12. Juli 2023

Lieferkettengesetz torpediert seine eigenen Ziele

Die IHK Schwaben warnt vor weitreichenden Folgen des geplanten EU-Lieferkettengesetzes, das nach Vorstellung des Parlaments noch schärfer ausfallen könnte. „Die Achtung der Menschenrechte und der Schutz der Umwelt sind der stark exportorientierten Wirtschaft in Bayerisch-Schwaben wichtige Anliegen“, sagt IHK-Präsident Gerhard Pfeifer.
„Doch das Gesetz ist in seiner vorliegenden Form nicht verhältnismäßig. Es wird den Rückzug der heimischen Wirtschaft aus verschiedenen Regionen der Welt befördern.“ Pfeifer stützt sich dabei auf die Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz, das seit Jahresbeginn gilt. Laut einer IHK-Umfrage plant fast ein Viertel aller betroffenen Unternehmen, sich aus Risikoländern zurückzuziehen oder Handelsbeziehungen abzubrechen.
Zuletzt hat das EU-Parlament seine Position für die weiteren Verhandlungen beschlossen. Damit liegt ein dritter und weitreichender Entwurf für ein europaweites Lieferkettengesetz auf dem Verhandlungstisch. Vor allem der Kreis der Unternehmen, für die die Regelungen gelten, könnte demnach deutlich größer werden als ursprünglich gedacht. In Bayerisch-Schwaben wären direkt mehr als 400 international tätige Unternehmen betroffen. „Die Erfahrung zeigt, dass auf deutlich mehr Unternehmen enorme Dokumentationspflichten und höhere Kosten zukämen“, warnt der IHK-Präsident. Denn auch Vertragspartner – unabhängig von deren Unternehmensgröße – müssten Erklärungen abgeben und gleichzeitig ihre Lieferanten überprüfen. „Das zieht die Überprüfung hunderter Geschäftspartner nach sich“, sagt Pfeifer. „Es wird zu einem Kaskadeneffekt kommen, der einen Großteil unserer Mitgliedsunternehmen erfasst.“
90 Prozent der Unternehmen beklagen bürokratischen Aufwand
Ihnen drohen nicht zur zusätzliche Auflagen, sondern auch rechtliche Unsicherheiten und Haftungsrisiken. Das belegen die Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz, das deutlich moderater ausfällt als die geplante EU-Richtlinie. Selbst das nationale Gesetz stellt die Unternehmen vor Herausforderungen, wie die Ergebnisse der IHK-Umfrage zeigen. Mehr als 90 Prozent der Befragten aus Bayerisch-Schwaben klagen über den bürokratischen Aufwand. Die unklaren und nicht praxistauglichen Vorgaben sowie die entstehenden Kosten sind für jeweils 76 bzw. 71 Prozent problematisch. „Die Verantwortung der Wirtschaft für Menschenrechte und Umweltstandards steht außer Frage“, betont der Pfeifer. „Aber wir dürfen die Unternehmen nicht instrumentalisieren, um eine Wertetransformation zu realisieren, die die Politik nicht zu leisten in der Lage ist.“
Gesetz führt zu Rückzug aus bestimmten Regionen dieser Welt
Rund 3.000 Unternehmen in Bayerisch-Schwaben sind derzeit auf internationalen Märken aktiv. „Für einen Teil von ihnen könnte dieses Gesetz den Ausschlag geben, Länder mit schwachen Steuerungs- und Regelungsstrukturen komplett zu verlassen“, sagt Pfeifer. „Damit würden dort nicht nur Arbeitsplätze verlorengehen, gute Aufbauarbeit des deutschen Mittelstands würde schwinden. Denn viele der Firmen haben in betroffenen Ländern höhere Standards etwa bei Produkten, Prozessen oder in der Arbeitssicherheit etabliert. Das Gesetz torpediert damit seine eigenen Ziele.“ Dass die Sorge durchaus begründet ist, belegt die Umfrage zum deutschen Lieferkettengesetz: Ein Viertel der Unternehmen gibt an, das Engagement in bestimmten Regionen der Welt bereits zu überprüfen.
EU-weite Regelung ist sinnvoll, aber nicht in dieser Form
Der vom EU-Parlament eingebrachte Entwurf sieht vor, dass alle in der EU ansässigen Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro sowie für Muttergesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über 150 Millionen Euro vom Lieferkettengesetz betroffen sein sollen. Das nationale Lieferkettengesetz greift aktuell erst bei Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern, nach einer Übergangsfrist ab 2024 dann ab 1.000 Mitarbeitern. Auch bei der Frage der betroffenen Branchen und der zivilrechtlichen Haftung geht das EU-Gesetzesvorhaben weit über die nationalen Regelungen hinaus. „Eine EU-weite Regelung ist zugunsten der Wettbewerbsgleichheit in Europa der richtige Weg“, betont Pfeifer. „Wir sehen aber großen Nachbesserungsbedarf, damit das Gesetz die heimische Wirtschaft nicht zusätzlich belastet und in Drittländern einen gegenteiligen Effekt hat.“
Pragmatischere Lösungen sind White- und Blacklists
Weit praxisgerechter sieht Pfeifer eine Lösung mit sogenannten Whitelists, bei der Geschäftspartner und Lieferanten vor Ort mit Siegel oder Zertifizierungen zeigen, dass sie Produktionsstandards einhalten. Europäische Unternehmen hätten so eine Auswahl an vertrauenswürdigen regionalen Partnern, ohne dass sie selbst die Standards überprüfen müssen. Eine Blacklist mit risikobehafteten Regionalunternehmen könnte ebenfalls hilfreich bei der Wahl der Geschäftspartner sein. „Das Lieferkettengesetz in dieser Form wird sowohl in den Zielländern als auch in Europa, speziell in Deutschland, zu Wohlstandsverlusten führen. In den Zielländern werden künftig andere Staaten die sozialen und wirtschaftlichen Innovationen und Maßstäbe setzen“, sagt Gerhard Pfeifer. „Die von deutschen Mittelständlern in die Welt getragenen positiven Entwicklungsbeiträge werden sich verflüchtigen. Die Konsequenz: Wir überlassen die Entwicklung von aufstrebenden Ländern der Welt anderen und wundern uns hinterher, warum Länder wie China ihren Einfluss in der Welt ausbauen“, so der IHK-Präsident abschließend.