20 für die A 20: Kristin Röschmann

Wenn der Wind im Spätsommer über die Felder Schleswig-Holsteins streicht, trägt er einen unverwechselbaren Duft mit sich – den Geruch von frisch geerntetem Getreide. Kristin Röschmann ist dieser Duft mehr als nur ein flüchtiger Sinneseindruck. Er ist eine Zeitreise in ihre Kindheit, ein sofortiger Auslöser von Erinnerungen an lange Erntetage auf dem alten Standort des Familienbetriebs, einer Wassermühle mitten im Dorf. Heute steht dieser traditionelle Betrieb vor neuen Herausforderungen – und vor einer Chance namens A20.

Von der Wassermühle zum modernen Landhandel

"Der Geruch von Getreide während der Ernte ruft sofort Kindheitserinnerungen hervor", erzählt die heutige Inhaberin des traditionsreichen Landhandels, der von ihrem Urgroßvater gegründet wurde. Besonders präsent sind die Erinnerungen an Ernten, bei denen so viel Getreide anfiel, dass es auf dem Hof gelagert werden musste. "Das gemeinsame Schaufeln und Wegräumen des Getreides erzeugt immer wieder ein Gefühl, das an frühere Zeiten erinnert", beschreibt sie diese prägende Erfahrung.
Auch die Geschichte, wie sie schon vor ihrer Einschulung auf einem Gabelstapler saß – die Pedale noch außer Reichweite ihrer kleinen Beine – bringt sie zum Schmunzeln. "Mein Vater bediente damals die Pedale, während ich lenkte und dabei beinahe in die Scheune gefahren wäre." Diese frühen Erlebnisse haben Kristin Röschmann geprägt und ihre Verbundenheit mit dem Familienbetrieb gefestigt.

Die A20: Mehr als nur eine Straße

Doch heute steht der traditionelle Landhandel vor anderen Herausforderungen. In einer Zeit, in der Regionalität wieder an Bedeutung gewinnt, gleichzeitig aber der Wettbewerbsdruck steigt, richtet Röschmann ihren Blick in die Zukunft – und auf eine Autobahn, die noch nicht existiert: die A20, die künftig die Ostseeküste mit der Nordseeküste verbinden soll.
"Mit der A20 könnten wir die Märkte in Ostholstein und Lübeck besser erschließen", erklärt sie. Der Standort des Unternehmens nahe Itzehoe liegt strategisch günstig, nur 1000 Meter von der nächsten Auffahrt zur A23 entfernt. "Mit der geplanten A20 wäre ich in 10-15 Minuten in Horst und könnte von dort aus neue Absatzmärkte erreichen."
Die Bedeutung dieser Infrastrukturmaßnahme geht weit über kürzere Fahrtzeiten hinaus. "Wir erhalten viele Anfragen aus dem Lübecker Raum und Mecklenburg-Vorpommern, die wir derzeit nicht bedienen können", berichtet die Unternehmerin. Auch ehemalige Geschäftspartner aus Niedersachsen könnten zurückkehren, da die Anfahrtswege deutlich verkürzt würden.

Eine Region erwacht aus dem "Schlafmodus"

Die A20 könnte nicht nur für den Landhandel Röschmann, sondern für die gesamte Region einen wirtschaftlichen Aufschwung bedeuten. "Die Autobahn würde den gesamten Standort aufwerten und neue Ansiedlungen fördern", ist Kristin Röschmann überzeugt. Auch der Tourismus würde profitieren, da Reisende die Westküste leichter erreichen könnten, anstatt – wie sie es bildhaft beschreibt – "in Hamburg stecken zu bleiben".
"Die Region könnte aus einem 'Schlafmodus' erweckt werden", formuliert sie ihre Vision für die Zukunft. Neue Kooperationen, insbesondere mit Niedersachsen, wären möglich und könnten frischen Wind in die wirtschaftliche Landschaft bringen.

Zwischen Tante-Emma-Laden und Hightech-Betrieb

Die Herausforderung für den modernen Landhandel besteht darin, eine Balance zu finden: "Nach vorne ein Tante-Emma-Laden und nach hinten hochprofessionell", beschreibt Frau Röschmann ihr Geschäftskonzept. Diese Dualität ist entscheidend für den Erfolg. Einerseits ist es wichtig, dass man sich in der Region zugehörig fühlt und eine gewisse Gemütlichkeit bewahrt – den persönlichen Kontakt zu den Kunden pflegt und deren Bedürfnisse versteht. Andererseits müssen Prozesse und Kosten schlank gehalten werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
In dieser Hinsicht ist Kristin Röschmann ganz die Tochter ihres Vaters, der als Handwerker und kreativer Kopf des Betriebs bekannt war. "Er entwickelte innovative Lösungen und bewies eine klare Haltung", erinnert sie sich, "etwa, als er beschloss, keine Futtermittel mit Federkielen mehr zu verkaufen und stattdessen eine eigene Körnermischung zu entwickeln. Oder als er als erster in Schleswig-Holstein eine Düngermischung einführte, trotz Widerstands der Düngerindustrie."

Bürokratische Hürden für kleine Unternehmen

Während die verbesserte Infrastruktur durch die A20 neue Chancen eröffnen würde, kämpft der Landhandel gleichzeitig mit wachsenden bürokratischen Anforderungen. Besonders die QS-Zertifizierung für Futtermittel stellt kleine Unternehmen vor große Herausforderungen.
"Obwohl ich das QS-Verfahren grundsätzlich für gut und richtig halte, ist der Aufwand für kleine Unternehmen enorm", kritisiert Röschmann. Ein Beispiel ist "Soja Plus", eine neue Anforderung mit beträchtlichem Papieraufwand, die sicherstellen soll, dass Soja ohne Urwaldrodung und unter Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen produziert wurde.
Was Kristin Röschmann besonders bemängelt, ist die Risikobewertung: "Die QS-Kriterien sind nicht immer risikobasiert. Soja-Nachweise werden beispielsweise genauso streng behandelt wie gefährliche Giftstoffe." Hinzu kommt, dass dem QS-System immer nur neue Anforderungen hinzugefügt werden, ohne dass bestehende entlastet würden.
"Kleine Unternehmen haben keine ausreichende Lobby, um ihre Interessen zu vertreten", fasst sie die Problematik zusammen. "Wir müssen die gleichen Auflagen erfüllen wie große Konzerne, ohne die entsprechenden Ressourcen zu haben."

Zukunftsvision: Regional verwurzelt, überregional vernetzt

Trotz dieser Herausforderungen blickt Röschmann optimistisch in die Zukunft. Die regionale Verwurzelung des Unternehmens ist für sie ein wichtiger Wert – Heimat bedeutet für sie vor allem Wurzeln. Sie kennt die Menschen in der Region und ihre Denkweise, was ein unschätzbarer Vorteil im Geschäftsleben ist.
Interessanterweise hat sich ihre Einstellung zur Heimat im Laufe der Jahre gewandelt. In ihrer Jugend empfand sie die Gegend als provinziell und fühlte sich regelrecht " eingeengt". Zu dieser Zeit gab es noch keine Handys und kein Internet, was das Leben in ländlichen Regionen besonders isoliert erscheinen ließ. Auch die politische Stimmung in der Region mit zweistelligen Ergebnissen für die NPD hat sie in den frühen 90er Jahren befremdet.
"Als ich 2015 nach längerer Zeit in der Stadt in den Familienbetrieb zurückgekehrt bin, entdeckte ich meine Heimat neu und lernte sie sehr zu schätzen", erklärt sie. "Heute ist es für mich tatsächlich Heimat im besten Sinne." Diese neu gefundene Wertschätzung spiegelt sich auch im Engagement der Familie für das lokale Gemeinschaftsleben wider – von der Unterstützung bei Reitturnieren bis hin zu Kinderfesten.
Die A20 könnte nun der Schlüssel sein, um das Beste aus beiden Welten zu verbinden: die starke regionale Verwurzelung mit einer verbesserten überregionalen Vernetzung. Obwohl der aktuelle Planungsstand der Autobahn noch viele Fragen offen lässt und kein unmittelbarer zeitlicher Druck besteht, ist Kristin Röschmann überzeugt: "Die räumliche Begrenzung ohne A20 ist langfristig problematisch für unser Unternehmen." Die Märkte werden kleiner, die Kosten steigen – eine bessere Infrastruktur könnte dem traditionsreichen Landhandel neuen Auftrieb geben.
Es bleibt abzuwarten, wann der erste Spatenstich für die langersehnte Autobahn erfolgt. Bis dahin setzt Kristin Röschmann auf die bewährte Strategie: nach vorne volksnah und persönlich wie ein Tante-Emma-Laden, nach hinten hocheffizient wie ein modernes Unternehmen – ein Erfolgsrezept, das bereits seit Generationen funktioniert und mit neuen Verkehrswegen noch mehr Früchte tragen könnte.

Gesichter hinter den Zahlen: Wie die A 20 Unternehmen und Menschen bewegt

Jedes Unternehmen hat eine Geschichte. Jede Geschichte hat ein Gesicht. Hinter den Planungen, Diskussionen und Debatten rund um die A 20 stehen Menschen – Unternehmerinnen und Unternehmer, Mitarbeitende, Familien. Sie alle verbindet eine gemeinsame Herausforderung: die tägliche Realität in einer Region, die noch auf ihre vollständige Verkehrsanbindung wartet. Wir haben 20 Unternehmen entlang der geplanten A 20-Trasse besucht und zugehört. Diese Unternehmensstorys sind Teil der Initiative „A 20 – Das wird gut" von sieben norddeutschen Industrie- und Handelskammern. Unser Ziel: eine sachliche, transparente Debatte über die A 20 führen – mit allen Fakten, allen Argumenten und im offenen Dialog mit Befürwortern wie Kritikern. Mehr zur Initiative erfahren Sie hier.