Entsendung nach Estland

Für Unternehmen, die Mitarbeitende zur Erbringung von Dienstleistungen nach Estland entsenden, gibt es nicht nur eine Meldepflicht gegenüber den estnischen Arbeitsbehörden – auch darüber hinaus ist eine Reihe von arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Vorschriften zu beachten. Was im Einzelfall zu tun ist, muss rechtzeitig vor Beginn der Entsendung in Erfahrung gebracht werden.

1. Mitarbeiterentsendung

Die EU-Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmenden im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen wurde in Estland im Working Conditions of Employees Posted to Estonia Act (WCEPEA) umgesetzt. Nach Art. 3 Abs. 1 WCEPE liegt eine Mitarbeiterentsendung dann vor, wenn eine gewöhnlich in einem anderen Mitgliedsstaat tätige natürliche Person von ihrem Arbeitgeber vorübergehend zur Erbringung einer Dienstleistung nach Estland entsandt wird.
In der Regel sind dies Fälle, in denen Mitarbeitende zur Erfüllung eines Werk- oder Dienstvertrages in Estland tätig werden, aber auch konzerninterne Entsendungen oder Tätigkeiten im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung (bspw. über eine Agentur) sind hiervon erfasst.
Unabhängig von dem im Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber vereinbarten oder anderweitig anwendbaren Recht sind gemäß EU-Richtlinie 96/71/EG bei Entsendungen die arbeitsrechtlichen Mindeststandards im Einsatzstaat zu beachten. Die Einhaltung der Regelungen wird von den zuständigen Behörden im Einsatzstaat regelmäßig kontrolliert.
Dies betrifft gemäß Art. 5 WCEPE die Regelungen für folgende Themenbereiche:
  • Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten
  • Mindesturlaubszeiten
  • Mindestvergütung (inkl. Überstundenregelungen)
  • Arbeitnehmerüberlassung
  • Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
  • Schutz besonders schutzbedürftiger Gruppen (Schwangere, Jugendliche)
  • Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung
  • Anforderungen an vom Arbeitgeber gestellte Unterkünfte
  • Spesen- und Aufwandsentschädigungen
Neben den allgemeinen gesetzlichen Regelungen erstreckt sich das anwendbare Recht auch auf die jeweiligen Kollektivverträge. Besteht im Anwendungsbereich einer Entsendung also ein estnischer Tarifvertrag, sind dessen Bestimmungen für das entsendende Unternehmen verbindlich anzuwenden.
Hinweis: Die Vorschriften zu den Mindesturlaubszeiten und zur Gleichbehandlung gelten nicht für kurze Entsendungen (max. 8 Tage) von hochqualifizierten Arbeitnehmenden, die im Rahmen eines Liefervertrags zur Montage oder Installation einer Ware in Estland tätig werden.

Ausgenommen von dieser Erleichterung sind jedoch Arbeitnehmende deren Arbeitgeber bereits im vergangenen Jahr für die gleiche Tätigkeit Mitarbeitende entsandt hat oder für Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit Bauarbeiten stehen.

2. Arbeitsrechtliche Mindeststandards

Der allgemeine Mindestlohn in Estland beträgt aktuell 5,31 EUR pro Stunde bzw. 866 EUR pro Monat (Stand: August 2025). Damit liegt er deutlich unter den in Deutschland geltenden Mindestbestimmungen. Unabhängig davon müssen jedoch ggf. höhere Mindestvergütungen in den anzuwendenden Tarifverträgen beachtet werden.
Daneben gelten für die Vergütung von Überstunden sowie die Arbeit an Feiertagen und nachts besondere Regeln:
  • Überstundenvergütung: Nach Vereinbarung Freizeitausgleich oder 50 Prozent Lohnaufschlag
  • Feiertagszuschlag: Nach Vereinbarung Freizeitausgleich oder 100 Prozent Lohnaufschlag
  • Nachtarbeit: Nach Vereinbarung Freizeitausgleich oder 25 Prozent Lohnaufschlag – der Aufschlag für Nachtarbeit kann vertraglich ausgeschlossen werden.
Die reguläre wöchentliche Arbeitszeit liegt bei 40 Stunden und acht Stunden täglich. Die Arbeitszeit kann summarisch über einen Abrechnungszeitraum von maximal vier Monaten verteilt werden. Alle Einsatzzeiten müssen lückenlos dokumentiert werden.
Die jährliche Urlaubszeit beträgt mindestens 28 Tage.
Hinweis: Eine Übersicht über die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, die bei einer Entsendung nach Estland zu beachten sind, findet sich auf der Webseite des estnischen Arbeitsinspektorats. Dort finden sich auch die Voraussetzungen für die grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung.

3. Mitarbeiterentsendemeldung

Nach Art. 5.1 WCEPE muss für jeden nach Estland entsandten Arbeitnehmenden vor Aufnahme der Arbeit eine Meldung beim estnischen Arbeitsinspektorat vorgenommen werden. Die Meldung erfolgt online über das Meldeportal des Arbeitsinspektorats (TEIS). Änderungen der Entsendedaten wie eine Verkürzung oder Verlängerung des Einsatzzeitraums sind ebenfalls in dem Portal anzugeben.
Die folgenden Angaben müssen bei der Abgabe einer Entsendemeldung übermittelt werden:
  • Angaben zum entsendenden Arbeitgeber (Name, Kontaktdaten, Identifikationsnummer, Tätigkeitsbereich),
  • Name und Kontaktdaten einer Ansprechperson für die Behörden,
  • Anzahl, Namen, Geburtsdaten und Ausweisdokumente der entsandten Arbeitnehmenden,
  • Voraussichtliche Dauer sowie Beginn und Ende der Entsendung,
  • Daten zum Auftraggebenden bzw. zur aufnehmenden Stelle in Estland sowie deren Ansprechperson,
  • Angabe des Tätigkeitsbereichs und der Arbeitsadresse der entsandten Arbeitnehmenden.
Im Falle einer Kontrolle sind dem Arbeitsinspektorat alle notwendigen Unterlagen unverzüglich auszuhändigen. Diese werden in englischer, estnischer und russischer Sprache akzeptiert. Das Arbeitsinspektorat behält sich jedoch das Recht vor, in jedem Fall eine estnische Übersetzung anzufordern. Die Unterlagen können bis zu drei Jahre nach Beendigung der Entsendung angefordert werden.
Zu den bereitzustellenden Unterlagen gehören gemäß Art. 5.1 Abs. 4 WCEPE:
  • Arbeitsvertrag,
  • A1-Bescheinigung,
  • Arbeitszeitnachweise,
  • Lohnabrechnungen,
  • Jedes andere Dokument, aus dem sich die Einhaltung der in Estland geltenden Mindestanforderungen ergibt.
Ein Verstoß gegen die entsenderechtlichen Vorschriften kann gegen juristische Personen mit Bußgeldern bis zu 32.000 EUR geahndet werden.

4. Sozialversicherung und Lohnsteuer

Überschreitet die Entsendung eine Dauer von 183 Tagen im betreffenden Steuerjahr, so ist gem. Art. 15 Abs. 2 DBA die Einkommenssteuer ausschließlich in Estland abzuführen. Bei kürzeren Aufenthalten verbleibt die Steuerpflicht in Deutschland.
Zum Nachweis dafür, dass auf den Arbeitnehmenden weiterhin das deutsche Sozialversicherungsrecht Anwendung findet, kann zudem für Aufenthalte bis zu 24 Monaten eine A1-Bescheinigung beim zuständigen Sozialversicherungsträger bzw., auf dem SV-Meldeportal beantragt werden. Weitere Informationen finden sich in der Übersicht “Arbeiten in Estland” auf der Webseite der DVKA.
Weitere Informationen: