20 für die A 20: Tillmann Schütt
Es ist ein Dienstagmorgen in Landscheide-Flethsee, Schleswig-Holstein. Tillmann Schütt blickt aus seinem Bürofenster auf den Betrieb, den sein Urgroßvater Johann vor 136 Jahren gründete. Die herbstliche Morgensonne spiegelt sich in den Holzfassaden der Produktionshallen der Gebr. Schütt KG. Während sich im Hintergrund gigantische Brettschichtholzträger für eine neue Sporthalle in Hamburg stapeln, seufzt der Firmenchef in fünfter Generation: "Wissen Sie, manchmal kommt es mir vor, als würden wir hier in einer Sackgasse sitzen."
Er meint das nicht nur im übertragenen Sinne. Die geografische Lage im Dreieck zwischen Nord-Ostsee-Kanal, Elbe und Nordsee hat durchaus ihre Tücken. "Die Elbe ist für uns wie eine scharfe Kante", erklärt Schütt und tippt energisch auf die Landkarte an seiner Wand. "Fünf Kilometer Luftlinie – und trotzdem wirtschaftlich kaum erreichbar."
Der Urgroßvater und die Marschenbahn
Die Geschichte des 1889 gegründeten Holzbauunternehmens ist seit jeher mit der Infrastruktur verwoben. "Mein Urgroßvater zog genau hierher, weil damals die Marschenbahn frisch gebaut wurde", erzählt Schütt mit einem Schmunzeln. "Die Bahn war damals der Infrastrukturpunkt für Baumaterial und Brennstoff." Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: "Heute würde er wahrscheinlich an die A 20 ziehen."
Was vor über einem Jahrhundert die Eisenbahn war, ist heute die lang diskutierte Bundesautobahn 20, auch Küstenautobahn genannt. Sie soll einmal von der polnischen Grenze bis nach Niedersachsen führen – mit einer Elbquerung westlich von Hamburg. Für das mittelständische Unternehmen, das mehrfach zu den 100 innovativsten in Deutschland zählte, könnte diese Straße über Erfolg oder Stagnation entscheiden.
Der Elbtunnel: Das K.o.-Kriterium
"Wer schon einmal an einem Freitagnachmittag im Hamburger Elbtunnel stand, weiß, wovon ich rede", sagt Schütt und schüttelt den Kopf. "Es gibt eigentlich nie eine staufreie Zeit. Hamburg ist Staustadt Nummer 1." Für ein Unternehmen, das sich auf modernen Ingenieurholzbau und nachhaltiges Bauen spezialisiert hat, ist das mehr als ärgerlich – es ist geschäftsschädigend.
Große Holzträger für Sporthallen, Einkaufsmärkte oder Industriehallen müssen als Schwertransporte über die Straße. "Ein unerträgliches Thema", stöhnt Schütt. Die polizeiliche Begleitung sei oft nicht rechtzeitig verfügbar. Ein Schwertransport muss häufig an der Landesgrenze halten, die Polizeieskorte wechseln und auf neue Beamte warten – was er unverblümt als "Wahnsinn" bezeichnet, der zu kostspieligen Verzögerungen auf Baustellen führen kann.
Lego-Bauen mit Baumstämmen
Den Zimmermann in fünfter Generation fasziniert besonders das elementierte Bauen – "wie Lego", wie er es nennt. In den Fertigungshallen werden große Holzelemente vorgefertigt, die später auf der Baustelle nur noch zusammengesetzt werden müssen. "Aber wenn die Elemente fertig sind, brauchen wir zuverlässige Transportwege", erklärt er. "Ohne vernünftige Straßen kein modernes Bauen."
Aufträge in Niedersachsen, die eigentlich ideal ins Portfolio passen würden, lehnt das Unternehmen oft ab – einfach, weil die Elbe dazwischen liegt. "Bei Projekten, die wir trotzdem annehmen, etwa in Stade, müssen unsere Leute übernachten. Sie fahren montags hin und donnerstags zurück. Das treibt die Kosten um bis zu 30 Prozent in die Höhe."
Die Familientradition lebt
Während Schütt durch die Produktionshalle führt, grüßt er jeden Mitarbeiter mit Namen. Viele kennt er seit Jahrzehnten, manche sogar seit deren Geburt. "Sehen Sie den jungen Mann dort drüben?", fragt er und deutet auf einen jungen Mann. "Sein Großvater hat schon für meinen Onkel gearbeitet. Er war eigentlich Dorfpolizist, hat aber am Wochenende hier ausgeholfen." Es gibt sogar alte Schwarz-Weiß-Fotos, die diese lange Verbundenheit dokumentieren.
Diese familiäre Atmosphäre nennt Schütt einen der Vorteile des ländlichen Standorts. "Wir haben viele Mitarbeiter, deren Kinder oder sogar Enkelkinder ebenfalls bei uns arbeiten. Mit der A 20 könnten wir auch Fachkräfte aus dem niedersächsischen Raum gewinnen und unsere Innovationskraft weiter stärken."
Nachhaltigkeit und Innovation im Holzbau
Während das Thema Infrastruktur den Unternehmer sichtlich umtreibt, leuchten seine Augen, wenn er über nachhaltige Bauweisen spricht. "Wir haben hier in unserem Innovatorium konkret gezeigt, wie man mit niedriger CO₂-Bilanz und echter Kreislauffähigkeit bauen kann." Das firmeneigene Forschungszentrum entwickelt Holzverbindungen, die ohne Klebstoffe auskommen und später vollständig recycelt werden können. Ein Beispiel ist ein aktuelles Projekt für die Bahnhofsmission am Hamburger Hauptbahnhof – ein modulares Gebäude, das bei Bedarf zerstörungsfrei demontiert und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden kann.
"Die Bauindustrie stammt aus einer alten Welt", kritisiert Schütt. "Sie ist stark von der Stahl- und Zementindustrie geprägt, die mehr als 100 Jahre lang Normen und Strukturen geformt haben." Dabei verursacht die Zementherstellung allein rund acht Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen. Sein Wunsch: eine ehrlichere Bilanzierung von Gebäuden hinsichtlich ihrer Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus.
Die A 20: Mehr als nur eine Straße
"Die A 20 wäre für uns extrem wichtig", fasst Schütt zusammen. "Sie hätte zwei Hauptfunktionen: eine Umfahrung Hamburgs, um dem Elbtunnel als Nadelöhr zu entgehen, und eine Westumfahrung von Hamburg." Mit ihr würde die gesamte Region Niedersachsen, die eigentlich so nah liegt, aber derzeit kaum ein Markt ist, zu einem zugänglichen Baugebiet.
Der Firmenchef wird nachdenklich: "Mit der A 20 wäre unser Standort nicht länger in einer Sackgassenlage, sondern mittendrin. Der gesamte Westküstenbereich südlich und nördlich der Elbe würde deutlich stärker belebt – und unsere nachhaltige Holzbauweise könnte sich weiter verbreiten."
Von der Marschenbahn bis zur geplanten A 20 – manchmal hängt der Erfolg eines innovativen Betriebs nicht nur vom eigenen Können ab, sondern auch davon, ob man die sprichwörtliche Brücke zum Kunden bauen kann. Oder in diesem Fall: einen Tunnel unter der Elbe.
Gesichter hinter den Zahlen: Wie die A 20 Unternehmen und Menschen bewegt
Jedes Unternehmen hat eine Geschichte. Jede Geschichte hat ein Gesicht. Hinter den Planungen, Diskussionen und Debatten rund um die A 20 stehen Menschen – Unternehmerinnen und Unternehmer, Mitarbeitende, Familien. Sie alle verbindet eine gemeinsame Herausforderung: die tägliche Realität in einer Region, die noch auf ihre vollständige Verkehrsanbindung wartet. Wir haben 20 Unternehmen entlang der geplanten A 20-Trasse besucht und zugehört. Diese Unternehmensstorys sind Teil der Initiative „A 20 – Das wird gut" von sieben norddeutschen Industrie- und Handelskammern. Unser Ziel: eine sachliche, transparente Debatte über die A 20 führen – mit allen Fakten, allen Argumenten und im offenen Dialog mit Befürwortern wie Kritikern. Mehr zur Initiative erfahren Sie hier.
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Thorsten Scholz