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Kanal mit Potenzial – für Verkehrsgüter und Umwelt
Zu seinem 125-jährigen Bestehen präsentiert sich der Elbe-Lübeck-Kanal 2025 in einem desolaten Zustand. Doch im Vergleich zu Straße und Schiene hat die vernachlässigte Bundeswasserstraße unübersehbare Vorteile.
Der Elbe-Lübeck-Kanal feiert im Juni 2025 sein 125. jähriges Bestehen. Der Baubestand des Kanals stammt in weiten Teilen noch aus dem Eröffnungsjahr 1900.
Ein alter Logistiker-Spruch lautet: „Ist die Ladung einmal weg, kommt sie nicht mehr wieder!“ Ob diese bittere Weisheit auch für den Elbe-Lübeck-Kanal (ELK) gilt, bleibt abzuwarten. Im vergangenen Oktober wurde auf dem Grund der Donnerschleuse bei Mölln eine schadhafte Fuge entdeckt. Aus der vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Elbe angekündigten vierwöchigen Vollsperrung des 61,55 Kilometer langen Kanals, der die Ostsee über die Trave mit der Elbe bei Lauenburg verbindet, wurden fast acht Monate Reparaturarbeiten.
Die Verlader, Spediteure und Umschlagbetriebe im Lübecker Hafen und in der Region mussten ihre Verkehre auf Straße und Schiene verlagern und erlitten nach Schätzungen der IHK zum Teil hohe Schäden. Die Binnenschifffahrt, die sonst innerhalb eines Tages Massengüter wie Zement, Holz, Getreide oder Altmetalle über die Bundeswasserstraße transportiert, kam völlig zum Erliegen. Nur 373 Frachter wurden im vergangenen Jahr registriert – ein historischer Tiefstwert. Die Betreiber der Davidswerft in Alt-Mölln, die viele Schiffseigner als Kunden verloren, gaben ihren Standort auf, „weil der Kanal als Wasserstraße mittlerweile nicht mehr zuverlässig erscheint“. Und viele Wassersportler sind genervt, weil sie ihre Boote viel länger als üblich einmieten mussten.
Seit dem 23. Mai ist der Elbe-Lübeck-Kanal wieder geöffnet und damit auch die durchgängige Schiffbarkeit von der Ostsee bis zum Donau-Delta wiederhergestellt. Allerdings bedeutet das nur eine Atempause, denn an den Grundproblemen des geografisch so wichtigen Verkehrsweges hat sich nichts geändert. Jochen Brüggen, persönlich haftender Gesellschafter der Lübecker Brüggen KG, einem der weltweit führenden Hersteller von Cerealien, Müsli und Snacks, würde gerne mehr Rohstoffe per Schiff über den ELK beziehen. Er sieht nach wie vor große Bedarfe bei der regionalen Wirtschaft und weiterhin großes Potential der Binnenschifffahrtsstraße.
Fordert Grundsanierung des Elbe-Lübeck-Kanals: Jochen Brüggen, persönlich haftender Gesellschafter der Lübecker Brüggen KG
Aber Brüggen spricht auch von einem „Henne-Ei-Problem“ – nicht eindeutig zu gewichtenden Auslösern einer negativen Kausalkette: „Der aktuelle Kanal ist für Schiffsgrößen über 80 Meter und zweilagige Containerschiffe wegen der niedrigen Brücken und des geringen Tiefgangs nicht passierbar. Kleinere Binnenschiffe sind oft nicht mehr wirtschaftlich, finden wegen ihres Alters keine Nachfolger und werden nicht mehr gebaut“, so der 60-jährige Unternehmer. Deshalb stiegen die Kosten bei rückläufigem Transportaufkommen – schlechte Argumente für den dringend notwendigen Ausbau und EU-Fördermittel. Brüggens Forderung: Der Bund solle „einmal richtig grundsanieren und für größere Schiffe ausbauen“.
Die zuständigen Bundeswirtschafts- und -verkehrsbehörden, die inhaltlich wenig miteinander zu tun haben, stehen vor der riesigen Herausforderung eines bundesweit maroden Wasserstraßennetzes. Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt schätzt den Investitionsstau auf 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Seit 2016 ist der ELK als damals größtes Einzelprojekt Schleswig-Holsteins im „vordringlichen Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans, der vom Bundestag verabschiedet wurde. Es gab mal ein 20-köpfiges Planungsteam, das allerdings nach dem für die Betroffenen und die Wirtschaft nicht nachvollziehbaren Ausbaustopp vor fünf Jahren woanders eingesetzt wurde. Insider mutmaßen, dass das WSA Elbe von der personellen Ausstattung aktuell gar nicht in der Lage wäre, die mit langen zeitlichen Vorläufen erforderlichen Planungen umzusetzen. Tilman Treber, Fachgebietsleiter beim WSA Elbe, bejaht dies und nennt als weitere Gründe für den Ausbaustopp „die fehlende Wirtschaftlichkeit sowie Umwelt- und Denkmalschutzgründe“.
Auch in Berlin mangelt es an Unterstützung: „Nach der Bundestagswahl fehlt ein engagierter politischer Fürsprecher für die norddeutsche Verkehrspolitik und eine starke Lobby wie für die Bahn und den Lkw“, sagt Rüdiger Schacht, Verkehrsexperte und stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK zu Lübeck. Die großen Schifffahrtsunternehmen schauten nur auf den Nord-Ostsee-Kanal und Binnenschiffreedereien mit über 100 Metern Frachter-Längen auf die großen verkehrsreichen Flüsse Rhein und Mosel.
„Für die von der Bundesregierung angekündigte Verkehrswende ist die Ausbaugeschwindigkeit unseres Wasserstraßennetzes viel zu gering“, kritisiert Roman Fürtig, Vorsitzender der Elbe Allianz. Dem Förderverein gehören rund 100 Unternehmen aus der verladenden und Verkehrswirtschaft, Landes- und Kommunalbehörden und regionale IHKs an. Die Vernachlässigung des ELK habe auch Auswirkungen auf die Binnenschifffahrt in Hamburg, auf der Elbe und im Elbe-Seiten-Kanal, so Fürtig. Neue Impulse könnten seiner Meinung nach zusätzlich zu den traditionellen Warenströmen der Transport von grünem Wasserstoff und der Derivate Ammoniak und Methanol sowie die Verschiffung von Windkraftanlagen aus der oder in die Ostsee sein.
Ein Umstieg auf Straße oder Schiene wäre für Martin Krause, Referent Verkehr bei der IHK zu Lübeck, keine zielführende Alternative. Der Lkw sei zwar schneller und bei häufigeren Umladungen billiger als das Binnenschiff. „Aber zusätzlich 120.000 bis 200.000 Lkw und wachsender Schwerlastverkehr belasten die Straßen in der Region und führen zu noch höheren CO2- und Feinstaubemissionen. Außerdem ist das Straßennetz nur noch bedingt ausbaufähig.“ Dem Verkehrsträger Bahn wiederum fehlten im Norden notwendige Kapazitäten, das werde sich auch durch die Fehmarnbelt-Querung nicht grundlegend ändern. „Der Bund muss im Rahmen der Daseinsvorsorge die nötige Infrastruktur auf Kanälen gewährleisten“, betont Krause.
Entscheidet sich der Bund doch zeitnah für den Ausbau des ELK, müssten sechs neue Schleusen mit Kammern für Großmotorschiffe in einer Länge von mindestens 110 Meter errichtet und noch zwei alte durch neue Brücken ersetzt werden. Die siebte Schleuse in Lauenburg wurde bereits 2006 komplett erneuert. Voraussichtliche Bauzeit nach Aussage des WSA Elbe: „50 bis 60 Jahre bei sechs gleichzeitigen Bauvorhaben.“
Guido Kaschel, Bereichsleiter der Lübeck Port Authority
Wie stattdessen eine Initialzündung aussehen könnte, darüber hat sich Guido Kaschel, Bereichsleiter der Lübeck Port Authority, öffentlich schon wiederholt Gedanken gemacht. Der Diplomingenieur will aus der Not eine Tugend machen und schlägt vor, „das Flottensystem an die vorhandene Infrastruktur anzupassen“. Sein Zukunftsszenario: „Es werden standardisierte, nachhaltig angetriebene und autonom fahrende Schubverbände und Schiffe gebaut, die mit den Abmessungen der bestehenden Infrastruktur und den Folgen des Klimawandels besser zurechtkommen.“ Für diesen Wandel des Flottensystems bedürfe es vermutlich staatlicher Anreize wie zum Beispiel der Förderung der Investition.
Die Generalinstandsetzung der sechs altersschwachen Schleusen geschehe nach den Vorstellungen Kaschels hintereinander und nicht gleichzeitig. Sofern der Neubau neben der bestehenden Schleuse erfolge, könnten die vorhandenen Transportwege und -kapazitäten bis zur Fertigstellung des letzten Neubaus erhalten und genutzt werden. Um zukünftig Frachtkosten zu sparen, setzt das für die technischen Innovationen verantwortliche Fraunhofer-Institut in Lübeck auf modulare Einheiten und (teil-)automatisierte Be- und Entladungsprozesse.
Was die Befürworter einer Aufrechterhaltung der Wasserstraßen bei allem Gegenwind optimistisch stimmt: Das Binnenschiff bleibe das attraktivste, billigste und nachhaltigste Verkehrsmittel. Ein 75 Meter langer Frachter kann 37 Lastwagenladungen transportieren. Unternehmen sparen laut einer Studie der Hanseatic Transport Consultancy (HTC) auf dem Wasserweg im Vergleich zu Straße und Schiene im Schnitt fünf Euro pro Tonne ein. Und ein Lkw verbraucht 1,6 Liter Diesel pro Tonne auf hundert Kilometern, das Binnenschiff hingegen nur 0,25 Liter. Fazit: Will man dem Klimawandel trotzen, muss man aufs Wasser schauen.
Autor: Dr. Jörn Arfs
Veröffentlicht: 28. Mai 2025
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