Maritime Wirtschaftspolitik

"Marineschiffbau ist von strategischem Interesse"

Die maritime Branche ist mit einem jährlichen Umsatz von bis zu 50 Milliarden Euro und 400.000 Arbeitsplätzen einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Deutschland. Norbert Brackmann ist seit einem Jahr Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft. Im Interview spricht er über die deutsche Werftenlandschaft, Klimaschutz-Herausforderungen und die Vorzüge des Maritimen Clusters.
Zurzeit läuft die Ausschreibung der Bundeswehr für einen neuen Kampfschifftyp, das Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS 180). Neben einem deutschen Werftenverbund um German Naval Yards ist noch die niederländische Damen-Gruppe im Rennen. Der Marineschiffbau ist eine der wichtigsten Branchen in Schleswig-Holstein, und es gibt Befürchtungen, dass der Standort durch eine Vergabe ins Ausland stark geschwächt wird. Wie ist Ihre Einschätzung?
Norbert Brackmann: Der Marineschiffbau ist für Deutschland, das in besonderem Maße in globale Wertschöpfungsketten integriert ist, von strategischem Interesse. Deutschland hat ein vitales Interesse an einer leistungs- und wettbewerbsfähigen Marineschiffbauindustrie, auch vor dem Hintergrund des sich wandelnden sicherheitspolitischen Umfelds und der wachsenden Bedrohungen für die maritime Sicherheit. Bei der Vergabe des MKS 180 wurde noch keine Entscheidung für einen der Bewerber durch das Bundesverteidigungsministerium getroffen. Bei dem Bieterfeld ist aber sicher, dass das MKS 180 mit wesentlicher deutscher Beteiligung gebaut werden wird. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich zu laufenden Vergabeverfahren nicht Stellung nehmen kann.
Die deutsche Werftenstruktur ist im Vergleich zu anderen europäischen Standorten kleinteilig. Der Werftenverbund sieht im Projekt MKS 180 die Möglichkeit einer vertiefenden Kooperation. Welche Unterstützung kann der Bund den Werften bieten, ohne in den Wettbewerb einzugreifen?
Brackmann: Wir brauchen eine leistungs- und wettbewerbsfähige Marineschiffbauindustrie in Deutschland. Eine Konsolidierung auf nationaler und europäischer Ebene halte ich daher für zwingend notwendig. Jede Art von Konsolidierung ist aber eine unternehmerische Entscheidung. Die Unternehmen schauen gerade, wo künftig "gemeinsame Projekte" entstehen. Konkrete Konsolidierungsschritte werden dann im Nachgang folgen.
2011 wurde das Maritime Cluster Norddeutschland in Schleswig-Holstein gegründet. Seit 2014 gibt es das Cluster in allen fünf norddeutschen Bundesländern. Wie bewerten Sie die Arbeit des Vereins?
Brackmann: Das Maritime Cluster hat mit seinen Geschäftsstellen in den fünf Küstenländern eine hervorragende Kenntnis der Branche und der Forschungsinstitutionen vor Ort. Sie können gezielt und wettbewerbsneutral Kooperationspartner zusammenbringen und die Vernetzung auf persönlicher Ebene fördern. Das ist genau das, was die vielen mittelständischen, hochinnovativen Unternehmen in der maritimen Wirtschaft brauchen, wie uns die vom Bundeswirtschaftsministerium 2016 in Auftrag gegebene Studie zur maritimen Forschungslandschaft gezeigt hat.
Wie können die Aktivitäten der maritimen Wirtschaft, die eine Schlüsselbranche, im Norden ist, noch besser gefördert und vernetzt werden?
Brackmann: Die maritime Wirtschaft steht vor enormen Herausforderungen. Die Schifffahrt muss ihren Beitrag zu den Umwelt- und Klimazielen leisten. Die Nachfrage nach umwelt- und klimafreundlichen Technologien steigt enorm - und zwar weltweit. Deutsche Unternehmen gehören hier zu den Weltmarktführern. In der maritimen Forschungsstrategie liegt ein Schwerpunkt deshalb auf der maritimen Energiewende. Die Mittel für die maritime Forschung wurden gerade durch den Bundestag erhöht - das ist ein wichtiges Signal. Mit der Sektorkopplungsinitiative "Energiewende im Verkehr" wollen wir beim Thema strombasierte Kraftstoffe - Stichwort Power-to-X - vorankommen. Dazu wurden insgesamt 100 Millionen Euro aus mehreren Förderprogrammen gebündelt. Bereits laufende Maßnahmen zur Unterstützung der deutschen Flagge, wie die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts, die passgenaue Erstattung der Lohnnebenkosten oder die Tonnagesteuer, werden wir im nächsten Jahr überprüfen. Dann werden wir wissen, ob und wo Änderungen notwendig sind. Aber auch die Reeder müssen ihren Teil der Vereinbarung einhalten und weiterhin gute Ausbildungsmöglichkeiten bieten, um das maritime Know-how hier in Deutschland langfristig zu sichern.
Am Norwegenkai im Kieler Hafen geht im April die erste Landstromanlage in Betrieb. 2020 ist eine zweite Anlage am Schwedenkai/Ostseekai geplant. Bisher gibt es das Problem, dass Landstrom teurer ist als der an Bord produzierte Strom. Wie können Anreize geschaffen werden, dass der Landstrom genutzt wird und die Anlagen wirtschaftlich betrieben werden können?
Brackmann: Durch die Nutzung von Schiffsdiesel tragen Schiffe in Häfen erheblich zu Emissionen bei. Bei einer RoPax-Fähre mit täglichen Anläufen und drei bis vier Stunden Liegezeit könnte die Landstromnutzung zu einer enormen Emissionsvermeidung beitragen - allein bis zu 1.105 Tonnen an Treibhausgasemissionen und fast eine Tonne weniger Feinstaub pro Jahr. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat zusammen mit Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der Lösungsansätze zur wettbewerbsfähigen Nutzung von Landstrom erarbeitet werden sollen. Überlegungen reichen von einer Verbesserung bei der EEG-Umlage bis hin zu Finanzhilfen des Bundes beim Bau von Landstromanlagen.
Zur Person

Norbert Brackmann, Jahrgang 1954, ist seit dem 11. April 2018 Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft. Der CDU-Politiker und gebürtige Lauenburger gehört seit 2009 dem Deutschen Bundestag an, sein Wahlkreis ist Herzogtum Lauen­burg/Stormarn Süd. Seitdem war er unter anderem stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Obmann im Haushaltsausschuss und Vorsitzender des Rechnungsprüfungs­ausschusses.
Interview: Dr. Sabine Schulz
Veröffentlicht am 3. April 2019