20 für die A 20: Ulrich Zinn

Die unzureichende Verkehrsinfrastruktur in Schleswig-Holstein belastet zunehmend mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum. Im Interview erläutert Ulrich Zinn, Geschäftsleiter Supply Chain bei der G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG, wie die aktuellen Verkehrsprobleme den Arzneimittelhersteller konkret beeinträchtigen. Das Familienunternehmen mit Sitz in Hohenlockstedt und Dägeling spürt die Auswirkungen nicht nur in der Logistik, sondern auch bei der Personalgewinnung und Mitarbeiterzufriedenheit.
Herr Zinn, wie wirkt sich die aktuelle Baustelle auf der A 23 auf Ihr Unternehmen aus?
Als Arzneimittel- und Medizinproduktehersteller gehören wir nicht zu einer Branche, die klassisch just-in-time produziert. Verlängerte Fahrtzeiten von LKW aufgrund der teils maroden Infrastruktur und der zahlreichen Baustellen führen deshalb nicht direkt zu Produktionsausfällen. Allerdings stellt die aktuelle A 23-Baustelle ein erhebliches Problem für unsere Kolleginnen und Kollegen dar, die aus Hamburg und Umgebung pendeln. Die Verzögerungen sind volkswirtschaftlich eine Katastrophe und für jeden Einzelnen äußerst belastend – besonders wenn die Bauarbeiten über mehrere Monate geplant sind und täglich mit längeren Fahrtzeiten gerechnet werden muss. Vielen Mitarbeitern droht das Bermuda-Dreieck des Zusammenschlusses von A 23 auf die A 7 und den Baustellen vor dem Elbtunnel, bevor sie die Autobahn in Stellingen, Bahrenfeld oder Othmarschen verlassen können. Der wirtschaftliche Schaden ist beträchtlich: Bei täglich etwa 80.000 Fahrzeugen werktags auf der A 23 im Bereich Pinneberg und einer angenommenen Stauzeit von 15 Minuten für die Hälfte der Fahrzeuge entstehen pro Tag ca. 250.000 Euro Kosten. Das bedeutet pro Arbeitswoche mindestens 1,25 Millionen Euro, und für die gesamte Bauzeit von Ende März bis Ende Juli 2025 summieren sich die Kosten auf rund 22 Millionen Euro.
Inwiefern hat die Verkehrsanbindung Auswirkungen auf die Personalgewinnung?
Besonders kritisch ist die Verkehrsanbindung für uns bei der Gewinnung neuer Fachkräfte. Als innovatives und wachsendes Unternehmen sind wir dringend auf die Ressourcen 'Wissen' und 'Können' angewiesen. Gerade viele der jüngeren Kollegen bevorzugen jedoch das urbane Leben in größeren Städten. Hier spüren wir deutlich, dass die Fahrtzeiten zu unseren beiden Standorten in Hohenlockstedt und Dägeling mit mehr als einer Stunde pro Strecke für viele ein K.o.-Kriterium darstellen. Die Verkehrsanbindung wird dann zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor – im vielbeschworenen War for Talents können qualifizierte Bewerber im Zweifel auch eine besser erreichbare Stelle finden.
Welche besonderen Herausforderungen gibt es beim Transport Ihrer Arzneimittel?
Unser Präparat Nitrolingual ist ein anschauliches Beispiel. Es enthält als Wirkstoff Nitroglycerin – faktisch ein Sprengstoff, der als Gefahrgut transportiert werden muss, in sogenannten REEFER-Containern mit aktiver Temperaturführung. Die Anzahl der qualifizierten Spediteure und der verfügbaren Spezialcontainer ist sehr begrenzt, ebenso die maximale Kapazität pro Schiff. Die Container müssen pünktlich zur Verladung im Hafen bereitstehen. Andernfalls drohen entweder erhebliche Mehrkosten für Lagerung oder wir verpassen die geplante Schiffsabfahrt. Kritisch sind jedoch Straßenschäden, die im schlimmsten Fall zu offensichtlichen oder verborgenen Transportschäden führen können. Glas-Ampullen zum Beispiel reagieren äußerst empfindlich auf Erschütterungen – im Extremfall können unebene Straßen dazu führen, dass Notfallmedikamente nicht rechtzeitig oder nicht in der erforderlichen Qualität am Einsatzort verfügbar sind.
Welche Rolle spielt die digitale Infrastruktur für Ihr Unternehmen?
Ein wesentlicher Faktor sind die Mobilfunknetze – hier sehen wir allerdings kein regionales, sondern ein deutschlandweites Defizit: Ob unsere Innendienstmitarbeiter auf Dienstreisen oder Außendienstkolleginnen in Apotheken und Arztpraxen – die Verfügbarkeit schneller, zuverlässiger Datennetze ist in vielen Regionen Deutschlands nach wie vor Glückssache. Das beeinträchtigt unmittelbar die Produktivität und Reaktionsfähigkeit; im ungünstigsten Fall müssen wichtige Informationen mühsam von zu Hause oder im Hotel nachgetragen werden. Diese Einschränkungen betreffen natürlich die gesamte Wertschöpfungskette, unsere digitalen Gesundheitsanwendungen sind dabei nur das offensichtlichste Beispiel.
Welche konkreten Verbesserungen erwarten Sie von der Politik?
Wir befürworten den Ausbau der A 20 und eine reibungslose Anbindung von Itzehoe sowohl an Kiel als auch an Hamburg. In diesem Einzugsgebiet wohnen zahlreiche unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei notwendigen Baumaßnahmen sollten alternative Verkehrswege offengehalten werden. Parallele Baustellen müssen vermieden und laufende Projekte so zügig wie möglich abgeschlossen werden. Eine Koordination mit der Deutschen Bahn wäre ebenfalls sinnvoll. In Gesprächen mit dem Wirtschaftsminister und Ministerpräsidenten würde ich die Vergabe der Bauaufträge mit einem Anreizsystem für die zügige Durchführung verknüpfen. Mittel- und langfristig sollten wir uns allein schon aus Nachhaltigkeitsgründen neben dem A20-Ausbau auch für leistungsfähigere Bahnverbindungen einsetzen. Der Ausbau der S-Bahn von Hamburg bis Heide wäre hier eine zukunftsorientierte Perspektive. Zudem wären wir dankbar, wenn das von der Regierung bereits angestrebte, flächendeckende 5G-Netz endlich deutschlandweit und damit auch in Schleswig-Holstein vollständig verfügbar wäre. Leider gibt es in unserer Region immer noch Mobilfunklücken, mit denen wir täglich zu kämpfen haben.
Was würde eine fertiggestellte A 20 für Ihre Mitarbeiter bedeuten?
Die neue A 20 würde für unsere Belegschaft erhebliche Erleichterungen im Alltag, verbesserte Gesundheit und höhere Lebenszufriedenheit bedeuten. Zahlreiche wissenschaftliche Studien der letzten Jahre haben die negativen Auswirkungen des täglichen Pendelns auf Gesundheit und Wohlbefinden nachgewiesen. In einer Untersuchung konnte die tägliche Fahrzeit sogar als einer der wesentlichen Faktoren für die allgemeine Lebenszufriedenheit identifiziert werden. Mit dem Bau der A 20 würden die bestehenden Autobahnen entlastet, es gäbe weniger Staus und grundsätzlich ein flüssigeres Verkehrsgeschehen. Vor allem das Nadelöhr der Elbquerung würde deutlich entlastet. Möglicherweise könnten wir auch mit Personalzuwachs von Fachkräften rechnen, die südlich der Elbe wohnen und bisher den unkalkulierbaren Weg durch den Elbtunnel scheuen.

Zur Person: Ulrich Zinn ist Geschäftsleiter Supply Chain bei der G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG. Das Familienunternehmen mit Standorten in Hohenlockstedt und Dägeling ist ein mittelständischer Pharmahersteller mit Vertrieb in 50 Ländern weltweit. Zu den bekannten Produkten gehört u.a. das Notfallmedikament Nitrolingual.

Gesichter hinter den Zahlen: Wie die A 20 Unternehmen und Menschen bewegt

Jedes Unternehmen hat eine Geschichte. Jede Geschichte hat ein Gesicht. Hinter den Planungen, Diskussionen und Debatten rund um die A 20 stehen Menschen – Unternehmerinnen und Unternehmer, Mitarbeitende, Familien. Sie alle verbindet eine gemeinsame Herausforderung: die tägliche Realität in einer Region, die noch auf ihre vollständige Verkehrsanbindung wartet. Wir haben 20 Unternehmen entlang der geplanten A 20-Trasse besucht und zugehört. Diese Unternehmensstorys sind Teil der Initiative „A 20 – Das wird gut" von sieben norddeutschen Industrie- und Handelskammern. Unser Ziel: eine sachliche, transparente Debatte über die A 20 führen – mit allen Fakten, allen Argumenten und im offenen Dialog mit Befürwortern wie Kritikern. Mehr zur Initiative erfahren Sie hier.