairen Zahlungsbedingungen marktmächtigerer Unternehmen hingeben.
Mit dem Instrument der Verordnung will die Kommission ausweislich der Begründung insbesondere dem grenzüberschreitenden Aspekt des Zahlungsverzugs besser begegnen können. Damit würden die zentralen Bestimmungen zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs EU-weit einheitlich gelten und unmittelbar anwendbar sein, ohne dass es entsprechender nationaler Umsetzungsakte bedarf.
Der Entwurf sieht folgende zentrale Änderungen vor:
  • Die maximale Zahlungsfrist soll 30 Tage nicht mehr überschreiten dürfen. Bisher gültige Ausnahmen für längere Zahlungsfristen soll es künftig nicht mehr geben.
  • Im Bereich der öffentlichen Bauaufträge müssen Auftragnehmer künftig einen Nachweis erbringen, dass sie ihre ggf. beteiligten Unterauftragnehmer innerhalb der Fristen bezahlt haben und diesen Nachweis ggü. dem öffentlichen Auftraggeber spätestens zusammen mit der Zahlungsaufforderung vorlegen. Kommt er dieser Vorlagepflicht oder der Zahlungspflicht ggü. dem Unterauftragnehmer nicht nach, unterrichtet der öffentliche Auftraggeber die neu einzurichtenden Durchsetzungsbehörde des Mitgliedstaates.
  • Verschärft wird auch die Regelung zu Verzugszinsen: Der Gläubiger soll auf sein Recht, Verzugszinsen verlangen zu können, nicht mehr verzichten dürfen. Es soll darüber hinaus ein einheitlicher Verzugszinssatz von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gelten.
  • Aufgenommen wurde die Kritik unter anderem aus der Wirtschaft bezüglich der Unbestimmtheit des Art. 7 der RL: Danach sind solche Klauseln nichtig, die für den Gläubiger „grob nachteilig“ sind. Der Verordnungsentwurf benennt demgegenüber nunmehr konkrete Klauseln und Praktiken, die künftig nichtig sein sollen. Dazu zählen die Festsetzung einer Zahlungsfrist von mehr als 30 Tagen, eine absichtliche Verzögerung oder Behinderung des Zeitpunkts der Übermittlung der Rechnung etc.
  • Jeder Mitgliedstaat soll mindestens eine oder mehrere öffentliche Stelle(n) benennen, die für die Durchsetzung der Verordnung verantwortlich sein soll(en). Diese Behörden sollen weitreichende Befugnisse erhalten wie Untersuchungen (auch unangekündigt vor Ort) durchzuführen, Offenlegung von Informationen zu verlangen, Bußgelder und andere Sanktionen zu verhängen, etc. Die Durchsetzungsbehörden sollen untereinander und mit der Kommission im Wege der Amtshilfe zusammenarbeiten, z. B. bei grenzüberschreitenden Untersuchungen.  Gläubiger können bei Verstößen gegen die Zahlungspflichten Beschwerde bei den Durchsetzungsbehörden einreichen. Unbeschadet dieser Beschwerdemöglichkeit bei den Durchsetzungsbehörden sollen die Mitgliedstaaten die freiwillige Inanspruchnahme wirksamer und unabhängiger alternativer Streitbeilegungsmechanismen für Streitigkeiten zwischen Gläubigern und Schuldnern fördern.
Auf der Seite der Kommission kann der aktuelle Stand verfolgt werden.

Sonderthemen zum Digital Services Act

Delegierte Verordnung zur Methodik und zum Verfahren für die Erhebung von Aufsichtsgebühren

Nachdem das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act/DSA) in der Form von Verordnung (EU) 2022/2065 bereits im November 2022 in Kraft getreten ist, wurde im Juni 2023 die delegierte Verordnung (EU) 2023/1127 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2022/2065 durch detaillierte Methoden und Verfahren für die durch die Kommission von Anbietern sehr großer Online-Plattformen und sehr großer Online-Suchmaschinen zu erhebenden Aufsichtsgebühren im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
Um zu gewährleisten, dass die Kommission über die erforderlichen Ressourcen verfügt, um ihre Aufsichtsaufgaben auf EU-Ebene wirksam wahrnehmen zu können, hat die Kommission von den Anbietern sehr großer Online-Plattformen sowie sehr großer Online-Suchmaschinen eine jährliche Aufsichtsgebühr zu erheben. Dabei soll der Gesamtbetrag der jährlichen Aufsichtsgebühren die geschätzten Kosten decken, welche der Kommission im Zusammenhang mit ihren Aufsichtsaufgaben im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste entstehen, Artikel 43(2) DSA.
Mit dem Erlass der delegierten Verordnung (EU) 2023/1127 auf der Grundlage des Artikel 43(4) DSA hat die Kommission u.a. Regelungen:
  • zur Schätzung der jährlichen Gesamtkosten, Artikel 2 delegierte Verordnung (EU) 2023/1127;
  • zur Festlegung des Grundbetrages pro Dienst, Artikel 4 delegierte Verordnung (EU) 2023/1127;
  • zur Festlegung des Gesamtbetrages der Aufsichtsgebühr und Anwendung des maximalen Gesamtgrenzwertes pro Anbieter, Artikel 5 delegierte Verordnung (EU) 2023/1127;
  • zum jährlichen Verfahren zur Bestimmung der einzelnen Gebühren, Artikel 6 delegierte Verordnung (EU) 2023/1127, sowie
  • die Zahlungsmodalitäten und finanzielle Folgen bei Nichtbezahlung, Artikel 7 delegierte Verordnung (EU) 2023/1127,
festgelegt.
Anhang I der delegierten Verordnung (EU) 2023/1127 beinhaltet eine nicht erschöpfende Liste der operativen und administrativen Ausgaben, welche bei der Schätzung der jährlichen Gesamtkosten durch die Kommission berücksichtigt werden können, Artikel 2(2) lit. b delegierte Verordnung (EU) 2023/1127.

Pflichten großer Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen

Mit dem DSA werden die Pflichten digitaler Dienste, die als Vermittler tätig sind und Verbrauchern den Zugang zu Dienstleistungen, Inhalten und Waren zulassen, geregelt. Der DSA sieht verschiedene Sorgfaltspflichten für verschiedene Arten von Vermittlern vor, welche von der Art der Dienste, ihrer Größe und ihren Auswirkungen beeinflusst werden. Besondere Anforderungen werden an sehr große Online-Plattformen und sehr große Online-Suchmaschinen gestellt.
Auf Anbieter sehr großer Online-Plattformen und sehr großer Online-Suchmaschinen, welche als solche von der Kommission am 25. April 2023 benannt wurden, finden bereits seit dem 25.08.2023 die ihnen zusätzlich auferlegten Pflichten in Bezug auf den Umgang mit systemischen Risiken Anwendung, Artikel 33(1), (4), (6) DSA.
Dazu zählt das Ergreifen angemessener, verhältnismäßiger und wirksamer Risikominderungsmaßnahmen, welche auf die in einer durch den Anbieter durchgeführten Risikobewertung ermittelten besonderen systemischen Risiken ausgerichtet sind, Artikel 34, Artikel 35(1) DSA.
Die erste Risikobewertung für ihre Dienste hatte bereits bis zum 25.08.2023 zu erfolgen. Danach muss sie mindestens einmal jährlich durchgeführt werden, Artikel 34(1) DSA. Die bei der Risikobewertung zu beachtenden systemischen Risiken umfassen:
  • die „Verbreitung rechtswidriger Inhalte über ihre Dienste“;
  • „etwaige tatsächliche oder vorhersehbare nachteilige Auswirkungen auf die Ausübung der Grundrechte […]“;
  • „alle tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte und auf Wahlprozesse und die öffentliche Sicherheit“;
  • „alle tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt, den Schutz der öffentlichen Gesundheit und von Minderjährigen sowie schwerwiegende nachteilige Folgen für das körperliche und geistige Wohlbefinden einer Person“, Artikel 34(1) lit. a-d DSA.
Zu den Risikominderungsmaßnahmen der Anbieter sehr großer Online-Suchmaschinen und sehr großer Online-Plattformen können unter anderem gehören:
  • die „Anpassung der Gestaltung, der Merkmale oder der Funktionsweise ihrer Dienste einschließlich ihrer Online- Schnittstellen“;
  • die „Anpassung der allgemeinen Geschäftsbedingungen und ihrer Durchsetzung“;
  • die „Anpassung der Verfahren zur Moderation von Inhalten, einschließlich der Geschwindigkeit und Qualität der Bearbeitung von Meldungen zu bestimmten Arten rechtswidriger Inhalte, und, soweit erforderlich, rasche Entfernung der gemeldeten Inhalte oder Sperrung des Zugangs dazu, insbesondere in Bezug auf rechtswidrige Hetze oder Cybergewalt; sowie Anpassung aller einschlägigen Entscheidungsprozesse und der für die Moderation von Inhalten eingesetzten Mittel“;
  • die „Erprobung und Anpassung ihrer algorithmischen Systeme, einschließlich ihrer Empfehlungssysteme“;
  • die „Anpassung ihrer Werbesysteme und Annahme von gezielten Maßnahmen zur Beschränkung oder Anpassung der Anzeige von Werbung in Verbindung mit dem von ihnen erbrachten Dienst“;
  • die „Stärkung der internen Prozesse, der Ressourcen, der Prüfung, der Dokumentation oder der Beaufsichtigung ihrer Tätigkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Erkennung systemischer Risiken“, Artikel 35(1) lit. a-f DSA.
Von Anbietern sehr großer Online-Plattformen und sehr großer Online-Suchmaschinen ist eine Compliance-Abteilung einzurichten. Diese hat u.a. zu gewährleisten, dass die Risikobewertung erfolgt und entsprechende Risikominderungsmaßnahmen getroffen werden, Artikel 41(1), (3) DSA. Auch werden den Anbietern sehr großer Online-Plattformen und sehr großer Online-Suchmaschinen gesteigerte Transparenzberichtspflichten auferlegt, Artikel 42 DSA.
Kommt der Anbieter einer sehr großen Online-Plattform oder einer sehr großen Online-Suchmaschine seinen Verpflichtungen nicht nach, droht die Verhängung von Geldbußen durch die EU-Kommission in Höhe von bis zu 6 % seines im vorangegangenen Geschäftsjahr erzielten weltweiten Gesamtjahresumsatzes, Artikel 73, 74 DSA.

Einrichtung des Informationsaustauschsystems „AGORA“

Am 08.12.2023 wurde von der EU-Kommission der Entwurf einer Durchführungsverordnung über die praktischen und operativen Vorkehrungen für das Funktionieren des Informationsaustauschsystems gemäß der Verordnung (EU) 2022/2065 vorgestellt. Mit ihr wird das Informationsaustauschsystem “AGORA” für die Beaufsichtigung, Untersuchung, Durchsetzung und Überwachung gemäß des Digital Services Acts eingerichtet werden.
Gemäß Artikel 85 Absatz 1 DSA hat die Kommission ein „zuverlässiges und sicheres Informationsaustauschsystem für die Kommunikation zwischen den Koordinatoren für digitale Dienste, der Kommission und dem Gremium“ zu errichten und zu pflegen. Auch andere Behörden können Zugang zu diesem Informationsaustauschsystem erhalten, „wenn dies für die Durchführung der ihnen im Einklang mit dieser Verordnung übertragenen Aufgaben erforderlich ist“. Das Informationsaustauschsystem soll für alle Mitteilungen der Koordinatoren für digitale Dienste, die Kommission und das Gremium gemäß den Vorschriften des DSA genutzt werden, Artikel 85 Absatz 2 DSA.
Anfang Dezember 2023 hat die EU-Kommission von ihrer Ermächtigung zum Erlass von Durchführungsrechtsakten gemäß Artikel 85 Absatz 3 DSA Gebrauch gemacht. Der nun vorgelegte Entwurf für eine Durchführungsverordnung regelt die praktischen und operativen Vorkehrungen für das Funktionieren eines zuverlässigen und sicheren Informationsaustauschsystems “AGORA” für die Beaufsichtigung, Untersuchung, Durchsetzung und Überwachung gemäß des Digital Services Acts.
AGORA ist eine Softwareanwendung, die über das Internet zugänglich ist und von der Kommission entwickelt wird (Entwurf der Durchführungsverordnung, Erwägungsgrund Nr. 3).
Der Entwurf der Durchführungsverordnung, inklusive Anhänge ist bisher nur in englischer Sprache verfügbar und wurde von der EU-Kommission weder angenommen noch gebilligt. 
Bis zum 05.01.2024 können Rückmeldungen hinsichtlich des o. g. Entwurfes direkt gegenüber der Kommission abgegeben werden.

Aus der Rechtsprechung: Glühwein, ist nicht gleich Glühwein

Das Landgericht München urteilte jüngst über die zulässige Bezeichnung eines weinhaltigen Getränkes als Glühwein (LG München I, Endurteil v. 17.11.2022 – 17 HK O 8213/18). In diesem unterlag die Beklagte als Inverkehrbringer eines weinhaltigen Getränkes mit Bockbierwürze wegen unzulässiger Bezeichnung und Abänderung der geschützten Verkehrsbezeichnung. Wo Glühwein drauf steht, darf auch nur Glühwein drin sein. Wie ein Produkt als Glühwein bezeichnet werden darf bestimmt sich nach den rechtlichen Vorgaben über die inhaltliche Zusammensetzung. Der europäische Gesetzgeber legt fest, dass es sich um ein Glühwein handelt, wenn das aromatisierte weinhaltige Getränk ausschließlich aus Rotwein oder Weißwein gewonnen wurde, primär unter Zugabe von Zimt oder Gewürznelken gewürzt wurde und mit einem Alkoholgehalt von mindestens 7% aufwarten kann. Weitere EInzelheiten sind auch der Pressemitteilung des Landgerichts vom 22.11.2023 zu entnehmen.