FOKUS Wirtschaft

Die Renaissance der Werte des ehrbaren Kaufmanns

Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Big Data lösen bei vielen Menschen oder Unternehmen Ängste aus oder auch die Befürchtung, den Herausforderungen und Veränderungen der vierten Industriellen Revolution nicht gewachsen zu sein. Hoffnung, von der Entwicklung zu profitieren, gibt allerdings die jüngere Generation.
"Sie fühlen sich gut ausgebildet und fit für die Zukunft, daher werden wir bei der Digitalisierung nicht hinter den USA und China zurückstehen", sagte Professor Dr. Thomas Straubhaar, der den wirtschaftspolitischen Talk "FOKUS Wirtschaft" der IHK zu Lübeck gemeinsam mit IHK-Vicepräses Dr. Arno Probst, moderierte. Straubhaar ist optimistisch, weil sich die Jüngeren Fragen der Ethik stellen, betonte er nach dem Talk im Dom zu Lübeck.
Im Gespräch mit Petra Kallies, Pröpstin des Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, und Carola Keller, Geschäftsführende Gesellschafterin der Arthur Krüger Familienholding GmbH & Co. KG in Barsbüttel, ging das Moderatorenteam den Fragen nach, ob Digitalisierung und hanseatische Tugenden zusammenpassen und ob der Kaufmann von heute oder morgen ein neues Wertegerüst benötigt.
Im Fish-Bowl-Format nahmen Norbert Basler, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender der Basler AG in Ahrensburg, Sabrina Eßer vom Team Digitalization der BAADER, Nordischer Maschinenbau Rud. Baader GmbH+Co.KG in Lübeck, die Studentin Anna Klostermann und Dr. Christian Herzog von der Universität zu Lübeck auf dem Podium Platz.
Im Mittelpunkt standen die zuvor vom IHK-Dialogforum "Ethik in der Digitalisierung" herausgearbeiteten Thesen. "Der Expertenrat aus Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft, Kirche und Gewerkschaften hat sich eingehend mit dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns beschäftigt und daraus Empfehlungen abgeleitet, die wir heute und zukünftig mit Best-practice-Beispielen füllen möchten", kündigte IHK-Präses Friederike C. Kühn an.

Leitsätze

Der Dom sei ein herausragender, symbolischer Ort, um über Werte zu diskutieren. Zuvor hatte Dompastor Martin Klatt gesagt, es habe Jahrhunderte gedauert, das Bauwerk zu errichten, aber nur kurze Zeit, es in einer der Bombennächte im Zweiten Weltkrieg zu zerstören. Lange dauere es auch, Vertrauen in die Digitalisierung aufzubauen, und die Herausforderung sei es, dieses Vertrauen nicht zu verspielen.
Einige der vom Dialogforum erarbeiteten Leitsätze lauten: "Ehrbare Kaufleute sind chancenorientierte Gestalter", "Digitalisierung verändert auch die Führungsaufgabe" oder Digitalisierung ist nicht allein technologischer Wandel, sondern auch ein gesellschaftlicher Veränderungsprozess". Carola Keller hatte im Dialogforum mitgearbeitet. "Der ehrbare Kaufmann hat uns Halt und Orientierung gegeben", sagte sie. "Wir haben gelernt, immer wieder innezuhalten und uns zu fragen, wie weit wir noch gehen können?"
Auf die Frage von Thomas Straubhaar, wie die Empfehlungen etwa beim Handel mit Chinesen helfen könnten, antwortete Keller: "Wichtig ist es, andere Kulturen in unsere Denkweisen aufzunehmen. Ein Stichwort im Dialogforum war ‘Kooperation’. Auch dabei muss ein Unternehmen klar sagen können, was geht, und auch einmal entscheiden, ein Angebot abzulehnen."
Norbert Basler stellte klar, dass im Zusammenhang der Digitalisierung immer von der Anwendung die Rede ist. Das von ihm gegründete Unternehmen ist ein Hersteller digitaler Produkte für andere, die mit der Digitalisierung Geld verdienen. "Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir bei der Digitalisierung führend sein. Aber diese Position im Wettbewerb ist stark gefährdet."
Um in den Märkten bestehen zu können, seien die alten Werte wie Anstand oder Respekt von zentraler Bedeutung. "Sie erleben eine Renaissance." Das gelte auch für die Unternehmensführung: "Um die Kernfähigkeit der Veränderung, der hohen Beweglichkeit und spontanen Reaktion aufrecht zu erhalten, brauchen wir großes Vertrauen und eine Kultur des Umgangs miteinander."
Da setzt auch die Kirche an, die sich mit den Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens beschäftigt. "Das Geschäftsmodell der Kirche ist der Glaube. Im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz wollen wir alles wissen, prüfen und erklären. Wie arbeitet Kirche an ihrem Geschäftsmodell?", fragte er die Pröpstin. Kallies entgegnete, die Kirche würde mittlerweile in der Kommunikation vor allem mit Jüngeren auch auf digitale Angebote setzen.

Mensch im Mittelpunkt

Die Kirche müsse präsent sein, sonst gebe es sie in der Welt der jüngeren Generationen gar nicht. Allerdings habe sie auch einen gegenläufigen Trend erkannt. "Die Kirche ist weiterhin ein Zufluchtsort. Das hat etwas mit dem Thema Einsamkeit zu tun. Wir bemerken eine Rückbesinnung darauf, dass es Menschen gibt, die sich Zeit für einen nehmen", so Kallies. Interessant sei allerdings, dass die erste Kontaktaufnahme häufig digital erfolge und dann dem persönlichen Gespräch weiche.
Das sei auch im digitalen Zeitalter nicht zu ersetzen, betonte Sabrina Eßer. "Der Mensch steht weiterhin im Mittelpunkt. Er ist der Kern und muss die Befähigung erhalten, sich in die Entwicklung einzubringen", sagte Eßer.
Doch noch hätten viele Menschen Angst, dass die Digitalisierung ihnen die Arbeitsplätze wegnehme. Es gelte, für diese Gruppe Angebote zu schaffen, um sie einzubinden. Anna Klostermann ergänzte, dass sich die Studenten in Lübeck mit dem Thema beschäftigen würden. Die Ergebnisse der Ethikkommission an der Hochschule flößen in die Vorlesungen ein.
Auch Christian Herzog sieht Chancen, die Menschen an den Veränderungen teilhaben und profitieren zu lassen. "Ein Studiengang ist dazu da, die Zukunft zu gestalten. In meinem Bereich reden wir über Ethik. Wichtig ist es, dass wir uns mit der Gesellschaft zusammentun, über die Digitalisierung reden und sie ihr nicht einfach aufoktroyieren", so Herzog. "Wir müssen uns über Werte unterhalten, die uns Grenzen setzen.
Diese können auch temporär sein und müssen uns Möglichkeiten offen halten, sie zu überdenken. Klar ist: Es gibt bei allen Menschen, mit denen ich gesprochen habe, rote Linien." Unter diesen Voraussetzungen sieht der Wissenschaftler nicht, dass der Standort Deutschland den Anschluss an die USA oder China verlieren könnte, zumal die Amerikaner Wissenschaft in anderen Staaten an den Entwicklungen teilhaben lasse.
Veröffentlicht am 21. Juni 2019