IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen Jahresbeginn 2024

IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen: Wirtschaft wartet auf Wachstumsimpulse

Die Wirtschaft im Landkreis Esslingen kommt nicht in Schwung. Nach mehreren turbulenten und von Krisen geprägten Jahren ist die Hoffnung auf einen Aufschwung weiterhin sehr gedämpft. Wachstumsimpulse zu Jahresbeginn bleiben aus.
Bei den Geschäftserwartungen für die kommenden 12 Monate ist zwar eine leichte Verbesserung des Indikators zu verzeichnen, allerdings liegt dieser mit fast 12 Minuspunkten nach wie vor im negativen Bereich. 44 Prozent der Unternehmen, die eine weitere Verschlechterung erwarten, stehen nur halb so viele (22,5 Prozent) Unternehmen mit einer optimistischen Einschätzung gegenüber. Damit war der IHK-Erwartungsindikator binnen der letzten zwei Jahre nur einmal kurz zum Jahresbeginn 2023 leicht im Plus. 

Ausblick & Einschätzung der Unternehmen

Angesichts der überwiegend pessimistischen Erwartungen hielt sich der Lageindikator über die vergangenen zwei Jahre erstaunlich stabil im positiven Bereich, was zum einen darauf hindeutet, dass die schlimmsten Befürchtungen - unter anderem während der Energiekrise Ende 2022 - nicht eingetroffen sind. Zum anderen unterlag der Lageindikator vor allem in der Industrie angesichts der noch abzuarbeitenden Auftragsbestände einer zeitlichen Verzögerung. Nichtsdestotrotz deuten die Tendenz der Auftragseingänge und die Ertragserwartungen auf eine weitere Stagnation hin.

Unerfreulich ist diese Entwicklung auch deshalb, weil andere Volkswirtschaften im selben weltwirtschaftlichen Umfeld durchaus Wachstumspotenziale nutzen konnten und wieder in Schwung gekommen sind. Die hiesige Wirtschaft leidet hingegen nicht nur an ausbleibenden realen Wachstumsimpulsen, sondern auch an einer zunehmenden unsicherheitsbedingten Zurückhaltung bei Investitionen und Beschäftigung.
In der Gesamtwirtschaft liegt der Beschäftigungsindikator derzeit nur knapp unter der Nulllinie (-1,3 Prozent). Allerdings weisen bei einer Branchenbetrachtung nur noch die Dienstleister ein Plus auf. Die Industrie geht von einem deutlichen Beschäftigungsrückgang aus. Die geplanten Inlandsinvestitionen liegen mit einem Indikator von rund 3 Punkten deutlich unterhalb des langjährigen Durchschnittes und in einem Bereich, der weit von einer erhofften Aufbruchstimmung entfernt ist. Obendrein fließen die Investitionen eher in Ersatzbedarf und unverzichtbare Digitalisierung, denn in Erweiterungen der inländischen Kapazitäten.
In der Region Stuttgart spiegelt sich die konjunkturelle Zweiteilung zwischen Industrie und Dienstleistern auch in den Entwicklungen der einzelnen Kreise wider. Die Landeshauptstadt liegt mit einem Lageindikator in der Gesamtwirtschaft von rund 32 Punkten regionsweit an der Spitze. Esslingen kommt immerhin auf knapp 16 Punkte während in den benachbarten Landkreisen der Indikator teilweise im einstelligen Bereich verweilt.

Die Branchenbetrachtung zeigt, dass Esslingen hier von einem überdurchschnittlichen Optimismus der Dienstleister profitiert. Deren Lageeinschätzungen sind mit 32,5 Punkten unter den Landkreisen mit an vorderster Stelle. In der Industrie im Kreis Esslingen ist hingegen der Pessimismus stärker ausgeprägt als in der übrigen Region. Nur Göppingen hat mit einem Industrieschwerpunkt in der Metallindustrie noch stärker mit den aktuellen Herausforderungen zu kämpfen.
Für die kommenden 12 Monate deutet der Erwartungsindikator auf wenig Dynamik aus den Landkreisen hin. Denn einzig in Stuttgart kommen die Unternehmen per Saldo noch auf einen positiven Wert von rund 7 Punkten. Esslingen liegt mit fast minus 12 Punkten deutlich darunter).

Risiken

  • Nachfrageseitig ist die Sorge vor einer schwachen Inlandsnachfrage sowohl von Konsumenten als auch nach Investitionsgütern bei über drei Vierteln der Unternehmen präsent.
  • Angebotsseitig sind die Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung des Landkreises weiterhin eine Kombination aus Standortkosten und Knappheiten.
  • Fachkräfteengpässe werden noch immer von rund der Hälfte der Unternehmen beklagt. Die nachlassende Dynamik am Arbeitsmarkt sorgt hier keineswegs für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Zu groß ist die Lücke zwischen dem Bedarf der Unternehmen und den verfügbaren qualifizierten wie auch in manchen Branchen weniger qualifizierten Arbeitskräften.
  • Bemerkbar macht sich dies auch bei der Entwicklung der Arbeitskosten. Mit den jüngsten Lohnsteigerungen in Reaktion auf die hohen Inflationsraten geraten die Unternehmen unter Kostendruck. Zumal auch an anderer Stelle keine Entlastung zu erkennen ist.
  • Die Energiekosten bleiben ein zentrales Thema für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Die Rohstoffkosten sowie deren Verfügbarkeit sind zwar in der Rangfolge weiter nach hinten gerückt aber noch nicht unkritisch, zumal auch die Sorge vor erneuten geopolitischen Spannungen wieder deutlich zugenommen hat.
  • Einen deutlichen Sprung machen die Nennungen der Unternehmen beim Risiko Wirtschaftspolitik. Ein unklarer Kurs der Regierung, Unsicherheit über die Rahmenbedingungen für Investitionen und Fördermittel, kombiniert mit lähmender Bürokratie, sind zu einem erheblichen Standortrisiko angewachsen.

Industrie

  • In der Industrie bleibt die Auftragslage schwach und die Standortkosten drücken die Stimmung. Vor allem die energieintensiven Branchen (Metallindustrie, Papier, Chemie, Glas) haben zum Teil enorme Probleme.
  • Nur ein kleiner Ausgleich dafür ist die leicht anziehende Nachfrage aus dem Ausland, vor allem Asien und Nordamerika.
  • Dennoch reicht es zum Jahresbeginn gerade mal zu einem Anstieg des Lageindikators von Null auf rund 5 Punkte, was dem Niveau vom Frühsommer letzten Jahres entspricht. Dafür, dass bis vor wenigen Monaten für das Jahr 2024 noch ein zumindest moderater Aufschwung vorhergesagt wurde, ist dies ein enttäuschender Wert. 
  • Die Zahl der Unternehmen, die eine gute Lage melden hat sich gegenüber Herbst nur minimal verändert (von 27 auf 28 Prozent). Immerhin melden jetzt nur noch 23 Prozent eine schlechte Lage, 4 Prozentpunkte weniger als noch im Herbst. 
  • Leider scheint die leichte Verbesserung nur eine Momentaufnahme zu sein, denn mit Blick auf die kommenden 12 Monate haben die Industrieunternehmen per Saldo negative Erwartungen. Nur noch 18,5 Prozent der Befragten sind im Lager der Optimisten.
  • Für den Arbeitsmarkt in Esslingen und der Region sind das keine guten Vorzeichen. Daher ist auch der Beschäftigungsindikator weiter deutlich im negativen Bereich (-13 Punkte).

Handel

  • Auf Talfahrt bleibt der Handel. Ohnehin mit strukturellen und durch die Pandemie verstärkten Herausforderungen konfrontiert, liegt der Lageindikator bei minus 18 Punkten. Ein Drittel der Unternehmen meldet eine schlechte, nur gut 14 Prozent eine gute Geschäftslage.
  • Bei 40 Prozent der Unternehmen sind die Erwartungen für die kommenden 12 Monate negativ. Der Erwartungsindikator ist immer noch bei rund minus 21 Punkten, der Trend hat sich seit dem Herbst mit minus 44 Punkten immerhin deutlich abgeschwächt. 
  • Ein hohes Risiko ist im Einzelhandel weiterhin die Entwicklung der Konsumnachfrage. Auch wenn die starke Verunsicherung der Verbraucher durch Inflation und Energiepreisanstieg nachgelassen hat ist die Kauflaune noch nicht vollständig wiedergekehrt. Eventuell kann eine sonnige Fußball-EM im Sommer etwas nachhelfen.
  • Die derzeit trübe Stimmung lässt sich auch am Beschäftigungserwartungen des Handels ablesen. Trotz des nach wie vor vorhandenen Fachkräftemangels liegt der Indikator bei minus 15 Punkten. Drei Viertel der Unternehmen gehen von einem Beschäftigungsabbau aus, das übrige Viertel von einer konstanten Beschäftigung für die kommenden 12 Monate.

Dienstleistungen

  • Dass die Wirtschaft im Kreis Esslingen insgesamt die aktuelle Lage noch als überwiegend positiv sieht ist der Dienstleistungsbranche zu verdanken.
  • Dort melden immerhin 43 Prozent der Unternehmen eine gute und nur 10 Prozent eine schlechte aktuelle Lage, letztere überwiegend aus der Verkehrsbranche sowie dem Gastgewerbe. 
  • Insbesondere die Beraterbranche meldet eine überdurchschnittlich gute Lage und steigende Umsätze. Das kann angesichts der vielfältigen Herausforderungen und Bürokratiepflichten kaum verwundern.
  • Die Zahl der Unternehmen mit positiven Erwartungen ist zwar deutlich um rund 6 Punkte auf nun 27 Prozent gestiegen, der Indikator bleibt allerdings mit 6,5 Punkten im negativen Bereich.
  • Positiv äußern sich mit Blick auf die kommenden Monate derzeit ebenfalls vor allem die Beraterbranche, aber auch die Finanzdienstleister, die im aktuellen Zinsumfeld wieder bessere Erträge erzielen.
  • Nur dank der überdurchschnittlich guten Einschätzung der Dienstleister pendelt der IHK-Beschäftigungsindikator in Esslingen immerhin noch um die Nulllinie. Rund 30 Prozent Unternehmen planen mit einer steigenden Beschäftigtenzahl, einen Rückgang sehen derzeit nur gut 13 Prozent.

Fazit

  • Die regionale Wirtschaft kommt nicht vom Fleck, die Ursachen sind hausgemacht. Eine unrühmliche Rolle spielen die Wirtschaftspolitik, aber auch eine bürokratische Verwaltung. Erst wenn haushaltspolitisch klar ist, welche Rahmenbedingungen für Investitionen gelten, werden diese getätigt. Die Zeit seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts und der fehlenden Antwort der Politik darauf, waren für die Wirtschaft daher verlorene Monate.
  • Die Auftragsbücher sind vielfach abgearbeitet, daher nimmt in der Industrie die Kurzarbeit zu.
  • Impulse aus dem Ausland sind im Gegensatz zu früheren Schwächephasen keine zuverlässigen Wachstumstreiber mehr, sondern verpuffen zum Teil. Nichtsdestotrotz stammen die stärksten Impulse für die exportorientierte Industrie derzeit aus dem Ausland (Nordamerika, Asien).
  • Die hohen, auch standortspezifischen Risiken, sorgen bei den Unternehmen für massive Unsicherheit mit entsprechender Zurückhaltung bei Inlandsinvestitionen und in der Personalplanung.
  • Standortkosten spielen im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit und Kostenstruktur eine immer größere Rolle, auf die mehr und mehr Betriebe mit Stellenstreichungen und auch Verlagerungen reagieren.
  • Der Arbeits- und Fachkräftemangel bleibt dennoch als strukturelles Problem erhalten, wie auch die Risikoeinschätzung der Unternehmen deutlich belegt.
  • Immerhin scheint mittlerweile auch die Politik realisiert zu haben, dass die Probleme des Wirtschaftsstandorts Deutschland konsequent angegangen werden müssen und Wohlstand nicht vom Himmel fällt.
  • Forschung und Entwicklung bleiben weiterhin auf einem hohen Niveau.