Sozialvorschriften – Fahrerkartentausch ohne Rechtsgrundlage

Anmerkungen zu vermeintlichen Besonderheiten in Frankreich und anderen Ländern

Einführung

Mit gewisser Regelmäßigkeit werden an uns (vor allem in Folge von Weiterbildungsschulungen im Kontext Berufskraftfahrerqualifikation) zwei Fragen mit besonderem Bezug zu Frankreich herangetragen, die recht obskuren Inhalts sind. Entweder geht es darum, ob die auf der Fahrerkarte eingetragene Nummer des Führerscheins mit der auf dem Führerschein eingetragenen Nummer identisch sein muss und deshalb infolge einer Führerscheinerneuerung auch die Fahrerkarte neu beantragt werden sollte. Wären die Nummern nicht identisch, würde das irgendeinen Betrag zwischen 500 und 1.500 Euro kosten. Davon unabhängig oder auch in der direkten Folge hinterfragen unsere Kunden, ob es denn wirklich den Tatsachen entsprechen kann, dass von französischen Kontrollbeamten allein aufgrund des Umstandes, dass der Fahrzeugführer eine CXX- oder DXX-Klasse in seinem Führerschein eingetragen hat, eine Fahrerkarte zur Kontrolle verlangt wird. Zur zweiten Frage wird von manchen Schulungsreferenten offensichtlich erläutert, dass etwa bei der privaten Urlaubsfahrt nach Frankreich mit einem nicht aufzeichnungspflichtigen Pkw mit einer zulässigen Höchstmasse von maximal 3.500 kg (also Fahrerlaubnisklasse B oder BE) dennoch eine Fahrerkarte mitzuführen und im Zweifel auszuhändigen sei. Es wird gar geraten, wenn etwa ein weiteres (gegebenenfalls auch das Fahrzeug lenkendes) Familienmitglied eine entsprechende Fahrerlaubnisklasse eingetragen hat, für diese ebenso vor Urlaubsbeginn eine Fahrerkarte zu beschaffen, auch wenn diese Person niemals ein aufzeichnungspflichtiges Fahrzeug bewegen wird.
Da beide Themen aus unsrer Sicht jeglicher rechtlichen Grundlage entbehren, diese „Gerüchte” aber relativ stark in der Wahrnehmung verankert sind und ja auch ständig aufs Neue wiederholt werden, haben wir den Versuch unternommen, Informationen hierzu zusammenzutragen und nach Möglichkeit einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten.

1. Gleichklang der Führerscheinnummer auf Fahrerkarte und Führerschein

Hintergrund der Thematik ist, dass sowohl eine Fahrerkarte als auch eine Fahrerlaubnis eine begrenzte Lebensdauer haben. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass zumindest bei jenen Fahrern, die über eine oder mehrere der CXX- oder DXX-Fahrerlaubnisklassen verfügen, diese Fahrerlaubnisklassen nach fünf Jahren ablaufen und deshalb eine Verlängerung beantragt werden muss. Jeder Einzelfallkonstellation (und vor allem Personen, die die Klasse C1E über die alte Klasse 3 erworben haben) wird diese pauschale Aussage nicht gerecht, aber zumindest für jene, die weiterbildungs- oder grundqualifizierungspflichtig nach dem BKrFQG sind, kann man das (künftig) so sagen. Wird nun also der Führerschein turnusgemäß erneuert, führt dies dazu, dass sich die Führerscheinnummer ändert. Auf der Fahrerkarte,  die zu diesem Zeitpunkt beispielsweise noch zwei Monate oder drei Jahre gültig ist, ist dann weiterhin die Nummer des alten Führerscheins eingeprägt und insofern könnte der Eindruck entstehen, dass die beiden Dokumente nicht „zueinander passen” und ein Anpassungsbedarf besteht.
Trotz intensiver Recherche in den zugrundeliegenden deutschen und europäischen Rechtsgrundlagen lässt sich zu diesem vermeintlichen Anpassungsbedarf aber keine Aussage finden. Natürlich kursieren diverse Meldungen im Internet. Eine belastbare Quelle wird dabei aber nicht genannt. Glücklicherweise ist mittlerweile auch das BAG von seiner lange Jahre online geäußerten Sichtweise abgerückt und vertritt auf seiner Webseite nicht mehr die Meinung, dass im Ausland ein freiwilliger Ersatz der Fahrerkarte im Zuge der Führerscheinerneuerung gegebenefalls notwendig sein könnte. Wohltuend ist in diesem Kontext auch, dass die obersten Behörden des Bundes und der Länder in ihren Hinweise zu den Sozialvorschriften im Straßenverkehr – Fahrtenschreiberkarten” (im Punkt 1.2.6 auf Seite 8, Stand: August 2021) mittlerweile folgendes feststellen: „Innerhalb der EU ist keine Übereinstimmung zwischen der auf der Fahrerkarte angegebenen und der auf dem Führerschein eingetragenen Führerscheinnummer erforderlich. Bei einer Änderung der Führerscheinnummer (zum Beispiel, weil dieser verlängert wird) ist die Beantragung einer neuen Fahrerkarte daher nicht notwendig.”
Da in mindestens 90 Prozent der Anfragen Frankreich als Quelle allen Übels genannt wird, haben wir Anwälte für Verkehrs-/Transportrecht, die in Frankreich tätig sind oder Fälle mit Ursprung in Frankreich bearbeiten angefragt, ob hierzu irgendwelche Informationen vorliegen. Hierzu ein Auszug aus einem Mailverkehr:
„Sie hatten uns gebeten, Ihnen mitzuteilen, ob es in Frankreich Regelungen gibt, die verlangen, dass die Nummern auf der Fahrerkarte und dem Führerschein identisch sind.
Wir haben folgendes recherchiert:
Das Dekret n° 2010-855 vom 23. Juli 2010 ist in Umsetzung der EG-Richtlinie 2009/5/EG ergangen. Es listet sämtliche Verstöße gegen die EU-Sozialvorschriften auf und regelt die jeweiligen Sanktionen.
Hinsichtlich der Fahrerkarte sind insoweit lediglich folgende Verstöße vorgesehen:
3°d) Nichtbeantragung der Ersetzung der Fahrerkarte binnen 7 Kalendertagen bei Beschädigung, Fehlfunktion, Verlust, Diebstahl
3°g) Unfähigkeit, die Fahrerkarte vorzulegen, (Anmerkung des Autors: läuft wohl auf „Fahren ohne Fahrerkarte” hinaus)
3°i) Fehlen der Nummer der Fahrerkarte oder des Führerscheins auf dem provisorischen Blatt. (Anmerkung des Autors: mit dem 'provisorischen Blatt' scheint wohl die „Bescheinigung für berücksichtigungsfreie Tage” gemeint zu sein)
Dabei handelt es sich um sogenannte Ordnungswidrigkeiten 5. Klasse, die mit einer Geldbuße von bis zu 1.500 € pro Verstoß geahndet werden können.
Die Tatsache, dass die Nummern auf der Fahrerkarte und dem Führerschein unterschiedlich sind, ist im Dekret n° 2010-855 vom 23. Juli 2010 nicht als Verstoß erfasst und es ist dafür auch keine Sanktion vorgesehen.
Unseres Wissens gibt es auch keine andere gesetzlichen oder verordnungsrechtlichen Vorschriften, die eine Identität der Nummern der Fahrerkarte und des Führerscheins verlangen.
Wir haben daher bei Chrono-Services, der Behörde, die Frankreich für die Erteilung der Fahrerkarten („carte de conducteur”) zuständig ist, angerufen.
Dort hat man uns gesagt, dass die Nummern des Führerscheins und des der Fahrerkarte selbstverständlich identisch sein müssen, ohne dass uns insoweit gesagt werden konnte, auf welchen Vorschriften diese „Selbstverständlichkeit” beruhen soll und ob bei Missachtung eine Sanktion vorgesehen ist.
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Erteilung und Benutzung der Fahrerkarte „Conditions generals de deliverance et d’usage de la carte de conducteur„, die wir über die Internetseite von Chrono-Services einsehen konnten, ist unter Artikel 2.4 « Demande d’échange » vorgesehen, dass die Fahrerkarte im Falle einer Änderung der Nr. des Führerscheins ausgetauscht werden "kann”.
Eine Verpflichtung zum Austausch lässt sich den AGB aber nicht entnehmen. Eine etwaige Verpflichtung in den AGB könnte im Übrigen den deutschen Fahrern auch nicht entgegengehalten werden.”
Auch die anderen Rückmeldungen gehen in die selbe Richtung. Den angefragten Kanzleien sind keine Bußgeldbescheide oder Gerichtsverfahren bekannt, in denen die hier behandelte Thematik eine Rolle gespielt hätte. Es bleibt also festzuhalten, dass wir es sowohl in Deutschland als auch in Frankreich mit einer Kann-Vorschrift zu tun haben. Eine Pflicht zur Erneuerung der Fahrerkarte aufgrund einer anderslautenden Führerscheinnummer lässt sich daraus nicht ableiten. Die einzigen hiermit in Zusammenhang stehenden Hinweise in einschlägigen Rechtsgrundlagen sind folgende:
  • Im Anhang IB der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 ist unter „IV. BAUART- UND KONSTRUKTIONSMERKMALE DER KONTROLLGERÄTKARTEN”, darunter Punkt „5.2.3. Führerscheininformationen” zu lesen, dass die Fahrerkarte die „Führerscheinnummer (am Ausstellungstag der Karte)” speichern können muss. 
  • In der Durchführungsverordnung (EU) 2016/799 (sozusagen der Anhang IC) wird auf Seite 54 unter Nummer 230) und auf Seite 59 unter Punkt „4.5.3.1.6 Führerscheininformationen” genauso wie im Anhnag IB festgestellt, dass auf der Fahrerkarte die „Führerscheinnummer (am Ausstellungstag der Karte)” eingetragen wird.
Daraus eine Erneuerungspflicht herauszulesen, ist schon ein besonderes Kunststück.
Situation in anderen Ländern: Auch in Österreich, der Schweiz und Italien wird ein Gleichklang der Führerscheinnummern demnach nicht verlangt! Die Rückmeldungen stammen von Behörden, Kontrollbeamten und Anwälten vor Ort.
Da es den 27 EU-Mitgliedstaaten ja (leider) freigestellt ist, zusätzliche Regelungen zu den europäischen Rechtsgrundlagen zu verfassen, stellen diese Feststellungen natürlich noch keine endgültige EU-weite Klärung des Sachverhaltes dar. Wenn es tatsächlich einen Mitgliedsstaat gibt, der eine solche Regelung (dann im Widerspruch zu der unmittelbar geltenden EU-Verordnung!!) erlassen hat, wäre zudem zu hinterfragen, ob ein deutscher Fahrer dieser nationalen Regelung unterworfen werden könnte – schließlich sind in den EU-Rechtsgrundlagen hierzu ja keine Regelungen getroffen worden, da im Kontext Erneuerung dort nur die Fälle Beschädigung, Fehlfunktion, Verlust und Diebstahl der Fahrerkarte thematisiert werden. Und würde die Regelung wie von den französischen Anwälten angedeutet nur in den AGBs der nationalen kartenausstellenden Behörde/Institution stehen, wäre eine Vorwerfbarkeit dem deutschen Staatsangehörigen gegenüber wohl nicht gegeben. Hinzu kommt, dass kein Mensch irgendetwas davon hat wenn innerhalb der Kartengültigkeit eine neue Karte erstellt wird, außer besagten kartenausstellenden Behörden/Institutionen, die den Betrag für die neue Fahrerkarte einstreichen.
Stellt sich noch die grundsätzliche Frage, weshalb auf der Fahrerkarte überhaupt eine Führerscheinnummer auftaucht. Vermutlich basiert die seinerzeit getroffene Entscheidung auf reinem Übereifer, freien Platz auf der Fahrerkarte mit tollen Angaben zu füllen. Kontrollorgane, die Ihre Arbeit gewissenhaft erledigen, werden in der Praxis bei einer Überprüfung sowieso nicht umhin kommen, einerseits im Register für Führerscheine und andererseits im Register für Fahrerkarten Nachforschungen anzustellen um festzustellen, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Vielleicht wäre es die beste Lösung, im Zuge einer Novellierung der Rechtsgrundlagen die Angabe der Führerscheinnummer von der Fahrerkarte zu tilgen. Oder vielleicht werden beide Dokumente in Zukunft ja doch noch zusammengeführt...
Sollte es also tatsächlich dazu kommen, dass Sie mit dieser Thematik konfrontiert werden, kann nur geraten werden, den Rechtsweg einzuschlagen.

2. Mitführung und Kontrolle einer Fahrerkarte ohne Rechtsgrundlage

Stellen Sie sich folgendes vor: Sie haben im Alter von 18 Jahren nicht nur den Pkw-Führerschein, sondern auch den Motorrad-Führerschein erstanden. 30 Jahre später werden Sie im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle durch die Polizei angehalten. Sie sitzen in Ihrem Auto und händigen natürlich Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere aus. Der Beamte läuft zu seinem Dienstfahrzeug zurück und prüft Ihre Dokumente. Drei Minuten später kommt er zurück und will Ihren Helm sehen! Sie schauen nur ungläubig aus Ihrem Fenster und glauben an ein Missverständnis. Aber nein sagt der Polizist - Sie haben doch einen Motorrad-Führerschein, also müssen sie auch stets einen Motorradhelm mit sich führen...
Das ist doch eine verrückte Geschichte, oder? Aber genau das (in grün) erzählen (hoffentlich nur sehr wenige) Referenten im Zuge von Berufskraftfahrerqualifikationsschulungen. Oder es breitet sich auf anderen Wegen aus. Ist auch wirklich vollkommen egal - wichtig ist: es ist und bleibt schlichter Unsinn.
Man könnte hier jetzt in aller Breite und Tiefe ausführen, warum das Unsinn ist. Aber das wäre unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit nicht statthaft. Vielleicht genügt es festzuhalten, dass wenn dieser Zusammenhang (also jetzt nicht bezogen auf die Motorradhelm-Geschichte (nachher glaubt das auch noch jemand), sondern bezüglich der vermeintlichen Notwendigkeit, bei Besitz einer CXX- oder DXX-Klasse auch eine Fahrerkarte besitzen zu müssen) tatsächlich in irgend einer Weise rechtlich gedeckt wäre, jeder Bürger der Europäischen Union, der einen solchen Führerschein besitzt (also z.B. in Deutschland alle, die vor der Reform 1999 den „alten Dreier” gemacht haben), mit einer Fahrerkarte auszustatten wäre! Und da ja wieder mal Frankreich herhalten muss, sollten natürlich auch nahezu alle Franzosen eine Fahrerkarte besitzen.
Fazit: Bitte dieses Gesäusel einfach wieder aus dem Kopf streichen. Wer den Sozialvorschriften unterliegt, hat entsprechend aufzuzeichnen und benötigt dafür, wenn auch Fahrzeuge mit digitalen Fahrtenschreibern bewegt werden, eine Fahrerkarte. Alle anderen, die den Sozialvorschriften nicht unterliegen oder die ausschließlich Fahrzeuge bewegen, die mit analogen Fahrtenschreibern ausgestattet sind beziehungsweise nur Fahrzeuge, die unter das FPersG und die FPersV fallen und bei denen mit sogenannten Tageskontrollblättern aufgezeichnet wird, brauchen mit absoluter Sicherheit keine Fahrerkarte! Ein Kontrollbeamter kann immer nur die im Moment der Kontrolle vorliegende „Gesamtsituation” zum Gegenstand seiner Kontrolle machen. Fällt das Fahrzeug gar nicht in den grundsätzlichen Regelbereich der EU-Sozialvorschriften oder unterliegt die konkrete Fahrt einer (entweder EU-weit gültigen oder im jeweiligen Land durch nationale Gesetze umgesetzten) Ausnahme, kann er keine fahrpersonalrechtliche Kontrolle durchführen.

3. Informationen zu Bußgeldern in Frankreich

Die französischen Bußgeldvorschriften gelten im europäischen Vergleich allgemein als Referenz am oberen Ende der Skala. Da es dort vermeintlich keine wie in Deutschland übliche Unterscheidung zwischen Verstößen in Tateinheit oder Tatmehrheit gibt (was bei Tateinheit die Bußgeldsumme massiv reduzieren kann), sondern jedes Einzelvergehen zum anderen Einzelvergehen hinzuaddiert wird, kommen regelmäßig sehr hohe Bußgeldsummen zustande. In den Ausführungen „Übersicht der Lenk-, Ruhe- und Arbeitszeitvorschriften sowie Bußgelder nach französischem Recht (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 83 KB)” finden Sie weiterführende Informationen dazu. Die dort genannten besonderen arbeitszeitrechtlichen Vorschriften gelten natürlich nur für Personen, die nach französischem Recht beschäftigt werden oder dort den Unternehmenssitz haben.
Schlussanmerkung: Wir lassen uns bezüglich der ersten beiden Punkte auch sehr gerne vom Gegenteil überzeugen! Wenn Sie entsprechende Dokumente (Bußgeldbescheid mit Nennung der Rechtsgrundlage) vorliegen haben, sind wir daran sehr interessiert und werden die hiesigen Äußerungen korrigieren.
Stand: Oktober 2021