20 für die A 20: Kai Schawe

Im beschaulichen Dägeling sitzt ein Unternehmen, das seit mehr als 75 Jahren einen hochspezialisierten Markt bedient: Apparatebau Münster stellt Rechenreinigungsmaschinen her – jene technischen Helfer, die dafür sorgen, dass Schöpfwerke und Wasserbauwerke nicht vom angeschwemmten Treibgut verstopfen. Während die hauseigenen Münster-Rechen als unverwüstliche Qualitätsprodukte gelten, kämpft das traditionsreiche Unternehmen mit einem Problem, das weniger leicht zu beheben ist als ein verstopfter Rechen: der mangelhaften norddeutschen Verkehrsinfrastruktur.
Kai Schawe auf seinem Unternehmensgelände

Von Schöpfwerk-Rettern und Fischfahrstühlen

Die Geschichte des Unternehmens beginnt mit einer klassischen Tüftler-Story: Walter Münster, selbst Schöpfwerkswärter, hatte schlichtweg keine Lust mehr, die Rechen (die Gitter, die Treibgut abfangen) manuell zu reinigen. Also erfand er kurzerhand die erste Rechenreinigungsmaschine für den Eigenbedarf – und legte damit den Grundstein für ein Unternehmen, das heute als Spezialist für Wassertechnik gilt.
"Unsere Maschinen halten ewig", sagt der heutige Geschäftsführer Kai Schawe nicht ohne Stolz. "Teilweise sind Anlagen im Einsatz, die erst nach 60 Jahren überholt werden." Während andere Hersteller möglicherweise auf geplante Obsoleszenz setzen, betont man bei Apparatebau Münster: "Auf die Idee, Sollbruchstellen zu produzieren, käme hier niemand."
Zu den neuesten Innovationen gehört ein Fischfahrstuhl – ein speziell entwickelter Aufzug für Wasserbewohner –, der in Kombination mit einer Rechenreinigungsmaschine nahe Friedrichstadt installiert wurde. Diese Eigenentwicklung ermöglicht es Fischen, Pumpwerke zu passieren, indem sie vom Oberwasser zum Unterwasser und zurück befördert werden. Der aquatische Lift fährt automatisch in regelmäßigen Abständen und bietet den Fischen eine sichere Auf- und Abstiegsmöglichkeit.

Das große Nadelöhr: Hamburg

Doch so innovativ das Unternehmen bei seinen Produkten ist, so machtlos steht es vor einem Problem, das viele Firmen in Schleswig-Holstein plagt: der unzureichenden Verkehrsinfrastruktur. "Ein zentrales Problem stellt die Querung Hamburgs dar", erklärt Schawe. Das Unternehmen muss regelmäßig durch die Hansestadt fahren, um Kunden in ganz Deutschland zu erreichen – und verliert dabei kostbare Zeit im Stau.
Besonders neue Baustellen, wie die auf der A 23, sorgen für erhebliche Zeitverluste. Um überhaupt eine Chance zu haben, Süddeutschland staufrei zu erreichen, müssen die Fahrten sehr früh morgens angetreten werden – eine Planung, die nicht nur die Logistik erschwert, sondern auch die Arbeitszeiten der Mitarbeiter erheblich beeinflusst.

Die Elbfähre: lange Wartezeiten in Stoßzeiten

Eine Alternative könnte die Elbfähre sein, die für Kunden in Niedersachsen genutzt wird. Doch auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt. "Die Elbfähre stellt keine vollwertige Alternative dar, insbesondere zu Ferienzeiten", berichtet Schawe. Wartezeiten von bis zu zwei Stunden verlängern die Reisezeit erheblich.Eine Erfahrung, die den Behauptungen der Fährenbetreiber, es gäbe keine Probleme, deutlich widerspricht.
Diese Diskrepanz zwischen offizieller Darstellung und täglicher Erfahrung spiegelt den norddeutschen Pragmatismus wider, mit dem das Unternehmen die Verkehrssituation betrachtet und bewältigt.

Schleswig-Holstein: "Abgenabelt vom Rest der Republik"

Das grundsätzliche Problem sieht Schawe in der fehlenden durchgehenden Ost-West-Verbindung – ein Mangel, der nicht nur Apparatebau Münster, sondern ganz Schleswig-Holstein betrifft. "Schleswig-Holstein ist abgenabelt vom Rest der Republik", fasst er die Lage zusammen. Eine Aussage, die besonders schmerzt in einem Bundesland, das geografisch zwischen Nord- und Ostsee liegt und eigentlich prädestiniert für exzellente Verkehrsverbindungen wäre.

Auswirkungen auf das tägliche Geschäft

Die schwierige Verkehrssituation hat konkrete Auswirkungen auf den Unternehmensalltag:
  1. Längere Produktions- und Lieferzeiten: Bei der Planung von Fertigungsabläufen und Lieferfristen müssen die verlängerten Transportzeiten einkalkuliert werden – ein signifikanter Wettbewerbsnachteil gegenüber zentral gelegenen Konkurrenten.
  2. Erschwerte Service- und Wartungslogistik: Die Monteure des Unternehmens sind deutschlandweit im Einsatz, um Wartungsarbeiten durchzuführen. Ihre Reiseplanung erfordert eine detaillierte wöchentliche Tourenplanung, die auf langjährigen Erfahrungswerten basiert und die Engpässe der Autobahnanbindung berücksichtigen muss.
  3. Rekrutierungsprobleme: Der abgelegene Industriestandort in Dägeling erschwert die Gewinnung von Fachkräften und Auszubildenden erheblich. "Im letzten Jahr haben zwei qualifizierte Bewerber ihre Bewerbungen zurückgezogen, nachdem sie den täglichen Anfahrtsweg kalkuliert hatten", berichtet Schawe. In Zeiten des Fachkräftemangels ein Luxus, den sich kein mittelständisches Unternehmen leisten kann.
  4. Entferntere Lieferanten: Die mangelhafte Verkehrsanbindung führt auch dazu, dass Zulieferer weiter entfernt sind – ein weiterer Faktor, der die Logistik komplexer und kostenintensiver gestaltet.

Die A 20: Der Traum vom freien Fluss

Eine Lösung für viele dieser Probleme könnte die Realisierung der A 20 sein – insbesondere die Elbquerung bei Glückstadt. Sie würde eine erhebliche Zeitersparnis im Vergleich zur Fahrt durch Hamburg bedeuten, besonders für Fahrten Richtung Mecklenburg-Vorpommern oder ins deutsche Binnenland.
"Die A 20 wäre ein echter Wendepunkt für unsere Region", betont Schawe. "Nicht nur für unser Unternehmen, sondern für die gesamte Wirtschaft Schleswig-Holsteins." Doch wie so oft bei großen Infrastrukturprojekten in Deutschland steht die Realisierung in den Sternen – oder vielmehr im langwierigen Planfeststellungsverfahren.

Exportgeschäft und internationale Beziehungen

Trotz der infrastrukturellen Hürden hat Apparatebau Münster ein florierendes Exportgeschäft aufgebaut, besonders mit Dänemark, Polen und den Niederlanden. Ein langjähriger Geschäftspartner in den Niederlanden vertreibt die Rechenreinigungsmaschinen weltweit. Zusätzlich bestehen eigene Geschäftsverbindungen in andere Länder, in denen der niederländische Partner nicht tätig ist.
Doch auch hier macht sich die Infrastruktur bemerkbar: Für Exporte innerhalb Deutschlands bleibt die Notwendigkeit, Hamburg zu durchqueren, weiterhin das größte logistische Hindernis..

Ein Unternehmen zwischen Tradition und Innovation

Trotz aller Herausforderungen bleibt Apparatebau Münster seinen Grundwerten treu: Qualität, Langlebigkeit und maßgeschneiderte Lösungen nach Kundenwunsch. "Wir streben nach Stabilität statt nach forciertem Wachstum", erklärt Schawe. Eine Unternehmensphilosophie, die in Zeiten von schnelllebigen Produktzyklen und geplanter Obsoleszenz fast anachronistisch wirkt – aber vielleicht gerade deshalb so beständig und erfolgreich ist.
Während auf politischer Ebene Infrastrukturprojekte diskutiert werden, arbeitet man in Dägeling bereits an den nächsten Innovationen. Die Herausforderungen der Verkehrsinfrastruktur werden das Unternehmen vermutlich noch länger begleiten, aber die Geschichte von Apparatebau Münster zeigt: Manchmal entstehen aus Problemen die besten Ideen. Für die nächsten 75 Jahre ist das Unternehmen jedenfalls gut aufgestellt, auch wenn der Weg zu manchen Kunden noch länger bleiben wird als gewünscht.

Gesichter hinter den Zahlen: Wie die A 20 Unternehmen und Menschen bewegt

Jedes Unternehmen hat eine Geschichte. Jede Geschichte hat ein Gesicht. Hinter den Planungen, Diskussionen und Debatten rund um die A 20 stehen Menschen – Unternehmerinnen und Unternehmer, Mitarbeitende, Familien. Sie alle verbindet eine gemeinsame Herausforderung: die tägliche Realität in einer Region, die noch auf ihre vollständige Verkehrsanbindung wartet. Wir haben 20 Unternehmen entlang der geplanten A 20-Trasse besucht und zugehört. Diese Unternehmensstorys sind Teil der Initiative „A 20 – Das wird gut" von sieben norddeutschen Industrie- und Handelskammern. Unser Ziel: eine sachliche, transparente Debatte über die A 20 führen – mit allen Fakten, allen Argumenten und im offenen Dialog mit Befürwortern wie Kritikern. Mehr zur Initiative erfahren Sie hier.