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20 für die A 20: Nis Kruse
Stellen Sie sich vor: Ein LKW voller hochwertiger Baumaterialien steht im Stau,festgefahren zwischen Elbtunnel und Baustelle. Der Fahrer ist sichtlich frustriert und der Kunde wartet dringend auf seine Lieferung. Nis Kruse, Geschäftsführer von bauXpert KremerGlismann, kennt diese Situation nur zu gut. "Das ist leider unser Alltag", sagt er.

Der tägliche Infrastruktur-Krimi
"Hamburg ist für uns seit zwei Jahrzehnten das zentrale Verkehrsproblem", erklärt Kruse. Der Familienbetrieb KremerGlismann mit 75 Mitarbeitern und knapp 40.000 Artikeln im Sortiment muss täglich den logistischen Spagat zwischen der Hansestadt und der Westküste meistern. Was auf der Landkarte wie eine überschaubare Strecke aussieht, verwandelt sich regelmäßig in eine zermürbende Geduldsprobe, besonders wenn es Richtung Hamburg geht oder Lieferanten von dort kommen.
Der Elbtunnel, für viele Hamburger ein notwendiges Übel auf dem täglichen Arbeitsweg, ist für bauXpert KremerGlismann zum Symbol eines tieferliegenden Problems geworden: Wie kann ein regionaler Baustoffhändler Termintreue garantieren, wenn die Infrastruktur fundamental unberechenbar ist?
Unternehmenskultur: Menschen vor Zahlen
Dabei hat sich der 1853 gegründete Familienbetrieb einen Namen für Zuverlässigkeit gemacht. "Persönlicher Kontakt zählt bei uns", betont Kruse. "Die digitalen Werkzeuge unterstützen uns, doch im Mittelpunkt steht immer der Mensch." Diese Philosophie wird im täglichen Kampf gegen Staus und Umleitungen kontinuierlich auf die Probe gestellt.
Für die Mitarbeiter bedeutet die geografische Lage zwischen Hamburg und Westküste nicht nur betriebliche Herausforderungen. "Die Reisezeiten sind kaum planbar geworden und werden zunehmend als verlorene Lebenszeit empfunden", berichtet Kruse. Man fragt sich unwillkürlich: Wie viele kreative Ideen und wertvolle Kundengespräche könnten in dieser Zeit entstehen?
Bürokratische Barrieren: Der unsichtbare Stau
Doch der Verkehrsstau ist nur die sichtbare Hälfte des Problems. Der unsichtbare Stau findet in den Amtsstuben statt. "Der Bau- und Modernisierungssektor ist besonders stark von behördlichen Vorschriften und Hürden betroffen", erklärt Kruse mit einer Mischung aus Frustration und Pragmatismus.
Projekte werden regelmäßig verschoben und verzögert, obwohl sie längst beauftragt sind – nur weil entscheidende Unterlagen auf verschiedenen Verwaltungsebenen festliegen. "Hier fehlen Statiker-Unterlagen, dort werden zusätzliche Prüfstatiker-Anforderungen gestellt. Das ist äußerst belastend für alle Beteiligten", beschreibt Kruse die Situation.
Die Realität erscheint mitunter absurd: Für eine standardmäßige Baugenehmigung müssen bis zu 30 verschiedene Träger öffentlicher Belange konsultiert werden. "Es ist außerordentlich schwierig, Entscheidungsträger zu finden, die zeitnah handeln können", erklärt der Geschäftsführer. Als konstruktiven Verbesserungsvorschlag plädiert Kruse dafür, die Entscheidungskompetenz bei den Bauämtern durch qualifizierte Fachleute zu bündeln.
Das Gebäude-Energie-Gesetz: Widersprüchliche Anforderungen
Als zusätzliche Herausforderung kommen die aktuellen Versionen des Gebäude-Energie-Gesetzes hinzu. "Die Anforderungen sind oft überdimensioniert und in der Praxis rechnerisch kaum nachvollziehbar", kritisiert Kruse. Die potenziellen Energieeinsparungen stehen nach seiner Einschätzung in keinem angemessenen Verhältnis zu den erforderlichen Investitionen.
In einer Zeit, in der Deutschland dringend neuen Wohnraum benötigt, fällt Kruses Einschätzung ernüchternd aus: Die politisch angestrebten 400.000 neuen Wohnungen hält er für unrealistisch. Es fehlen schlichtweg die Fachkräfte für die Umsetzung. Die Diskrepanz zwischen politischen Zielvorgaben und der Realität vor Ort bezeichnet er als fundamentales Missverhältnis.
Ein Lichtblick am Horizont: Die A 20
Hoffnung besteht jedoch in Form einer neuen Verkehrsverbindung. Die geplante Autobahn A 20 könnte dafür sorgen, dass die Standorte deutlich besser erreichbar werden. "In einer halben Stunde über die A 20 nach Stade fahren zu können, wäre eine enorme Erleichterung."
Bemerkenswert ist jedoch, dass das Unternehmen seine Investitions- und Entwicklungsstrategie nicht von dieser neuen Verkehrsverbindung abhängig macht. "Unser Markt ist und bleibt regional", erklärt Kruse pragmatisch. Auch für die Fachkräftegewinnung sei die A 20 nicht das entscheidende Argument, da das Pendeln aus Hamburg häufig entgegen der Hauptverkehrsrichtung verläuft.
Zwischen Tradition und Innovation
Trotz aller Widrigkeiten hat bauXpert KremerGlismann einen erfolgreichen Weg gefunden, den Spagat zwischen Tradition und Innovation zu meistern. Mit der Marke stilXpert präsentiert das Unternehmen ein modernes Konzept für die Produktausstellung. Vor zwei Jahren wurde ein neues Gebäude mit zeitgemäßer Präsentationsfläche errichtet.
Die Motivation dahinter ist ebenso einleuchtend wie überzeugend: Kunden im Baubereich möchten Materialien sehen und berühren können. Besonders bei gestalterischen Elementen gibt es Bereiche, die "ohne direkte haptische Erfahrung nicht funktionieren", wie Kruse betont. Farben und Materialien wirken im natürlichen Licht grundlegend anders als auf digitalen Bildschirmen.
Der menschliche Faktor als Erfolgsgarant
Bei allen Herausforderungen durch Infrastrukturprobleme und Bürokratie – was motiviert Nis Kruse kontinuierlich? "Das ausgezeichnete Verhältnis zu Kollegen, Kunden und Lieferanten", antwortet er ohne zu zögern. "Wir haben ein hervorragendes Team, mit dem es Freude macht, den Betrieb gemeinsam voranzubringen, und mit vielen unserer Kunden und Lieferanten verbindet uns eine langjährige Partnerschaft.“
Diese positive Teamkultur ist über Jahre gewachsen, mit vielen erfahrenen Mitarbeitenden und jüngeren Kollegen, die sich harmonisch integrieren. Vermutlich ist es genau diese Balance aus Tradition und Fortschrittsdenken, die den Familienbetrieb seit Generationen durch alle Herausforderungen trägt – sei es der Elbtunnel-Stau oder die administrative Komplexität. Während in der Politik noch von 400.000 neuen Wohnungen geträumt wird, bleibt bauXpert KremerGlismann realistisch und beharrlich – Stau für Stau und bei jeder neuen Verordnung. Und vielleicht ist es genau diese bodenständige Ausdauer, die in der deutschen Infrastrukturdebatte am dringendsten benötigt wird.
Gesichter hinter den Zahlen: Wie die A 20 Unternehmen und Menschen bewegt
Jedes Unternehmen hat eine Geschichte. Jede Geschichte hat ein Gesicht. Hinter den Planungen, Diskussionen und Debatten rund um die A 20 stehen Menschen – Unternehmerinnen und Unternehmer, Mitarbeitende, Familien. Sie alle verbindet eine gemeinsame Herausforderung: die tägliche Realität in einer Region, die noch auf ihre vollständige Verkehrsanbindung wartet. Wir haben 20 Unternehmen entlang der geplanten A 20-Trasse besucht und zugehört. Diese Unternehmensstorys sind Teil der Initiative „A 20 – Das wird gut" von sieben norddeutschen Industrie- und Handelskammern. Unser Ziel: eine sachliche, transparente Debatte über die A 20 führen – mit allen Fakten, allen Argumenten und im offenen Dialog mit Befürwortern wie Kritikern. Mehr zur Initiative erfahren Sie hier.
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Thorsten Scholz