Verkehr in Schleswig-Holstein

Wege in die Zukunft

Die Verkehrssituation im Land wirkt teilweise wie ein Stuckwerk und ist teils organisch gewachsen. Fest steht: Der Verkehr wird weiter ansteigen und die Straßen noch stärker belasten. Viele wichtige Aus- und Neubauprojekte sind auf den Weg gebracht, doch reichen diese aus? Welche Konzepte können dem Land noch helfen, den Verkehr besser zu organisieren und zu verteilen?
Zunächst eine gute Nachricht: Der 2016 beschlossene Bundesverkehrswegeplan berücksichtigt nahezu alle wichtigen Infrastrukturprojekte im Land. Die zügige Umsetzung der Projekte des Vordringlichen Bedarfs würde die ärgsten Engpässe vorerst auflösen - etwa der sechsspurige Ausbau der A 7, die Hinterlandanbindung der Fehmarnbelt-Querung, die A-20-Elbquerung bei Glückstadt, die Sanierung der Rader Hochbrücke sowie die Ausbauten des Nord-Ostsee- und des Elbe-Lübeck-Kanals. "Der Bund hat erkannt, dass der Bedarf vorhanden ist", sagt Rüdiger Schacht, Federführer Verkehr und Logistik der IHK Schleswig-Holstein. Aber: "Nun ist das Geld da, nur das Personal fehlt. Die private Bauwirtschaft und die Planungsämter haben lange zu wenig Fachkräfte eingestellt." Die Folgen sind ein bundesweiter Investitionsstau von 7,2 Milliarden Euro jährlich und Verzögerungen von Baumaßnahmen. Klar ist: Die Verkehrsmengen werden weiter steigen - der Personenverkehr um fünf, der Güterverkehr um 24 Prozent bis zum Jahr 2030. Auch in Zukunft pendeln zwei Drittel aller Schleswig-Holsteiner mit dem Pkw zur Arbeit, der motorisierte Lieferverkehr wird durch den Onlinehandel noch kräftiger belastet. Selbst bei der Umsetzung aller Baumaßnahmen droht ein Verkehrsinfarkt. Was das Land braucht, sind weitere, innovative Konzepte.
Verkehrsträger verknüpfen
Erst vergangenes Jahr hat das Land die Verkehrsstudie "Mobilität der Zukunft in Schleswig-Holstein" vorgelegt, die mit 15 Handlungsempfehlungen für den Personenverkehr den Weg zu einer modernen Mobilität zeigen soll. In den kommenden Monaten will die Landesregierung entscheiden, welche Maßnahmen sie aus dem Gutachten ableiten wird - ein Planungsinstrument sei der ab 2018 geltende Landesweite Verkehrsplan. Ein zentraler Ansatz ist die Vernetzung von Verkehrsträgern. Immer mehr Menschen seien bereit, sich intermodal fortzubewegen. Dafür braucht es eine digitale Vernetzung der Verkehrsträger, um Wegeketten in Echtzeit aufrufen und künftig per App buchen zu können. Auch die Verquickung der Verkehrsträger ist notwendig - wie bei der Mobilitätsplattform Büchen, wo künftig eine intelligente Infrastruktur alle Verkehrsmittel aufeinander abstimmt und Technologien wie virtuelle Vernetzung und E-Mobilität einbezogen werden. Solche Mobilitätshubs können laut Minister Meyer helfen, im Verbund mit Taktfahrplänen den Wechsel zwischen den Verkehrsmitteln zu erleichtern. Neben Modellen wie Carsharing und Rufbussen in ländlichen Räumen spielt auch die Verzahnung der Verkehrsverbünde NAH.SH und Hamburger Verkehrsverbund (HVV) eine immer wichtigere Rolle. Erst kürzlich forderten Politiker ein Nordticket: Berufspendler könnten dann bequem von Bremen über Hamburg bis nach Sylt fahren - mit einem Ticket unter dem Dach des HVV. Ländliche Räume wären besser angebunden und Pendler nach Hamburg finanziell entlastet.
Gerade das Nadelöhr um Hamburg ist eines der größten Sorgenkinder des norddeutschen Verkehrs. "Die Zahl der täglich aus Schleswig-Holstein nach Hamburg pendelnden Berufstätigen nimmt kontinuierlich zu. Im Durchschnitt sind es 155.000 täglich", so Verkehrsminister Meyer. Eine Belastung für die Pendler und die überfüllten Zufahrtsstraßen. Mit dem Ausbau der A 7 und der Elbquerung bei Glückstadt im Zuge der A 20 ist eine Entlastung in Aussicht. Dennoch bedarf es gerade für Berufspendler weiterer Lösungen. An vorderster Stelle steht der Ausbau der S-Bahn-Linien S 4 und S 21 von Hamburg nach Bargteheide beziehungsweise Kaltenkirchen. "Die Zuverlässigkeit für Pendler wäre aufgrund von zwei weiteren Gleisen größer und die Verbindung schneller. Das bedeutet zugleich eine Entlastung für den Hamburger Hauptbahnhof, da die S-Bahn dort nicht mehr wenden müsste", so Rüdiger Schacht. Aber auch der Trend zu Fahrrad und E-Bike kann die Situation entlasten. So zeigt eine Potenzialanalyse der Metropolregion Hamburg 33 mögliche Radschnellwege auf, die das Pend
eln mit dem Rad über längere Distanzen ermöglichen und in die Mobilitätskette mit anderen Verkehrsträgern einfügen sollen. Besonders vielversprechend erscheint etwa die 32 Kilometer lange Strecke von Elmshorn nach Hamburg: Mit dem Radschnellweg könnten innerhalb von 20 Minuten etwa 18.000 Arbeitsplätze mehr als vorher erreicht werden.
"Das Geld ist da, nur das Personal fehlt."
Aber wie lässt sich der Güterverkehr entlasten? "Wir haben die Situation, dass Autobahnen und Fahrzeuge nur zu Stoßzeiten voll ausgelastet sind", sagt Professor Dr. Klaus Dieter Lorenzen von der FH Kiel. So sei etwa ein Mautkonzept vorstellbar, das künftig nach Nutzungszeitraum abrechne und so Anreize für eine bessere Koordination gebe. Wichtig sei es, Schwankungen bei der Auslastung auszugleichen. Dies könne, so Lorenzen, etwa durch intelligente Produkte geschehen - Spediteure erhielten mehr Informationen, könnten längerfristig planen und Lieferungen sinnvoll zusammenlegen. Aber auch kleinere Unternehmen könnten miteinander kooperieren und Produkte landesweit zusammen wirtschaftlicher vertreiben.
Auch der Tourismus ist betroffen. 7,9 Millionen Urlauber reisen jährlich per Pkw, 3,4 Millionen per Bahn ins Land. Herausforderungen sind etwa die zunehmenden Kurzreisen und die Ziele der Tourismusstrategie 2025, die einer Studie des Tourismusverbands TVSH zufolge 50 Prozent mehr Anund Abreisen voraussetzt. Die Defizite sind vielfältig: In keinem Bundesland ist der Anteil an Bahnreisen geringer, bei einigen Urlaubsregionen wie der Westküste und Ostholstein besteht bei der Erreichbarkeit noch Verbesserungsbedarf. Besonders desaströs ist derzeit die Zuganbindung nach Sylt: Neben dem Ersatz der 90 Marschbahnwagen braucht es eine Elektrifizierung der Strecke, Westerland soll ab Hamburg künftig in unter zwei Stunden erreichbar sein. "Wir brauchen geschlossene Reiseketten, die Anschlüsse problemlos ermöglichen und Anreisesituationen zur Planungsgrundlage machen", sagt TVSH-Verbandschef Dr. Jörn Klimant. Vorbildfunktion für touristisch angepasste Verkehrskonzepte haben laut Klimant hingegen die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit Kurkarten wie etwa in St. Peter-Ording und geschlossene Reiseketten mit einem Ticket zu nordfriesischen Inseln wie Amrum. 
Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 4. April 2017