Chancen für elektrische Züge auf weiteren Bahnstrecken in Allgäu

In die jahrzehntealte Diskussion um die Elektrifizierung weiterer Bahnstrecken im und ins Allgäu kommt Bewegung: Der Freistaat und seine Gutachter haben auf der „Bahnkonferenz Schwaben” des Landkreistags, des Städtetags und der IHK am 25. Februar 2025 eine Reihe voraussichtlich wirtschaftlich und betrieblich geeigneter Projekte vorgestellt. Damit zeichnet sich noch während des laufenden Versuchsbetriebs ein Abschied von der Wasserstoff-Technologie ab.
Bereits seit Dezember 2020 fahren – auch dank Geldern des Freistaats und eines Vorfinanzierungsangebots der Schweiz – die Züge elektrisch von München über Memmingen nach Lindau und weiter nach Zürich. Damit verbunden waren die Hoffnungen und Forderungen der Region und der Wirtschaft, dass dies kein Einzelprojekt bleiben solle, sondern einen Einstieg für den elektrischen Betrieb auf weiteren Strecken darstellt.

Der Dieselbetrieb soll 2040 enden

Dies hat sich mit dem am 25. Februar 2025 vorgestellten Schlussfolgerungen aus dem „Gutachten zur Beendigung des Dieselbetriebs” für Schwaben und das westliche Oberbayern konkretisiert. Demnach soll der Dieselbetrieb bis 2040 enden – durch die Elektrifizierung von Strecken und den Einsatz von Akku-Hybrid-Zügen. Der Freistaat fordert die Umsetzung der Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan und möchte überdies eigene Projekte mit Planungsaufträgen noch in diesem Jahr an die Bahn-Tochter DB InfraGO (ehem. DB Netz AG) anstoßen, mit dem Ziel einer Förderung aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG). Voraussetzung ist ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis nach Abschluss der Planung (soweit diese Prüfung nicht seitens des Bundes für Elektrifizierung von Bahnstrecken abgeschafft wird). Im Einzelnen:
  • Ulm–Kempten–Oberstdorf: Umstellung der Linie Ulm–Oberstdorf (RE 75) sowie der Linie Ulm–Memmingen (RS 7) auf durchgehenden elektrischen Betrieb. Der Freistaat möchte der Bahn nun einen Planungsauftrag für den Abschnitt Kempten–Oberstdorf erteilen. Bis die Oberleitung installiert ist soll es zunächst Ladestationen für die Akku-Züge in Kempten und Oberstdorf geben. Bereits am 12. Februar 2024 hatten der Freistaat Bayern und die Bahn einen Vertrag für die Entwurfs- und Genehmigungsplanung für eine Elektrifizierung zwischen Ulm und Kempten sowie des Abzweigs Senden–Weißenhorn (Linie RS 71; Infrastruktur: Stadtwerke Ulm) unterzeichnet, außerdem für einen zweigleisigen Ausbau von Neu-Ulm bis Senden sowie zwischen Kellmünz (Landkreis Neu-Ulm) und Pleß (Landkreis Unterallgäu). Der Freistaat Bayern stellt dafür knapp 41 Millionen Euro zur Verfügung. Die Elektrifizierung Ulm–Kempten wird in dem Gutachten als Grundlage unterstellt. Ulm–Oberstdorf ist damit aktuell das größte Elektrifizierungsprojekt der Bahn in Bayerisch-Schwaben.
  • Augsburg–Buchloe–Kempten (–Oberstdorf) sowie –Füssen/–Lindau: Ein zweiter Planungsauftrag sieht zunächst elektrische Abschnitte zwischen Augsburg und Bobingen sowie zwischen Buchloe und Biessenhofen vor. Hinzu kommt eine Ladestation in Füssen und ein elektrisches Unterwerk in Immenstadt für die Stromversorgung. Damit ist auf diesen Strecken ein Betrieb mit Akku-Zügen möglich. Eine durchgehende Elektrifizierung von Augsburg bis Buchloe oder gar bis Kempten wird es also vorerst nicht geben. Für die Linien Augsburg–Kempten (RE 79) bzw. –Oberstdorf (RE 17) und München–Kempten–Oberstdorf (RE 76) und München–Lindau (RE 70) soll deshalb „stufenweise ab 2032” ein Neigetechnik-Neufahrzeug mit Akku anstelle der heutigen Neigetechnik-Dieselzüge eingesetzt werden.
  • Augsburg-Ingolstadt: Vorgesehen für die Elektrifizierung ist der Abschnitt Augsburg–Obergriesbach und der Betrieb mit Akku-Zügen.
  • Günzburg–Krumbach–Mindelheim: keine Elektrifizierung, Betrieb mittels Ladestation in Krumbach und Akku-Zügen. An den Endpunkten in Günzburg und Mindelheim ist bereits eine elektrische Oberleitung vorhanden.
  • Weilheim-Schongau: Elektrifizierung von Weilheim/Obb. bis Peißenberg, Akku-Züge.
Der für das Allgäu zunächst ebenfalls geprüfte Einsatz von „trimodalen” Zügen (Oberleitung, Akku, Wasserstoff-Brennstoffzelle) mit Neigetechnik wird verworfen – das Gutachten des Freistaats stuft die Risiken als zu groß ein. Ein solcher Zugtyp ist bislang weltweit nirgendwo im Einsatz.

Ziel ist auch die Sicherung des Fernverkehrs im Allgäu

Vor allem mit Blick auf die Strecke Ulm–Oberstdorf hatte sich die IHK Schwaben auf politischer Ebene, etwa bei der Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans 2015/16 und auch mit Gutachten, seit mehr als zwanzig Jahren für den Ausbau und eine durchgehende Elektrifizierung eingesetzt. Hintergrund war, auf der im touristischen Verkehr wichtigen Strecke ins Allgäu einen sonst drohenden zusätzlichen Umstieg z.B. in Kempten zu vermeiden und perspektivisch einen Anschluss Oberstdorfs an das elektrische Fernverkehrsnetz zu erreichen.
„Die Elektrifizierung Ulm–Oberstdorf ist notwendig – aber sie ist nur ein Teil der Lösung."
Dr. Marc Lucassen, IHK-Hauptgeschäftsführer
IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Marc Lucassen machte auf der „Bahnkonferenz" deutlich, das Urlaubsziel Allgäu stehe hier in Konkurrenz zu Orten, die bereits umsteigefrei elektrisch mit ICE oder Intercity zum Beispiel aus Frankfurt, dem Ruhrgebiet oder aus Hamburg erreichbar sind, etwa zu Garmisch-Partenkirchen, Bad Reichenhall, Berchtesgaden und zu zahlreichen Zielen in Vorarlberg, Tirol, im Salzburger Land und in Kärnten. Für die Strecke Ulm–Oberstdorf sei die Elektrifizierung „notwendig, aber zugleich nur ein Teil der Lösung”: Diese Strecke sei an der Leistungsgrenze und ein Kapazitätsausbau deshalb ebenfalls erforderlich. Das Erreichen der im Geschäftsreiseverkehr und im Tourismus wichtigen Anschlüsse an die ICEs in Ulm gleiche mitunter einem „Lotteriespiel”.
„Ich bin heute elektrisiert.”
Stefan Bosse, Oberbürgermeister von Kaufbeuren
Angesichts der Perspektiven, mittels Akku-Zügen bereits Anfang des kommenden Jahrzehnts einen elektrischen Betrieb zu erreichen, sagte Kaufbeurens Oberbürgermeister Stefan Bosse als Vertreter der Städte und Landkreise: „Ich bin heute elektrisiert. Das ist epochal für den Bahnverkehr in Bayerisch-Schwaben.”

OBs, Landräte und IHK für vollständige Elektrifizierung Augsburg–Kempten

In ihrer gemeinsamen Erklärung zur „Bahnkonferenz Schwaben” haben die Oberbürgermeister, Landräte und die IHK an den Freistaat und an den Bund appelliert, die Elektrifizierung der Strecken voranzutreiben. Für Augsburg–Buchloe–Kaufbeuren–Kempten–Hergatz (–Lindau) wird in einem zweiten Schritt vom Bund die vollständige Elektrifizierung gefordert. Auf dem Abschnitt Augsburg–Kempten dient dies auch der Sicherstellung bzw. einer künftigen Wiederaufnahme des Fernverkehrs (bis Herbst 2025: IC Hamburg–Augsburg–Oberstdorf). Regierungsdirektor Florian Liese (Bayerisches Staatsministerium für Bau und Verkehr) erläuterte, die vom Freistaat vorgesehenen Elektrifizierungen seien „aufwärtskompatibel”; die Lücken könnten später geschlossen werden.
Auch die IHK Schwaben hatte sich – u.a. mit einem Gutachten bereits 2007 sowie 2015 in ihrer Stellungnahme zum aktuellen Bundesverkehrswegeplan – für die Elektrifizierung von Augsburg–Buchloe als wichtige Querverbindung zwischen den Linien München–Lindau und München–Stuttgart eingesetzt. IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Lucassen: „Mit den Vorschlägen aus dem Gutachten ist ein Anfang gemacht. Es braucht mittelfristig aber mindestens bis Buchloe, besser bis Kempten, eine durchgehende Elektrifizierung. Augsburg–Bobingen kann hierfür deshalb nur der ,Einstieg’ sein.”
„Der Bund macht zu wenig und zu langsam. Deswegen gehen wir als Freistaat in Vorleistung.”
Christian Bernreiter, Bayerischer Verkehrsminister
In einer Presseerklärung betonte der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter: „Gemäß Grundgesetz ist eigentlich der Bund für die Schieneninfrastruktur zuständig, macht aber viel zu wenig und zu langsam. Deswegen gehen wir als Freistaat Bayern freiwillig in Vorleistung! Allein im vergangenen Jahr haben wir mehr als 80 Millionen Euro für die Planung von Streckenelektrifizierungen vertraglich zugesichert, um bei diesem wichtigen Thema voranzukommen. Auch in Schwaben wollen wir den Dieselbetrieb beenden und alle Linien auf elektrischen Betrieb oder Akku-Züge umstellen.“

Freistaat erklärt Verzicht auf Wasserstoff-Züge im Allgäu

Der Gutachter-Empfehlung zufolge wird der Einsatz von Wasserstoff-Zügen (Brennstoffzelle) nicht weiter verfolgt. Vor allem die Kommunalpolitik hatte den Einsatz dieser Züge jahrelang gefordert. Begleitet von einem großen politischen Aufgebot hatte Siemens Mobility am 15.09.2023 die „Premierenfahrt“ des Wasserstoff-Zuges „Mireo Plus H“ in Bayern absolviert. Der zweiteilige Triebzug wird seit Ende 2024 fahrplanmäßig auf den Linien der Bayerischen Regiobahn (BRB) von Augsburg nach Füssen sowie nach Peißenberg eingesetzt und im Praxisbetrieb getestet. Eine entsprechende Entwicklungspartnerschaft hatten Siemens Mobility und das Land Bayern 2021 vereinbart.
Karl Blaim, Geschäftsführer und CFO Siemens Mobility, sprach von einem „wichtigen Meilenstein für die Zukunft alternativer Antriebe auf der Schiene.“ Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zeigte sich überzeugt: „Bayern geht mit dem ersten Wasserstoff-Zug einen weiteren Schritt Richtung Wasserstoff-Zukunft.“ Verkehrsminister Christian Bernreiter erklärte, von den Ergebnissen dieses Tests werde „es abhängen, ob wir den Einsatz von Wasserstoff-Zügen auf weiteren Strecken in Bayern vorgeben."
Nur drei Wochen später, am 12. März 2025, kündigte Bernreiter an, für die beiden bayerischen Neigetechnik-Netze im Allgäu und in Nordostbayern solle ein einheitliches Neufahrzeug entwickelt werden. Geplant ist ein reines Akku-Fahrzeug mit Nachlademöglichkeit aus der Oberleitung. Dies verspreche günstigere Entwicklungs-, Anschaffungs- und Betriebskosten für die Flotte und sei mit einem überschaubaren Infrastruktur-Ausbau möglich. Bernreiter wird in einer Pressemitteilung seines Ministeriums mit den Worten zitiert: „Durch leistungsfähigere Akkus können wir auf einen zusätzlichen Wasserstoff-Antrieb verzichten. Die neue Fahrzeugflotte wird dadurch technisch deutlich unkomplizierter und wirtschaftlicher. Außerdem kann der Aufbau einer Versorgungs- und Betankungsinfrastruktur für Wasserstoff entfallen.“

Weiterer Test mit Brennstoffzellen-Zug in Südost-Oberbayern

Gleichwohl soll der auf 30 Monate angelegte Versuch mit dem Siemens "Mireo Plus H” fortgeführt werden. Zudem kündigte der Minister laut Meldung vom 18. August 2025 im Bayerischem Rundfunk trotz Skepsis an, einen weiteren Versuch mit drei „Mireo Plus H”-Zügen Ende 2026 auf der Strecke Mühldorf–Burghausen in Südostoberbayern zu starten.
Der „Mireo Plus H" ist ein hochmoderner Wasserstoffzug, der auf der Regionalzug-Plattform Mireo von Siemens Mobility basiert. Zwei auf dem Dach montierte Brennstoffzellen und eine Lithium-Ionen-Batterie sorgen für eine vollständig CO₂-emissionsfreie Mobilität. Der Zug hat eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h, die Reichweite des Fahrzeugs beträgt mit einer Tankfüllung zwischen 1000 und 1200 km. Er kann an einer Wasserstoff-Tankstelle in Augsburg binnen 15 Minuten betankt werden.

Nadelöhr bei München-Pasing muss weg

Außerdem fordern Politik und Wirtschaft aus der Region in der Erklärung vom 25. Februar 2025, das „Nadelöhr” zwischen München-Pasing und Fürstenfeldbruck auszubauen, um für das Allgäu „stabile und zuverlässige Verbindungen in Richtung München und Schweiz” zu gewährleisten. Hier ist der Freistaat mit einem Planungsauftrag bereits in Vorleistung gegangen.
(Stand: 26.08.2025)