Ulm–Oberstdorf: Bayerns Teilzeit-Bahnstrecke
Zugausfälle, Verspätungen, technische Störungen, Ausfall von Stellwerken, Personalmangel auf Stellwerken und in der Werkstatt, Kapazitätsengpässe, seit Jahrzehnten überfällige Investitionen in Infrastruktur und Elektrifizierung, politisches und planerisches Hickhack um neue Nahverkehrshalte, Schäden an der Strecke durch Biber-Bauten, Unsicherheiten um den Fortbestand des Fernverkehrs: Auf der Bahnstrecke Ulm–Kempten–Oberstdorf zeigen sich die Herausforderungen und auch die Misere der Bahn in vielen Facetten.
Der jüngste Akt des Dramas begann just am 1. April: An diesem Tag verkündete die Bahn, es werde „aufgrund personalbedingter Ausfälle im Stellwerk Gerlenhofen“ (bei Neu-Ulm) „zu erheblichen Einschränkungen und Fahrplanänderungen“ kommen. Seitdem können zeitweise zwischen Ulm und Senden keine Züge mehr fahren; Ersatzbusse pendeln zwischen diesen beiden Bahnhöfen oder zwischen Ulm und Illertissen.
Aktuell (Stand: 21. August 2025) gibt es nach der mittlerweile zehnten Verlängerung der Einschränkungen Ausfälle nur abends ab ca. 21 Uhr und an Wochenenden, derzeit angekündigt bis zum 5. Oktober 2025. Überlagert wird dies vom 8. bis 12. September 2025 durch Bauarbeiten mit Ausfällen auch zwischen 9 und 15 Uhr. Die Bahn empfiehlt Reisenden, sich „tagesaktuell und unmittelbar vor Reiseantritt" online zu informieren.
Besonders gravierend waren die Einschränkungen mit sofortiger Wirkung im April 2025. In diesem Monat war das Stellwerk in Gerlenhofen nur im Ein-Schicht-Betrieb besetzt; deshalb fuhr der letzte durchgängige Zug von Ulm nach Oberstdorf bereits nachmittags um 15.17 Uhr; in Oberstdorf war die letzte Zugabfahrt nach Ulm bereits mittags um 13.34 Uhr. Für spätere Fahrten von Ulm ins Allgäu oder umgekehrt empfahl die Fahrplanauskunft den Umweg über Augsburg oder mitunter sogar über Friedrichshafen und Lindau.
Bei der Ankündigung, dies werde „bis voraussichtlich 30. April 2025“ dauern, blieb es fast schon erwartungsgemäß nicht. Am 23. April teilte die Bahn zur „aktuellen Betriebslage” mit, es komme „weiterhin bis voraussichtlich 01. Juni 2025" zu „Einschränkungen und Fahrplanänderungen." In einem Punkt gab es eine wesentliche Entlastung: Im Mai wurde wochentags (Montag bis Freitag) der Verkehr nachmittags und abends wieder aufgenommen und erst ab ca. 23 Uhr eingestellt. An den Wochenenden blieb es jedoch weiterhin beim Betriebsschluss um 15.30 Uhr.
Einen Monat später, am 24. Mai, schließlich kündigte die Bahn – wenn auch nicht per Pressemitteilung, sondern nur bei Abruf von Verbindungen im Internet – an, ihren Teilzeitbetrieb ein weiteres Mal zu verlängern: nun „bis voraussichtlich 23. Juni 2025”. Noch vor Ablauf dieser Frist wurden die „Einschränkungen und Fahrplanänderungen” in der Online-Auskunft bis zum 15. Juli 2025 ausgedehnt, und inzwischen schrittweise bis in den Oktober 2025.
Seit mehr als einem Jahr immer wieder Sperrungen und Ausfälle
Personalausfälle, „Stellwerksstörungen“ oder „Reparatur an einem Stellwerk“, eine Umschreibung für Störungen, vornehmlich in Gerlenhofen, aber auch in Vöhringen, Altenstadt und Dietmannsried, sorgen seit weit mehr als einem Jahr dafür, dass auf der Illertalbahn immer wieder kein Zug fährt, manchmal kurzzeitig, oft aber für einen halben Tag oder länger. Den Anfang April aufgenommenen Teilzeitbetrieb auf dieser Strecke hat die Bahn auch damit begründet, man könne nicht einfach jemanden ohne Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten und Technik beschäftigen.
Technisch-nostalgische Insellösung
Die noch mit Seilzügen bedienten Signalanlagen in Gerlenhofen aus dem Jahr 1957 waren erst im Herbst 2024 durch die gleiche manuelle Technik ersetzt worden. Fernsteuerbare elektrische Signale wurden nicht installiert; diese soll es nach Auskunft der Bahn erst mit dem Ausbau der Strecke Anfang der 2030-er Jahre geben. So darf das Stellwerk noch für einige Jahre eine technisch-nostalgische Insel zwischen dem digital aus Karlsruhe gesteuerten Bahnhof in Neu-Ulm und dem elektronischen Stellwerk in Senden bleiben - und ein Anschauungsobjekt für jahrzehntelang ausgebliebene Modernisierungen und Investitionen auf dieser Strecke.
Nicht die erste Sperrrung wegen Personalmangels
Zwischen Donauwörth und Nördlingen hatte eine ähnliche Teilsperrung ein dreiviertel Jahr bis Ende 2024 gedauert, auf der Westfrankenbahn ist so etwas schon seit mehr als einem Jahr der Normalzustand. Auch zwischen Aschaffenburg und Hanau fehlt Personal auf den Stellwerken; hier erklärte die Bahn, man bemühe sich um eine „auskömmliche Besetzung" und stellte eine Rückkehr zum regulären Fahrplan für Juli in Aussicht.
Im Allgäu spürt die Bahn die Personalnot auch an anderen Stellen, zuletzt in der Werkstatt in Kempten, weshalb etliche Züge monatelang nur verkürzt fahren konnten, oder zwischen Kempten und Pfronten, wo den ganzen Winter über nur ein Teil der Züge fuhr. In vorausgegangenen Wintern fielen wochenlang Züge aus, weil es kein Personal gab um die Bahnsteige vom Schnee zu räumen.
Stellwerkausfall stellte den Fernverkehr auf Jahre hinaus in Frage
Bereits vor der Stellwerks-Misere in Gerlenhofen hatte ein kompletter technischer Stellwerksausfall in Oberstdorf im Herbst 2024 den Zugverkehr weitgehend lahmgelegt: Weil es nicht mehr möglich war, in Oberstdorf Weichen zu stellen, konnten Züge dort nicht mehr rangiert werden und nur noch Triebwagen mit Führerstand an beiden Enden den Bahnhof ansteuern. Die Bahn kündigte deshalb am 15. Oktober 2024 von einem Tag auf den nächsten an, den Fernverkehr ins Allgäu für mehrere Jahre (!) bis zum Neubau eines Stellwerks kurzerhand einzustellen; bei Touristikern und Politik vor Ort war die Sorge groß, das Allgäu werde die IC-Züge nach Oberstdorf auf Dauer verlieren. Die Berichterstattung der Deutschen Presseagentur (dpa) und der „Bild“-Zeitung haben dem Vorfall bundesweite Aufmerksamkeit und auch Kopfschütteln beschert. Nach einem geharnischten Brief des bayerischen Verkehrsministers Christian Bernreiter, Protesten der regionalen Politik und auch der IHK hat die Bahn am 11. November 2024 eine behelfsmäßige Reparatur des Stellwerks angekündigt und den IC nach der Wintersaison zum 1. März 2025 tatsächlich wieder aufs Gleis gestellt.
Doch die Freude sollte nur von kurzer Dauer sein: Noch im gleichen Monaten folgten Streckensperrungen gleich mehrfach – sowohl wegen technischer Ausfälle wie auch wegen der „kurzfristigen Personalengpässe“ in Gerlenhofen, zunächst vereinzelt, dann vom 17. bis 21. März 2025 jeweils in den Nachtstunden. In einer Ankündigung der Bahn war dann erst einmal von Ausfällen bis Mai die Rede, was kurz darauf zunächst als Missverständnis zurückgenommen wurde, bis am 1. April 2025 dann doch die Ankündigung eines „Ersatzverkehrs“ für den ganzen Monat folgte.
Die Geduld der Politik neigt sich dem Ende zu
Die Politik verfolgt die Entwicklung dieser Bahnstrecke mit wachsender Sorge, Ungeduld und mittlerweile auch unverhohlener Empörung. In einer Presseerklärung vom 11. April 2025 zeigen sich die Neu-Ulmer Landrätin Eva Treu und der Ulmer Oberbürgermeister Martin Ansbacher „entsetzt“ über die derzeitigen Zustände auf der Illertalbahn – ein Begriff, der im politischen Sprachgebrauch schon ein Maximum des öffentlichen Vorwurfs darstellt. Die damalige Situation, „dass es täglich ab nachmittags kein Zugangebot mehr zwischen Neu-Ulm und Senden gibt, ist verheerend“, wird Treu in der Mitteilung des Vereins „Regio-S-Bahn Donau-Iller“ zitiert, in dem sich Städte und Landkreise mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, den Schienenverkehr auf den sieben Strecken rund um Ulm zu verbessern. Ansbacher nennt „die tägliche Kappung der Zugverbindungen auf der Illertalbahn eine Katastrophe“. Dies „konterkariert alle anderen Bemühungen der beiden Städte“ um die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, vor allem mit Blick auf die anstehenden Straßen-Großbaustellen in Ulm und Neu-Ulm (Neubau von Adenauerbrücke, Gänstorbrücke und Wallstraßenbrücke).
Der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter, der bereits zu Jahresbeginn wegen der Streichung der IC-Verbindungen nach Oberstdorf interveniert hatte, hat in einem Schreiben vom 4. April 2025 den Bahn-Infrastrukturvorstand Berthold Huber „nachdrücklich dazu aufgefordert, alles zu unternehmen, um schnellstmöglich wieder den Regelverkehr zu ermöglichen und die Personalpolitik bezüglich funktional wichtiger Positionen anzupassen und entsprechende Redundanzen vorzuhalten, um solche Ausfälle künftig zu vermeiden“. Die in der „Südwestpresse Ulm“ zitierten Formulierungen zeigen, dass die Geduld des Ministeriums mit der Bahn offenbar schwer strapaziert ist: „Es ist völlig unverständlich, dass einzelne Personalausfälle bei der DB InfraGO eine gesamte Region zeitweise faktisch vom Schienenverkehr abkoppeln.“
Das Ministerium zeigte sich auch verärgert, dass die „touristisch bedeutsame“ IC-Verbindung Dortmund–Ulm–Oberstdorf meist nur bis Stuttgart fährt, um nicht an dem ab Nachmittag unbesetzten Stellwerk in Gerlenhofen zu enden, vor allem bei Verspätungen.
Deutschlands unpünktlichster Intercity
Und Verspätungen sind beim IC 2013 der Regelfall; er gilt als einer der unpünktlichsten Züge Deutschlands. Der Zug hat von Mitte März bis 15. April 2025 nicht an einem einzigen Tag Oberstdorf pünktlich erreicht; an sieben Tagen, also an jedem vierten Tag, ist der Zug überhaupt nicht an sein Ziel gekommen, mit der Folge, dass dann am nächsten Morgen in der Regel auch der IC Oberstdorf–Dortmund ausfiel. Im Mai ist der Zug an drei Tagen laut Bahn-Definition „pünktlich” (mit max. fünf Minuten Verspätung) in Oberstdorf angekommen. An fünf Tagen fiel er ganz aus. Im August (Stand: 26. August 2025) hat der IC 2013 Oberstdorf zwei Mal pünktlich erreicht, drei Mal fiel er aus, und die durchschnittliche tägliche Verspätung lag bei 41 Minuten.
Und dann kommt auch noch der Biber
Auch schon vor dem Stellwerksausfall in Oberstdorf 2024 war der Allgäuer Tourismus-Ort komplett vom Zugverkehr abgehängt: Im Sommer 2024 musste die Strecke südlich von Sonthofen wegen Biber-Bauten unter dem Bahndamm zwei Monate gesperrt und auf 600 Metern Länge aufwendig saniert werden; auch im Sommer 2023 hatte es deshalb eine Sperrung gegeben. Es entspann sich jeweils eine breite Diskussion um den Abschuss des geschützten Nagers. Laut „Allgäuer Zeitung“ vom 11. April 2025 hat die Bahn angekündigt, neue „Aktivitäten“ von Bibern nahe der Gleise bei Fischen zu begutachten. Bisher gebe es keine Schäden an Eisenbahnanlagen; man werde diesen Bereich aber „erneut überprüfen“.